Voller Durchblick: Kinder, die auf einem Auge schlechter sehen, können mit neuen Therapien besser behandelt werden. Foto: Alejandro/AdobeStock

Mehr als fünf Prozent der Kinder in Deutschland leiden an einer Schwachsichtigkeit. Um diese auszugleichen, kleben die Ärzte die betroffenen Augen ab. Nun stellen Forscher eine neue Therapie vor – und lassen die Kinder am Computer spielen.

Stuttgart - Wie oft wurde man als Kind ermahnt, auf sein Augenlicht zu achten – beim heimlichen Lesen unter der Bettdecke beim funzeligen Licht der Taschenlampe beispielsweise. Oder wenn man beim nächtlichen Fernsehgucken oder Computerspielen erwischt wurde: „Kind“, hieß es dann oft, „verdirb dir nicht die Augen.“ Tatsächlich deuten Studien darauf hin, dass das stundenlange Sitzen vor dem Computer durchaus der Sehkraft schadet und die Kurzsichtigkeit fördert. Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein: Frankfurter Wissenschaftler wollen Kinder mit Sehschwäche zum Computerspielen mit moderner Displaytechnologie, 3-D-Monitoren oder Virtual-Reality-Brillen schicken – um herauszufinden, ob dabei die Augen trainiert und das räumliche Sehen gefördert werden kann.

Was paradox klingt, ist als weiterer Ansatz gedacht, die kindliche Schwachsichtigkeit, medizinisch Amblyopie genannt, noch besser zu therapieren. Betroffene können schlecht Entfernungen abschätzen oder Abstände, weil ihr räumliches Sehen beeinträchtigt ist. Das liegt daran, dass ihr rechtes und ihr linkes Auge dem Gehirn unterschiedliche Bilder liefern: ein scharfes und ein eher verschwommenes. „Das Gehirn sucht sich das bessere Bild dann aus und ignoriert das schlechtere“, sagt Rolf Stiasny, Landesvorsitzender des Berufsverbands der Augenärzte Baden-Württemberg.

Je ausgereifter das Gehirn, desto geringer der Therapieerfolg

Diese Schwachsichtigkeit gilt als eine der häufigsten Sehstörungen im Kindesalter. Nach Angaben der Deutschen Ophtalmologischen Gesellschaft (DOG) sind nach neueren Erhebungen mehr als fünf Prozent aller Kinder in Deutschland betroffen, mehr – so die Experten – als früher angenommen. „Der Grund dafür kann ein kaum wahrnehmbares Schielen sein oder eine unkorrigierte Fehlsichtigkeit“, sagt Rolf Stiasny. Betroffenen Kindern verordnen Augenärzte zuerst eine Brille, um eine Fehlsichtigkeit zu korrigieren. Danach folgt die sogenannte Okklusionstherapie: „Dabei wird dem Kind täglich das gesunde Auge für einen gewissen Zeitraum zugeklebt“, erklärt der Augenarzt David Kubiak vom Augencentrum Südwest. Auf diese Weise wird seine Sehkraft trainiert, bis es nach wenigen Wochen oder Monaten die Umwelt gut wahrnimmt – „unter der Voraussetzung, dass man früh mit der Therapie beginnt“, sagt Kubiak. Und zwar in der Zeit, in der das kindliche Sehsystem noch nicht ausgereift ist. Denn je ausgereifter die Gehirnteile sind, die Sehreize verarbeiten, desto geringer ist der Therapieerfolg.

Nach Angaben der DOG galt lange das Alter von sechs bis sieben Jahren als Grenze für die Behandlung der Amblyopie mit der Okklusionstherapie. Wenn diese frühe und konsequente Therapie unterbleibe oder nicht erfolgreich sei, wirke sich der Verlust des besseren Auges im Erwachsenenalter noch gravierender aus, warnte im September die DOG bei ihrem Jahreskongress.

