Auch ein schlanker Mensch sollte regelmäßig seinen Blutdruck, den Fettstoffwechsel und den Blutzuckerspiegel untersuchen lassen Foto: pathdoc – adobe stock

Etwa jeder fünfte Schlanke hat eine ernst zu nehmende Stoffwechselstörung und ein erhöhtes Sterberisiko.

Stuttgart - Bislang glauben viele, dass erwachsene Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) im normalen Gewichtsbereich – dieser liegt zwischen 18,5 und 24,9 kg/m² – das geringste Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Tod haben. Wer stark übergewichtig ist, hätte dagegen ein deutlich erhöhtes Risiko. Doch gilt das wirklich für alle Menschen mit einem BMI, der im normalen Gewichtsbereich liegt? „Die Antwort lautet Nein“, sagt Norbert Stefan, Professor für klinisch-experimentelle Diabetologie an der Medizinischen Klinik IV des Universitätsklinikums Tübingen. Wer schlank ist, glaubt zumeist, dass er gesund ist. „Das denken auch nicht wenige Hausärzte, wenn sie einen schlanken Patienten vor sich sitzen haben. Das kann dann dazu führen, dass leicht erhöhte Werte für Blutdruck, Blutzucker oder Blutfette nicht ernst genug genommen werden“, sagt Stefan.

Der BMI hat aber nur eine begrenzte Aussagekraft. „Ein normaler BMI reicht nicht aus, um sich sicher und voll gesund fühlen zu können“, sagt auch der Ernährungsmediziner und Diabetologe Hans Hauner, Professor und Direktor des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin in München.

Ungesunde Schlanke

Die Forschung der letzten Jahre hat gezeigt, dass es nötig ist, genauer hinzuschauen. Nicht alle stark übergewichtigen Menschen mit einem BMI über 30 kg/m² sind auch stoffwechselkrank. „Ein Teil, die sogenannten stoffwechselgesunden Dicken – wir bezeichnen sie als MHO für metabolically healthy obese –, hat mit 25 Prozent ein nur mäßig höheres Sterberisiko und Risiko für das Auftreten eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls. Das Risiko Schlanker mit gestörtem Stoffwechsel ist dagegen um 300 Prozent erhöht“, sagt Stefan. Doch wie erkennt man ungesunde Schlanke? Welche Charakteristiken haben sie? Eine unlängst im Fachmagazin „Cell Metabolism“ veröffentlichte Studie von Norbert Stefan, Fritz Schick und Hans-Ulrich Häring vom Universitätsklinikum Tübingen, vom Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) und vom Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen (IDM) des Helmholtz Zentrums München hat nach Antworten auf diese Frage gesucht und hierfür die Daten von 981 schlanken Probanden analysiert.

Die Forscher definierten all jene Menschen als stoffwechselgesund, die weniger als zwei Risikofaktoren des metabolischen Syndroms haben. Es bezeichnet die Kombination aus starkem Übergewicht mit meist bauchbetonter Fetteinlagerung (Adipositas), Bluthochdruck, der der wichtigste Risikofaktor für einen Schlaganfall ist, einem gestörten Fettstoffwechsel und erhöhtem Blutzuckerspiegel. Das metabolische Syndrom ist auch als „tödliches Quartett“ bekannt. Der gestörte Zuckerstoffwechsel kann sich in Form einer Insulinunempfindlichkeit, auch Insulinresistenz genannt, bemerkbar machen. Infolgedessen steigt der Blutzuckerspiegel weiter an, die Insulinproduktion wird gesteigert, und es kommt zu einem Missverhältnis zwischen Insulin und Glucose. Die Fetteinlagerung ist gesteigert, der Fettabbau gehemmt. Ernährungsbedingte Fetteinlagerungen in die Leber, eine sogenannte nicht alkoholische Fettleber, gilt als fünfter Risikofaktor und assoziiertes Mitglied des Quartetts.

Die Tübinger Forscher stellten fest, dass 18 Prozent der 981 schlanken Probanden einen gestörten Stoffwechsel haben. Dieses Ergebnis ist mit jenem früherer Studien fast deckungsgleich.

Blutwerte regelmäßig kontrollieren

Mittels Magnetresonanztomografie und Magnetresonanzspektroskopie untersuchten die Wissenschaftler die Körperfettmasse, ihre Verteilung über den Körper und den Fettgehalt der Leber. Weiterhin bestimmten sie die Werte für die Insulinempfindlichkeit, von der Bauchspeicheldrüse freigesetzte Insulinmenge und die Dicke der Schlagaderwand, die ein Maß für arteriosklerotische Veränderungen ist. Es zeigte sich, dass eine geringe Fettspeichermenge an den Beinen bei schlanken Menschen der deutlichste Hinweis auf eine Stoffwechselstörung ist. „Je höher die Insulinresistenz bei einem Studienteilnehmer war, desto weniger Fett hatte der Betreffende an den Beinen“, so Stefan. Offenbar liegt bei den Betroffenen ein Fettspeicherproblem vor, ähnlich einer Lipodystrophie. Bislang geht man laut Stefan von zwei Ursachen für diese Speicherstörung aus: eine genetische Veranlagung und eine Verminderung von Geschlechtshormonen. „Bei der Frau ist es das Östrogen, das nach der Menopause stark abfällt. Genau zu diesem Zeitpunkt beginnt bei vielen Frauen die Verminderung der Fettmasse an den Hüften und an den Beinen. Beim Mann ist man noch nicht sicher, ob männliche Geschlechtshormone hierfür bedeutsam sind“, sagt Stefan. Das Fett lagere sich dann vermehrt als viszerales Fett, also Fett innerhalb des Bauchraums ab.

Handlungsbedarf auch bei Dicken

Nach Stefans Vorstellungen sollten die Studienergebnisse möglichst in den hausärztlichen Alltag einfließen: „Wenn normalgewichtige Menschen mit zwei oder mehr zum metabolischen Syndrom zählenden Größen kommen und/oder zusätzlich Stöckelbeine haben, ist es wichtig, frühzeitig ganz genau zu untersuchen, ob Stoffwechselerkrankungen vorliegen“, rät Stefan. Sollten Blutwerte beim Arztbesuch nur leicht erhöht sein, hätte man die Möglichkeit, die Werte durch Lebensstilveränderungen zu normalisieren. „Sollte ein sehr schlanker Mensch bereits an Typ-2-Diabetes erkrankt sein, dann wäre eine medikamentöse Behandlung wichtig, die die Unterhautfettmasse erhöht“, so der Tübinger Mediziner. Hierfür eignen sich Glitazone (Thiazolidinedione). Sie fördern die Aufnahme des Blutzuckers in das Gewebe und wirken deshalb blutzuckersenkend.

Stefan sieht auch bei den gesunden Dicken Handlungsbedarf: „Zwar wird nicht jeder gesunde, stark übergewichtige Mensch im Laufe der Jahre krank, aber das Risiko ist gegeben. Deshalb ist es wichtig, frühzeitig durch Gewichtsabnahme etwaigen später einsetzenden Stoffwechselveränderungen entgegenzuwirken.“