Fall fürs Landgericht: Bei dem Angriff lag auch die Freundin des Opfers mit im Bett. Foto: dpa

Wegen einer Messerattacke muss ein 23-jähriger Gambier für fast fünf Jahre in Haft. Er hatte auf einen Bekannten mehrmals brutal eingestochen, als dieser im Bett lag.

Ludwigsburg - Das Urteil nahm der Mann auf der Anklagebank im Stuttgarter Landgericht regungslos hin. Es hätte eine wesentlich höhere Strafe auf ihn zukommen können. Denn der 23-Jährige war wegen versuchten Mordes angeklagt. Dabei reicht das Strafmaß bis zu 15 Jahre Haft. Wegen versuchten Totschlags muss er nun vier Jahre und neun Monate hinter Gitter. Das Motiv der Heimtücke, das einen Mord kennzeichne, sei für ihn nicht nachweisbar gewesen, sagte der Richter am Mittwoch.

Der Besucher sticht plötzlich mit einem 20 Zentimeter langen Messer zu

Im vorigen November hatte der 23-Jährige seinen ehemaligen Mitbewohner und dessen Freundin im Asylbewerberheim am Ludwigsburger Hungerberg angegriffen. Er war zuvor ausgezogen und bei Freunden in Kornwestheim untergekommen. Nachts gegen 1.30 Uhr klopfte er an der Tür – nach eigener Aussage unter dem Einfluss von Kokain. Sein 26-jähriger Bekannter öffnete und wunderte sich offensichtlich nicht über den Besuch. Er legte sich zurück ins Bett, indem auch seine Freundin lag, und zog die Decke über den Kopf. Der Besucher machte das Licht aus – und stach plötzlich mit einem etwa 20 Zentimenter langen Messer mehrmals auf ihn ein. Die Bettdecke schützte ihn vor lebensbedrohlichen Verletzungen. Es gelang dem Opfer schließlich aus dem Bett zu flüchten und zu entkommen. Seine Freundin sprang ebenfalls aus dem Bett. Beim Versuch, an der Tür an ihr vorbeizukommen, verletzte der 23-jährige Gambier auch sie.

Die Hilfeschreie des Verletzten weckten andere Bewohner des Asylheims auf, die sich vor der Tür versammelten. Dennoch gelang dem Angreifer die Flucht. Das Messer, dessen Spitze beim Angriff abbrach, warf er weg. Er stellte sich kurze Zeit später, noch mit Blut an den Händen und der Hose, der Polizei und führte sie zur Tatwaffe. Einen Tag nach dem Vorfall kam der Mann auf freien Fuß: Er setzte sich in die Niederlande ab und stellte auch dort einen Asylantrag, wurde aber ausgewiesen. Als er im April wieder zurück nach Deutschland kam, wurde er verhaftet. Seither saß der Mann in Untersuchungshaft.

Das Opfer war geschwächt durch eine Chemotherapie

In Handschellen wurde der Asylbewerber am Mittwoch in den Verhandlungssaal gebracht. Zum Motiv seiner Tat schwieg er. Auch die Opfer machten diesbezüglich keine eindeutige Aussagen. Der Richter ist sich aber sicher, dass der Attackierte mit dem Angriff gerechnet habe: „Er hat immer wieder davon erzählt, dass er unter der Decke sofort die Arme schützend vor seinem Oberkörper verschränkt habe“, sagte der Vorsitzende. Damit schließe er die Heimtücke aus. Dies ist der einzige Punkt, indem er der Staatsanwältin widersprach. In ihrem Plädoyer forderte sie sechs Jahre Haft wegen versuchten Mordes. Der Angeklagte habe schließlich auch gewusst, dass sein Bekannter wegen Leberkrebs am Bauch operiert wurde und zur Zeit des Angriffs eine Chemotherapie bekam – also wesentlich geschwächt gewesen sei.

Der Angeklagte verstrickte sich in Widersprüche

An die Tat selbst könne er sich nicht erinnern, sagte der 23-Jährige vor Gericht aus. Das Kokain sei daran schuld gewesen. Das sei sehr unglaubwürdig, so der Richter, schließlich habe er die Polizei nach der Tat zur Tatwaffe geführt. Auch die Staatsanwältin nahm ihm dies nicht ab: Erstens habe der befragte Arzt erklärt, dass es unter Einfluss dieser Droge eher zu Euphorie als zu Aggression komme – und nur in Kombination mit anderen harten Drogen zu Amnesie. Zudem habe sich der Angeklagte nicht genau an die konsumierte Menge und den dafür gezahlten Preis erinnern können. Die Verteidigerin hielt einen Drogeneinfluss dennoch für möglich. Niedrige Beweggründe, die einen versuchten Mord begründeten, wie Hass, Neid oder Gier schloss sie hingegen ebenso aus wie Eifersucht. Damals sei ihr Mandant aus dem gemeinsamen Zimmer im Heim ausgezogen, um Platz für das Paar zu machen. Sie plädierte auf eine dreijährige Haftstrafe wegen versuchten Totschlags.

Das Paar erwartet jetzt ein gemeinsames Kind

Die Attackierten erwarten in der Zwischenzeit ein gemeinsames Kind und sind mit dem Schrecken davongekommen. Auch die größte, 1,5 Zentimeter tiefe Wunde des Mannes sei inzwischen gut verheilt. Nach anfänglichen Panikattacken gehe es auch seiner Freundin besser. Die Angst in der Nacht sei aber geblieben, sagte der Richter.