Viele Klassen bleiben voll Foto: dpa

Die Landesregierung streicht zum neuen Schuljahr weniger Lehrerstellen als ge- plant. Statt 1200 sollen nur noch 363 Stellen wegfallen. Grund: Die Zahl der Schüler sinkt langsamer als erwartet

Stuttgart - Die Zahl der Schüler in Baden-Württemberg geht langem um mehrere Tausend Schüler zurück. Nach den Sommerferien werden in den Klassenzimmern der öffentlichen Schulen aber 14 500 Schüler mehr sitzen, als die Vorausrechnung des Statistischen Landesamtes aus dem Jahr 2010 erwarten ließ. „Mehr Schüler bedeutet auch, dass wir mehr Lehrer brauchen“, sagte Kultusminister Andreas Stoch (SPD) am Freitag in Stuttgart. Deshalb werden zum 1. September nur 363 frei werdende Stellen nicht wiederbesetzt. Nach früheren Plänen von Grün-Rot sollten in diesem Jahr 1200 Stellen wegfallen. Bereits 2013 waren 1000 Lehrerstellen gestrichen worden.

Ein Grund für die höheren Schülerzahlen ist die Zuwanderung. Um Kindern von Einwanderern und Flüchtlingen das Deutschlernen zu erleichtern, sollen sogenannte Vorbereitungsklassen gebildet werden. Dafür werden 200 Lehrerstellen eingesetzt. Weitere Stellen sind auch notwendig für die 177 neuen Ganztagsschulen, die bis zu zwölf Lehrerstunden wöchentlich pro Ganztagsklasse erhalten.

Inzwischen ist die Landesregierung von ihrem Vorhaben abgerückt, bis zum Jahr 2020 insgesamt 11 600 Lehrerstellen zu streichen. Eine neue Zahl wollte Stoch allerdings nicht nennen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte kürzlich erklärt, dass voraussichtlich 3000 Lehrerstellen weniger wegfallen sollten, weil im Jahr 2020 voraussichtlich 70 000 Schüler mehr erwartet würden als bisher angenommen. Das Statistische Landesamt hatte 2010 mit einem Rückgang von etwa 194 000 Schülern gerechnet, nach der neuen Vorausrechnung sind es noch 110 000 Schüler weniger.

Einen leichten Anstieg vermuten die Statistiker 2020 bei den Grundschulen, einen stärkeren bei den neuen Gemeinschaftsschulen. An allen weiterführenden Schulen sagen sie weniger Schüler voraus.

Künftig werde jedes Jahr neu berechnet, wie viele Stellen notwendig sind, um die Unterrichtsversorgung sicherzustellen und um Vorhaben wie den Ausbau der Ganztagsschule und die Inklusion, den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung, umzusetzen, sagte Stoch. Bisher wurden die Daten alle drei Jahre aktualisiert – zuletzt wegen der Volkszählung 2011 erst nach vier Jahren.

Die Veränderungen in der Schullandschaft erschwerten die Vorausrechnung von Schülerzahlen, sagte Brenner. Durch die Einführung der Gemeinschaftsschule, die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung und den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen könnten sich die Statistiker nicht mehr auf bisherige Erfahrungen verlassen.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft begrüßt, dass die Schülerzahlen in Zukunft jährlich aktualisiert werden. „Die Forderung zur Streichung von 11 600 Lehrerstellen ist durch Kaffeesatzleserei entstanden“, sagte die Landesvorsitzende Doro Moritz. Nötig sei eine Bildungspolitik, die anhand realistischer Zahlen den nächsten Landeshaushalt plane und die Entwicklung der Qualität in den Klassenzimmern stärker in den Blick nehme.

An den beruflichen Schulen blieben die Zahlen in den nächsten drei Jahren stabil, deshalb dürften dort auch keine Stellen gestrichen werden, forderte der Landesvorsitzende des Berufsschullehrerverbands, Herbert Huber. In den Teilzeitklassen sitzen weniger Schüler – und zwar, weil immer weniger junge Menschen eine duale Berufsausbildung machen. In den Vollzeitschulen hingegen steigen die Zahlen, unter anderem durch den Ausbau des beruflichen Gymnasiums. Deshalb seien mehr Lehrer nötig, so Huber. „Für einen Vollzeitschüler muss etwa die 2,5-fache Anzahl von Unterrichtsstunden aufgewendet werden wie für einen Berufsschüler im ausbildungsbegleitenden Berufsschulunterricht.“

Das Kultusministerium habe das von der CDU angemahnte Bedarfsdeckungskonzept bis heute nicht vorgelegt, kritisierte der bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Georg Wacker. Stoch stoße „munter Veränderungen an, ohne die konkreten Auswirkungen auf die Situation der Lehrer zu berücksichtigen“. Er nutze die neuen Zahlen der Statistiker, „um mit Blick auf die Landtagswahl die Vorgabe der Stelleneinsparung abzuschütteln.“

Sein FDP-Kollege Timm Kern erklärte, die Landesregierung sei sich über die Konsequenzen ihres Handelns nicht im Klaren. „Wer die verbindliche Grundschulempfehlung abschafft, keine Vorsorge für das sich dadurch ändernde Schulwahlverhalten trifft und Notenhürden kippt, hätte eigentlich mit einem längeren Verweilen zahlreicher Schüler in der Schule rechnen müssen.“