Foto: Julia Barnerßoi

37 Jahre lang war der Hofener Rainer Jerger Mesner der Stadtkirche Bad Cannstatt. Nun wird er in den Ruhestand verabschiedet. Der Beruf hat sein kommerzielles Leben in ein wahres Fest verwandelt, wie er sagt.

Bad Cannstatt - Rainer Jerger könnte eine Regenschirm- und Handschuh-Handlung aufmachen. Zumindest, wenn er alle Exemplare dieser so häufig in den Kirchenbänken vergessenen Gegenstände aufgehoben hätte. In 37 Jahren wäre da so einiges zusammengekommen. So lange ist der 65-Jährige nämlich bereits Mesner der Stadtkirche in Bad Cannstatt. Ende August geht er in den Ruhestand. Offiziell verabschiedet wird der Hofener beim Gemeindefest am kommenden Sonntag.

Rainer Jerger in der Laterne des Kirchturms. Foto: Markus Gräter

Fast vier Jahrzehnte pflegt Rainer Jerger die evangelische Kirche im Herzen Bad Cannstatts nun schon. Er putzt, hausmeistert, wechselt Blumenschmuck und Parament am Altar, stellt den Christbaum auf. Er kennt jeden Winkel des Gotteshauses und hat so einige Geschichten zu erzählen. Zum Beispiel, wie er zum ersten Mal die Laterne ganz oben im Kirchturm erklommen hat. Zu ihr gelangt man nur über eine schmale Leiter. Eines Tages wollten Mitarbeiter der Stadt den Turm vermessen. „Beide waren aber sehr dick“, erzählt Rainer Jerger und lacht. Sie hätten gar nicht durch den schmalen Aufstieg gepasst. So kletterte der Mesner in die Turmspitze und hielt für eine gefühlte Ewigkeit einen Stab mit einer Kugel daran für die Vermesser in die Höhe. „Es war bitterkalt“, erinnert er sich.

Vom Kaufmann zum Mesner

Wie diese Anekdote beweist, wusste Rainer Jerger trotz all der wiederkehrenden Arbeiten, die das Kirchenjahr vorgibt, eigentlich nie genau, was ihn am nächsten Tag erwarte würde. Das habe er an seiner Arbeit besonders genossen, sagt er. Zum Mesnerdasein kam er überhaupt ganz unverhofft. Nach seiner Kindheit in der Neckarvorstadt war er beruflich im kaufmännischen Bereich tätig. Zur Kirche hatte er nach seiner Konfirmation kein enges Verhältnis, er empfand sie zeitweise als moralisch. Als er das Angebot, Mesner zu werden, annahm, änderte sich das. Über den Beruf fand er einen neuen Zugang zum Glauben. „Mein kommerzielles Leben wandelte sich nach und nach zu einem Fest“, beschreibt er die Entwicklung in seinen Abschiedsworten im aktuellen Gemeindebrief.

Über seine handwerklichen Pflichten hinaus sah Jerger es all die Jahre als seine wichtigste Aufgabe, für die Menschen im Sinne Jesu da zu sein. Dementsprechend beliebt und bekannt ist der Mesner in der 1600 Mitglieder starken Gemeinde. Er kenne sehr viele von ihnen persönlich, noch mehr kennen ihn. „Wenn mich jemand irgendwo länger als drei Sekunden anguckt, sage ich ,Grüß Gott‘, denn dann kennt derjenige mich wohl“, sagt Jerger und lacht.

Kein Ruhestand, sondern einfach etwas Neues

Seine bezahlte Tätigkeit an der Stadtkirche endet, sein Auftrag von Gott, für den Nächsten da zu sein, nicht, schreibt Jerger weiter in seinen Abschiedsworten. So bleibt er auch noch fünf Jahre ehrenamtlich im Mesnerbund tätig. In diesem ist er seit einigen Jahren nicht nur Mitglied, sondern auch Ansprechpartner für andere Mesner im Kirchenbezirk. Sie wird er weiterhin in allen Fragen beraten – vom besten Putzmittel für einen Kirchensteinboden bis zu Glaubens- oder Rechtsfragen. Weitere Pläne habe er noch nicht geschmiedet, sagt Jerger. Er will sich einfach all jenen Dingen widmen, für die er bisher keine Zeit hatte. „Ich gehe nicht in den Ruhestand“, sagt er. „Ich mache nur etwas Neues.“