Tasten sich mit schauspielerischer Bravour an die sensiblen Fragen in „Melody Baby“ heran: Lucie Debay und Rachael Blake Foto: Verleih

Zwei Frauen und eine Leihmutterschaft: Bernard Bellefroid bricht ein Tabu, ohne Stellung zu beziehen. Der junge Filmemacher nimmt in seinem zweiten Spielfilm das heikle Thema als Aufhänger für eine Verbindung zwischen zwei Menschen, die sich sonst nicht begegnet wären.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Melodys Baby"

Am Anfang: ein Deal. Zwei Frauen mustern sich von Kopf bis Fuß. Stille trennt sie voneinander. Dann die schlichte Frage der einen an die andere: „Was verlangen Sie für das Austragen meines Kindes?“ „50 000 Euro.“

Der junge Filmemacher Bernard Bellefroid (Buch und Regie) nimmt in seinem zweiten Spielfilm das heikle Thema der Leihmutterschaft als Aufhänger für eine Verbindung zwischen zwei Menschen, die sich sonst nicht begegnet wären. Dabei wirft er moralische, ethische Fragen auf, die tief schürfen, ohne sich anzumaßen, sie zu beantworten. Ist eine Eltern-Kind-Beziehung genetisch oder emotional bedingt? Besitzt man ein Kind? Wie wichtig ist es, seine Wurzeln zu kennen?

Viel wissen die Zuschauer nicht über diese beiden Frauen, als sie in die Ukraine fliegen, um Melody (Lucie Debay) dort mit einer Samenspende aus den USA künstlich befruchten zu lassen. Noch nicht, dass Melody ihre eigene Mutter nicht kennt, noch nicht, dass Emily (Rachael Blake) schwer krank ist.

Nur, dass Melody dringend Geld braucht, um sich ihren Traum vom eigenen Friseurladen zu erfüllen, dass sie stets woanders schläft, tagsüber ihren Rucksack unter einer Brücke versteckt und Flyer in Briefkästen stopft, auf denen sie Hausbesuche zum Haareschneiden anbietet. Und dass die Britin Emily als erfolgreiche Geschäftsfrau in Firmen-Meetings das Sagen hat, bevor sie daheim ihre Finger über das Mobile streifen lässt, das im leeren Kinderzimmer hängt.

Ihre Schicksale verschmelzen

Nach der Ukraine gibt es kein Zurück für die beiden Frauen; ihre Schicksale verschmelzen. Ein Ungeborenes nistet sich in Melodys Körper ein, diese sich in Emilys Villa. Dort begeben sie sich auf eine zwischenmenschliche Reise, in der große Fragen nach Her- und Zukunft, Wurzeln und Zugehörigkeit, Abhängigkeit und Vertrauen verhandelt werden. Verbunden durch das Kind, das ihnen irgendwie beiden gehört und zugleich keiner von ihnen, taucht immer wieder das Motiv der verschlossenen Tür zwischen ihnen auf, die es zu überwinden gilt.

Bellefroid ist mit diesem wuchtig zarten Drama ein Film gelungen, der ein Tabu bricht, ohne Stellung zu beziehen. Er erzählt eine Geschichte, die auch anders verlaufen könnte, die eine Facette dieses hochsensiblen Themas zeigt, ohne sie in Stein zu meißeln. Ein Kunstgriff auch die kluge Kameraführung David Williamsons, der die Charakterstudie bildlich umsetzt. Während Melody meist draußen ist, wird Emily primär in geschlossenen Räumen eingefangen. Je näher sie sich in ihrer Einsamkeit kommen, desto mehr verschmelzen auch die Räume.

Die Frauen tasten sich mit schauspielerischer Bravour an die sensiblen Fragen des Films heran – nicht umsonst wurden sie 2014 auf dem World Film Festival in Montreal gemeinsam als beste Darstellerin ausgezeichnet. Die junge Lucie Debay brilliert in ihrer unnahbaren Weichheit, ihrem reglosen Blick, ihrer reichen Mimik: Mit jedem Zucken auf dem OP-Tisch erzählt sie eine Geschichte für sich. An ihrer Seite die erfahrene Rachael Blake, die sich mit überragender Wandlungsfähigkeit von der starken Geschäftsfrau zur Schwerstkranken entwickelt – mit eingefallenem Gesicht, Verzweiflung in die Augen geschrieben.

Am Ende lassen die beiden in ihrem berührendem Zusammenspiel die Figuren in der jeweils anderen genau das finden, das ihnen immer fehlte: Die eine eine Mutter, die andere ein Kind.

Unsere Bewertung zu "Melodys Baby": 4 von 5 Sternen - empfehlenswert.

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