Die Frankfurter Forscher wollen nun herausfinden, ob diese Altersgrenze nicht weiter nach hinten verschoben werden kann: Neurowissenschaftliche Erkenntnisse hätten gezeigt, dass eine erfolgreiche Amblyopietherapie auch im Schulalter noch möglich sei, so Maria Fronius, Leiterin der Forschungsgruppe am Uniklinikum Frankfurt. Zusammen mit anderen Wissenschaftlern untersucht sie in einem EU-Projekt Computerspieltherapien, die die Projektpartner entwickelt haben. Die Spiele seien so konzipiert, dass sie das schwachsichtige Auge stärken und zur beidäugigen Zusammenarbeit stimulieren. Dabei werde bei der Darstellung am Display mit unterschiedlich kontrastreichen Bildern für die beiden Augen gearbeitet. Ob der Ansatz der richtige ist, muss sich zeigen: Die Spiele sollen am Uniklinikum getestet werden.

Computerspiele können helfen

Erste Erfahrungen mit computerspielgestützten Maßnahmen bei der Amblyopietherapie gibt es bereits – zumindest im Kindesalter, wie die in Fellbach niedergelassene Augenärztin Roya Amiri bestätigt: In ihrer Praxis erhalten Patienten, bei denen die herkömmliche Okklusionstherapie nicht gleich den gewünschten Erfolg erzielt, eine ergänzende webbasierte Stimulationstherapie, die aus einem Forschungsprojekt der Uni Dresden entstanden ist.

„Danach können betroffene Kinder am heimischen Computer spielerisch ihr schwaches Auge trainieren und so dessen Sehfähigkeit verbessern“, sagt Amiri. Und die „Caterna Sehschule“ genannte Behandlung zeigt Erfolge: „Bei einigen Kindern hat sich dadurch das Sehvermögen verbessert.“ Allerdings werde die Therapie nicht komplett und schon gar nicht von allen Krankenkassen bezahlt. Nur die Barmer-GEK übernimmt sämtliche Kosten.

Konsequenz ist wichtig

Daran, dass die modernen computergestützten Verfahren irgendwann die gängige Pflasterbehandlung ablösen werden, glaubt aber keiner der Augenärzte. „Dazu ist die klassische Okklusionstherapie zu erfolgreich“, sagt der Landesvorsitzende des Berufsverbands der Augenärzte, Stiasny. Er erzählt von zwei Kindern, die dank der Kombination aus Brille und Pflaster innerhalb weniger Wochen einen Großteil ihrer Sehschwäche kompensieren konnten. „Wichtig ist aber, dass die Eltern und das hinter der Therapie stehen und die Anweisungen strikt befolgen.“ Die Frankfurter Forscherin Maria Fronius warnte davor, sich auf eigene Faust im Netz zugänglichen Computerspielmethoden zu unterziehen. Zu groß seien die Risiken. Und, so fügt sie hinzu, „bis dato gibt es zu wenige aussagekräftige Studien, um bewährte Therapieverfahren zugunsten alternativer Behandlungen zu verwerfen.“

Ein Sensor überwacht die Behandlung

Therapie Wie erfolgreich eine Amblyopie behandelt werden kann, hängt unter anderem stark von der Mitarbeit des Kindes und der Motivation durch die Eltern ab. Und die empfinden die Pflastertherapie nicht unbedingt als angenehm. Das Aufkleben ist lästig, das Pflaster sorgt teils für Spott. Zwar gibt es bunte Modelle, die auch Kindern gefallen, dennoch sind Forscher bemüht, neue Ansätze für die Therapietreue zu finden.

Kontrolle
Bis vor Kurzem bestand keine Möglichkeit, die Tragezeit von Brille und Pflaster zu kontrollieren. Das kann jetzt ein Sensor übernehmen, der in Tübingen zum ersten Mal in der Augenheilkunde eingesetzt worden ist und für die Dauer von drei Monaten auf Brillenbügel oder Pflaster geklebt wird. „Dieser Mikrochip misst die Tragezeit“, sagt Charlotte Schramm von der Uni-Augenklinik Tübingen. „Damit können wir die Therapiedauer erfassen und die Behandlung besser steuern.“ Studien zeigten, dass die tatsächlich durchgeführte Okklusion oft deutlich geringer ist als die vorgeschriebene. Das würde Eltern und Kinder motivieren, sich stärker an die Therapie zu halten.

Projekt Die Therapie ist Teil eines Forschungsprojektes. Wer Interesse hat teilzunehmen, kann sich in der Augenklinik Tübingen melden: augenklinik@med.uni-tuebingen.de