Umstritten: Die Dokumentationspflichten im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Mindestlohn Foto: dpa

Im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten zieht der Chef der Zollgewerkschaft, Dieter Dewes, eine erste Bilanz zu den angelaufenen Kontrollen.

Herr Dewes, der Mindestlohn ist seit 100 Tagen in Kraft, welche Erfahrungen haben die 6700 Zoll-Mitarbeiter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit gemacht, die den Mindestlohn überwachen?
In der Anfangsphase langen wir ja noch nicht mit dem scharfen Schwert des Gesetzes zu, um in größerer Zahl Bußgelder zu verhängen. Unsere Prüftrupps sind unterwegs in der Arbeitswelt und suchen nach Hinweisen für Schwarzarbeit, Sozialbetrug und nun eben auch Verstößen gegen den gesetzlichen Mindestlohn. Wir kontrollieren den tariflichen Mindestlohn schon seit Jahren in etlichen Branchen, nun sind einige Branchen dazu gekommen. Am Anfang steht das Verwarnen nicht im Vordergrund unserer Tätigkeit, eher das Aufklären über die Dokumentationspflichten. Unser Motto ist: Aufklärung steht vor Bebußung. In den hinzugekommenen Branchen sind die Kontrollen jedenfalls sehr pflegeleicht angelaufen. Die Beamten werden vom Dienstherrn dazu angehalten, Aufklärungsarbeit zu leisten und mit Augenmaß zu handeln.
Einige Unternehmen beklagen aber einen hohen Überwachungsdruck und martialische Auftritte der Beamten.
Hier sollte man mal die Kirche im Dorf lassen. Wer in eine Verkehrskontrolle kommt, beschwert sich ja auch nicht, dass der Polizist keine Jogginghosen an hat. Für einige Betriebe, etwa Großbäckereien und Gaststätten, ist es vielleicht eine neue Erfahrung, dass sie nun Besuch von Uniformierten mit Dienstwaffe und Handschellen bekommen. Es handelt sich aber um ganz normale Kontrollen eines Gesetzes. Und diese sind nicht geschäftsschädigend. Der Zoll ist bereits seit Jahren Bündnispartner von Wirtschaft und Handwerk, so dass in diesen Branchen längst positive Erfahrungen gesammelt werden konnten.
Sie fordern mehr Personal für den Zoll, wie viele neue Planstellen brauchen Sie, um eine nennenswerte Kontrolldichte beim Mindestlohn zu gewährleisten?
Der Haushaltsgesetzgeber hat uns zunächst 1600 neue Stellen bewilligt. Diese Zahl basiert aber auf einer zu geringen Annahme der zu prüfenden Beschäftigungsverhältnisse. Wir brauchen 2500 zusätzliche Planstellen. Nicht vergessen darf man dabei, dass die Ausbildung der neuen Kolleginnen und Kollegen zwei bis drei Jahre dauern wird. Außerdem gibt es Übergangsfristen bei der Zahlung des Mindestlohns bis 2017. Klar ist aber: Solange der Zoll nicht die 2500-Mann-Verstärkung hat, kann die Kontrolldichte nicht so groß sein, wie wir sie uns wünschen.
Teile der Union und die Wirtschaft nennen das Mindestlohngesetz Bürokratie-Monster, vor allem die Dokumentationspflichten stehen bei der Koalitionsrunde am Donnerstag auf dem Prüfstand.
Dieses Gerede von dem bürokratischen Monster kann ich nicht mehr hören. Dieses Etikett passt eher zu der unsinnigen Infrastrukturabgabe, die der Bundesverkehrsminister plant – unter dem Motto „Viel Aufwand – wenig Ertrag“. Nein, ich warne ausdrücklich vor jedem Aufweichen der Dokumentationspflichten. Das würde uns die Arbeit nur noch weiter erschweren. Noch einmal: Ohne wirksame Kontrolle können die Arbeitnehmerrechte nicht eingehalten werden.
Warum?
Die Große Koalition hat mit großer Mehrheit die 8,50 Euro versprochen. Damit aber die gesetzliche Lohnuntergrenze für den Pizza-Boten, die Friseurin und den Paketzusteller kein leeres Versprechen bleibt, muss der Staat kontrollieren. Und dafür benötigt der Zoll die Stundenaufzeichnung. Ohne diese ist nicht plausibel, wann der Arbeitnehmer angefangen und aufgehört hat. Es ist doch ein Witz: In jedem zweiten Restaurant wird Buch geführt, sogar für jeden Gast einsehbar, wann die Toilette gereinigt wurde. Und nun soll es nicht möglich sein, die Arbeitszeit der Beschäftigten zu dokumentieren?
Was hielte der Zoll davon, die Verdienst-Grenze von 2958 Euro abzusenken auf unter 2000 Euro, unterhalb der in bestimmten Branchen die Arbeitszeit dokumentiert werden muss?
Wir wollen keine Änderung. Denn es gibt gute Gründe dafür, auch Beschäftigungsverhältnisse bis zu dieser Grenze zu erfassen. In der Frage bestand übrigens Konsens zwischen Bundesarbeits- und Bundesfinanzministerium. Was wir nicht wollen, ist ein „Mindestlohn light“.
Wie sehen Sie die Kritik, der Mindestlohn gefährde das Ehrenamt?
Da wird die Diskussion unsachlich. Es ist eindeutig festgehalten, dass das ehrenamtliche Engagement in Sportvereinen und karitativen Organisationen nicht mit dem gesetzlichen Mindestlohn kollidiert. Wir werden das nicht erleben, dass der Zoll bei dem kleinen Sportverein überprüft, ob die Übungsleiterpauschale der E-Jugend gesetzeskonform ist. Zum 1. Oktober 2014 ist eine Reform der Finanzkontrolle Schwarzarbeit durchgeführt worden, um das Augenmerk noch stärker auf die organisierte Form der Schwarzarbeit zu richten. Davon sind die Vereine nicht betroffen.