Das Gesicht von Stuttgart hängt im Welcome Center am Charlottenplatz. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Der Medienkünstler Wolf Nkole Helzle hat für das neue Welcome Center am Charlottenplatz 1387 Stuttgarter fotografiert und daraus ein Gesicht erschaffen. Mit seiner Arbeit möchte er Individuum und Gemeinschaft in eine Beziehung zueinander setzen.

Stuttgart - Herr Helzle, Sie haben schon zahlreiche Bilder des Homo Universalis erschaffen, darunter eines, das im Stuttgarter Welcome Center hängt. Haben Sie selbst vorher eine Ahnung, wie das Gesicht aussehen wird?
Nein, das überrascht mich auch jedes Mal aufs Neue. Aber es ist nicht nur der Moment, wenn das Bild fertig ist, der mich fasziniert. Zu dem Projekt gehört auch der Entstehungsprozess. Den freundlichen Ausdruck in dem Gesicht des Bildes im Welcome Center würde man beispielsweise nicht bekommen, wenn man die Menschen in eine Fotokabine setzt. Der Ausdruck entsteht durch die persönliche Begegnung zwischen Fotograf und Porträtiertem. Und mit dem fertigen Bild ist der Prozess auch noch nicht vorbei. Wenn man es aufhängt, reagieren die Menschen schließlich darauf.
Wie reagieren die Menschen denn?
Oft mit Neugierde. Und diejenigen, die sich dafür haben fotografieren lassen, empfinden es meist als etwas Besonderes, wenn sie Teil eines Kunstwerks geworden sind.
Warum hängen Sie neben den Homo Universalis auch immer ein Bild mit den ganzen Einzelporträts, aus denen das Bild besteht?
Das eine geht für mich nur zusammen mit dem anderen. Es geht mir darum, dass die Individuen nicht in der Masse unter gehen. Aus meiner Biografie heraus habe ich erlebt, dass es weder richtig ist, sich im Kollektiv aufzugeben, noch dass man das Kollektiv verteufeln sollte.
Sie wurden im Jahr 1950 geboren.
Damals waren die Menschen traumatisiert vom Kollektiv der Nazizeit. Ich bin zu Zeiten des Kalten Krieges aufgewachsen, als man bei uns das Kollektiv der DDR verteufelte und stattdessen die Freiheit des Individuums – wie sie in den USA vorgelebt wurde – feierte. Wir erleben deswegen auch heute Defizite im kollektiven Bereich. Zum Beispiel wenn Vereine keine Mitglieder mehr finden. Das Individuelle will man nicht mehr aufgeben, sondern man will in einer Gemeinschaft auch als Individuum gesehen werden. Mir geht es darum, beides wieder in Beziehung zueinander zu setzen.
In welcher Beziehung stehen Individuum und Kollektiv zueinander?
Es geht nicht darum, in der Masse verloren zu gehen. Nach dem Motto: Da kann ich sowieso nichts bewirken. Einer von sieben Milliarden Menschen auf der Welt zu sein, das kann man sich erst einmal gar nicht vorstellen. Das bedeutet, sieben Milliarden Gehirne, die arbeiten. Sieben Milliarden Herzen, die schlagen. Das ist für mich eine Superpower. Ich bin stolz darauf, ein Teil davon zu sein. Daraus kann man Kraft ziehen. Das Menschliche drückt sich in sieben Milliarden Versionen aus.
Wie viele Menschen haben Sie schon mit der Kamera porträtiert?
Inzwischen sind es über 40 000 Menschen, die ich in den letzten 20 Jahren in vielen Ländern fotografiert habe.
Sie sind Medienkünstler. Was bedeutet das?
Ich bediene mich bei meiner Arbeit verschiedener Medien wie Fotografie, Video und Computer. Ich habe zwar ursprünglich Malerei studiert, aber das mache ich heute gar nicht mehr. Die Fotografie ist ein wesentlicher Teil meiner Kunst. Anschließend bearbeite ich die Fotos mit einer Software.
Warum haben Sie sich gegen die Malerei entschieden?
Ich habe knapp zwanzig Jahre lang in der Hard- und Software-Industrie gearbeitet, um meine Familie zu ernähren, und kenne mich in dem Bereich gut aus. Daher hat sich das angeboten. Außerdem verbringen wir viel Zeit in der digitalen Welt und ich hätte es schade gefunden, wenn es in dieser Welt keine Kunst gibt.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Homo Universalis zu erschaffen?
Das hat sich über die Jahre entwickelt, bis es zu dem geworden ist, was es heute ist. Ich habe ursprünglich an einem anderen Projekt gearbeitet. Dabei lagen die Porträts nebeneinander und ein Gesicht ging ins nächste über. Irgendwann habe ich mich gefragt, was passiert, wenn ich die Gesichter übereinander lege. Damit habe ich experimentiert und eine neue Software entwickeln lassen, mit der man tausende Porträts gleichberechtigt übereinander schichten kann.
Sollen noch weitere Homo Universalis folgen?
Unbedingt. Ich bin mit meiner Arbeit viel gereist und habe viele unterschiedliche Menschen porträtiert. Das geht auch weiter, dieses Jahr kommt zum ersten Mal China dran. Aber um das große Ganze zu begreifen, muss ich noch mehr Länder und deren Kultur und Menschen kennenlernen. Ich denke, das bin ich meiner Arbeit schuldig. Nach Indien und Südamerika will ich auf jeden Fall noch reisen. Ich brauche aber immer jemand, der mir dafür einen Auftrag gibt und mir auch die Räume und Organisation darum herum zur Verfügung stellt.
So wie bei dem Projekt für das Welcome Center in Stuttgart. Warum war diese Aufgabe so eine besondere Freude für Sie?
Weil es bei meiner Arbeit um einen verwandtschaftlichen Gedanken geht, der auch hinter dem Welcome Center steckt. Durch meine Arbeit lerne ich viele Menschen kennen. So bekomme ich ein Verständnis für ihre Kultur, aber gleichzeitig auch für mich selbst. Ich bekomme ein Verständnis dafür, welche Rolle ich in dem großen Ganzen spiele, das sich Menschheit nennt. Die Begegnung mit Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, ist schließlich keine Einbahnstraße. Es ist nicht so, dass sie uns etwas wegnehmen wollen. Wir können von diesen Begegnungen lernen, denn diese Menschen haben etwas zu geben. Durch die Arbeit für das Welcome Center hatte ich außerdem die Chance, ein Bild zu erschaffen, das sich aus vielen verschiedenen Nationalitäten zusammensetzt.