Gefahr Vogelgrippe: Der baden-württembergische Agrarminister Bonde hat Vorsichtsmaßnahmen veranlasst Foto: dpa

Beim bisher letzten Ausbruch der Vogelgrippe 2006 hat Baden-Württemberg 800 000 Einheiten des Medikaments Tamiflu vorgehalten. Jetzt ist eine Variante des Virus auf dem Vormarsch. Doch vieles ist diesmal anders – kein Grund zur Panik, sagen Fachleute.

Radolfzell - Nachdem in Mecklenburg-Vorpommern das Geflügelpest-Virus H5N8 aufgetreten ist, hat Landesagrarminister Alexander Bonde (Grüne) eine Stallpflicht für Geflügel 500 Meter um Bodensee und Rhein verfügt. Dort sollen Hühner, Puten und Gänse deshalb im Stall bleiben, weil es an beiden Gewässern viele Wildvögel gibt.

Bislang ist allerdings noch vollkommen unklar, ob Wildvögel überhaupt die Verbreiter des Virus sind. Wolfgang Fiedler, Wissenschaftler am Max-Plack-Institut für Ornithologie in Radolfzell, ist überzeugt, dass das Virus nicht über Wildvögel aus Asien nach Europa gelangt ist. „Dann wäre eine Ente unter voller Krankheitsbelastung 19 Tage lang 8500 Kilometer bis nach Norddeutschland geflogen.“ Nicht ausschließen allerdings will Fiedler, dass Wildvögel das Virus kleinräumig weiterverbreiten können, wenn es erst einmal hier ist.

Panik wäre aus Sicht des Wissenschaftlers unangebracht, auch wenn „das Seuchengeschehen ähnlich“ sei wie 2006 beim Virus H5N1. Dieses Jahr ist allerdings die Witterung hilfreich. Zum einen kämen durch die milden Temperaturen weniger Zugvögel in den Süden, sagt Fiedler. Zum andern rotteten sie sich bei Wärme nicht so dicht zusammen – die Ansteckungsgefahr sei geringer. Und drittens liebt das Virus eher ein kaltes feuchtes Klima.

In diesem kalt-feuchten Milieu dürfte es aus Asien auch nach Deutschland gelangt sein, vermutet Fiedler. Vermutlich über gekühltes Geflügel oder Geflügelteile: „Da hält es sich viele Tage.“ Andererseits sind die verschiedenen Virusvarianten der Vogel- und Schweinegrippe nicht so langlebig, wie vielfach angenommen. „Wenn ihr Wirt stirbt, sterben sie mit“, sagt Fiedler. Das Prinzip der Viren ist, die Zelle in der sie leben, anzuweisen, sie zu kopieren. „Das Virus ist einfach Erbinformation mit einer Hülle“, sagt Fiedler. Die Zelle stirbt ab.

Weltweit gibt es laut Fiedler etwa 30 bis 40 verschiedene Grippearten mit der Bezeichnung HN – „aber höchstens eine Handvoll hochpathogene.“ Das sind jene, die überhaupt beim Tier bemerkt werden – weil es krank wird oder stirbt. In Baden-Württemberg wurden laut Fiedler 100 Enten untersucht. Jede Dritte hatte demnach schon einmal eine niedrigpathogene Vogelgrippe.

Menschen sind nach Kenntnis von Fiedler von dem aktuellen Virus-Typ H5N8 nicht infiziert, in Korea, Japan und China teilweise wohl aber Kleinsäuger, die kranke Vögel gefressen haben. Wie sich das Virus in Baden-Württemberg ausbreite, hänge davon ab, wie es zum Wirtstier passt. In einem Stall „mit fast lauter gleichen Tieren“ könne das unter Umständen sehr schnell sein.

Für resistenter hält Fiedler die Wildvögel in den Vogelschutzgebieten am Bodensee: „Die sind robust, da bin ich nicht besorgt.“ Auch das Vorgängervirus H5N1 habe nicht, wie befürchtet „ganze Schwärme von Vögeln umkippen lassen“. Vielmehr habe es nirgendwo ein Massensterben gegeben.

Der Naturschutzbund (Nabu) sieht das ähnlich. H5N1 sei nur in toten und niemals in lebenden Vögeln nachgewiesen worden. Der Nabu hält Wildvögel auch nicht für die wesentlichen Überträger. Bruteier und Eintagsküken gingen weltweit um ein Tausendfaches häufiger und wesentlich schneller auf Reisen als Zugvögel und hätten weitaus besseren Zugang zu Ställen als Wildvögel. Diese, so der Nabu, seien Opfer – und keine Täter. Auch nach dem Ausbruch 2006 habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, das Zugvögel zu unrecht als Verbreiter der Geflügelpest verantwortlich gemacht worden seien.