Ganz nah ran: die Adonisjungfer, eine Kleinlibelle, sieht vergrößert ziemlich haarig aus. Foto: eye of science

Unterm Elektronenrastermikroskop entdecken die beiden Reutlinger Mikrofotografen Oliver Meckes und Nicole Ottawa das Winzige neu.

Reutlingen - Die dünnen Zotteln der Killerzellen sind beweglich – sie sehen aus wie ausgestreckte Arme, die fest am Feind angedockt sind. „Das ist David gegen Goliath, sie wird sie umbringen“, sagt Oliver Meckes und tippt auf seine Computermaus, um das Schauspiel heranzuzoomen. Immunzelle attackiert Krebszelle, 10 000fach vergrößert, ein Kampf im Körper, der detailgenau dokumentiert ist von einem Rasterelektronenmikroskop.

Das Hightech-Gerät, das schnell mal so viel kostet wie ein Einfamilienhaus, lässt den 53-jährigen Reutlinger eine Bilderwelt erblicken, die mit dem bloßen Auge nicht zu erfassen ist. Meckes ist Mikrofotograf, er bringt das noch so kleinste Maß groß raus und den Betrachter zum freien Assoziieren. Die Borstenbüschel der Zuckmückenlarve erinnern an die Pompons von Cheerleadern. Den Hauhechel-Bläuling, ein Schmetterling mit Wuschelkopf, möchte man umgehend zum Frisör schicken.

Im Mikro- und Millimetergeschäft kennt Meckes sich aus. Er arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft, rückt Parasiten oder Pilze ins beste Licht, fotografiert für die Halbleiterindustrie und kann selbst den Zellen eines Mammakarzinoms eine ästhetische Seite abgewinnen. Seine Aufnahmen illustrieren die Broschüren von Pharmakonzernen oder Universitätskliniken. Sie bebildern Biologiebücher oder hängen in Großformaten als Wanderausstellung in Naturkundemuseen.

Den Molchen beim Balztanz zuschauen

Er habe immer alles ganz genau wissen wollen, gibt Meckes zu. Eine Eigenschaft die ihn auszeichnet und antreibt, um das zu erkunden, was andere achtlos übersehen oder wofür sie sich gar nicht interessieren. In seiner Jugend lag er am liebsten bäuchlings auf der Erde, schaute am Bach den Molchen beim Balztanz oder bei der Eiablage zu. Immer draußen, meist die Spiegelreflex dabei, machte er als Einzelgänger Entdeckungen, für die seine Klassenkameraden wenig übrig hatten. „Kennen Sie die Augen der Erdkröte?“, fragt Meckes, „die goldene Iris, einfach wunderschön.“ Zum Beweis zieht er aus einem wandhohen Stapel mit sorgfältig archivierten Dias die Box mit der Beschriftung „Amphibien – Kröten und Frösche“ heraus, er wird schnell fündig. Warzig ist die Haut der Kröte und ziemlich dick, ihr Auge dagegen funkelt wie ein Bernstein: von sonnengelb bis Kupfer.

Sein erstes gebrauchtes Elektronenrastermikroskop hat sich Meckes Mitte der 90er Jahre gekauft, als er sich als Wissenschaftsfotograf selbstständig machte. Bei Bosch in Reutlingen wurden damit Mikrochips geprüft. Der Kasten mit den dicken Knöpfen wirkt wie eine Antiquität zwischen all den Hightech-Apparaten im Kellerbüro des Passivhauses. Um die Sägezähne der Kriebelmücke zu zeigen oder in den staubsaugerähnlichen Mund eines Bärtierchens zu schauen, ist der Aufwand immens, manchmal dauert es mehrere Tage, bis das Präparat fertig ist. „Erst muss das Wasser raus, dann kommt Alkohol rein“, sagt Meckes. In einer speziellen Druckkammer wird dann das Ethanol gegen flüssiges Kohlendioxid ersetzt. Jedes Stückchen Gewebe, jedes Insekt muss absolut trocken sein. Letzter Schritt ist die metallische Beschichtung – hauchdünn wird das Präparat entweder mit Gold oder mit dem Platinmetall Palladium überzogen, um die Oberfläche elektrisch leitfähig zu machen. Denn Meckes Mikroskop sieht nicht mit Licht, sondern mit Elektronen. Es bildet nur die Topografie der Präparate ab. Und das immer in Schwarz-Weiß.

Nicole Ottawa bringt Farbe in die schwarz-weiß Aufnahmen

„Es darf niemand durchs Haus toben, wenn hochaufgelöste Bilder gemacht werden“, erklärt Meckes – weder Hund noch Kinder. Zu empfindlich ist das Mikroskop, zu schnell ist eine Aufnahme verwackelt und damit unbrauchbar. Als die Sprengungen für den nahegelegenen Reutlinger Scheibengipfeltunnel nötig waren, hat sich der Fotograf rechtzeitig warnen lassen. Eine SMS aufs Handy und er wusste – Zeit für eine Kaffeepause. Eine Etage höher im Büro kommt Farbe in die Bilddateien, dort wird die kugelige Killerzelle blutrot, das Mammakarzinom etwas heller. Gemeinsam mit seiner Frau Nicole Ottawa ist Meckes weit über Deutschland hinaus erfolgreich, gemeinsam haben sie schon mehrmals den World Photo Award und viele andere Preise gewonnen. Ob am Mikroskop oder am Rechner, die beiden arbeiteten Hand in Hand. Die 51-jährige Biologin zeichnet am Schreibtisch Pixel für Pixel, Linie für Linie, die Struktur der Zellen nach, verknüpft Dateien, wählt Farben und deren Deckkraft aus. „Alles so nah wie möglich an der Natur“, sagt sie, Bonbonoptik und übertriebene Künstlichkeit sind unerwünscht. Ottawa blättert sich durch das Bildarchiv des Rechners. Sie lässt lila Beifußpollen auf einem senfgrünen Blatt aufleuchten, holt sich ein Silberfischchen auf den Schirm – bildfüllend. Sein Kopf ist riesig, die Fühler stehen ab wie die Hörner eines Stieres, bereit für den Angriff. „Ich finde die so hübsch“, schwärmt Ottawa und klatscht vor Begeisterung in die Hände. „Wir reisen ständig in andere Dimensionen“, sagt sie, „das ist unser Abenteuer.“