Kirchglocken dürfen tagsüber bis zu 60 Dezibel laut schlagen. Nachts liegt der Grenzwert bei 45 Dezibel. So steht es im Immissionsschutzgesetz. Foto: Miriam Jesenik

Wegen Anwohnerbeschwerden muss die evangelische Gemeinde Möhringen die Glocken der Martinskirche leiser stellen. Auch andere Pfarrer kennen das Problem. Die St.-Hedwig-Gemeinde hat mittlerweile sogar ein Siegel von der Dekra für ihr Geläut.

Möhringen - Am Montagvormittag stand die Zeit still in der Martinskirche. Die Zeiger an der großen Turmuhr waren stehen geblieben und auch die Kirchenglocken nicht mehr vernehmbar. Grund dafür waren Bauarbeiten der Firma Eisenhart, bei denen die Sicherung herausgenommen werden musste. „Wir müssen den Stundenschlag leiser stellen, weil es einige Beschwerden aufgrund des Lärms gab“, sagt Katharina Rienerth, die Mesnerin der Martinskirche. Bereits vergangene Woche hätten die Umbauarbeiten begonnen.

Werner Flad, der Leiter des Amtes für Umweltschutz, bestätigt, dass es mehrere Beschwerdeführer gegeben habe. Diverse Messungen hätten ergeben, dass das nächtliche Zeitschlagen den zulässigen Immissionswert von 45 Dezibel um bis zu 20 Dezibel überschreitet. Ein Wert von 45 Dezibel entspricht in etwa den üblichen Geräuschen in einer Wohnung. Bei 20 Dezibel mehr sind die Töne mit dem Lärm in einer Kantine vergleichbar. Ab einem Schallpegel von 60 Dezibel treten im Schlaf Stressreaktionen auf, sagen Wissenschaftler. In diesem Bereich liegen die Richtwerte zur Tageszeit. Deswegen fällt die Überschreitung tagsüber entsprechend geringer aus.

Damit nun die Lautstärke der Kirchenglocken variiert werden kann, wird ein zweites Schlagwerk eingebaut. „Bisher konnte man nur eine Lautstärke auswählen- laut oder leise. Dann war es zwar nachts leiser, aber tagsüber hat man das Schlagen kaum gehört und umgekehrt“, sagt Uwe Eisenhart, Geschäftsführer des gleichnamigen Turmuhrenbauers. Nach dem Einbau muss die Kirchengemeinde dann nachweisen, dass damit auch die Nachtwerte eingehalten werden.

Laut Flad hätten sich andere Kirchengemeinden in Stuttgart bereits dazu entschlossen, auf das nächtliche Glockenschlagen in der Zeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr zu verzichten. „Schädliche Umwelteinwirkungen müssen von den Nachbarn nicht hingenommen werden“, sagt der Amtsleiter. Die Behörde sei „von Amts wegen dazu gehalten, die Beeinträchtigungen abzustellen“, so Flad.

Die Bauarbeiten sind voraussichtlich bis Ende kommender Woche abgeschlossen. Bis dahin müssen noch die Kabel neu gelegt werden. Schon am Montagnachmittag waren die Uhr und die Glocken wieder funktionsfähig – und leiser. „Die genaue Einstellung machen wir dann ein, zwei Wochen später, wenn sich alles eingelaufen hat“, sagt Uwe Eisenhart.

„Ich vermute fast, dass unsere Gemeinde Auslöser für die Beschwerden war“, sagt Heiko Merkelbach, der Pfarrer der Sankt-Hedwig-Kirche. Denn mit dem Einbau eines neuen Glockenstuhls samt Glocke im Jahr 2012 waren auch in seiner Gemeinde Beschwerden der Nachbarn verbunden. Das Resultat: nachts wurde der Stundenschlag komplett abgestellt, tagsüber erklingt er nun deutlich leiser. Da hätten die Menschen gemerkt, dass sie gegen den Lärm vorgehen können, sagt Merkelbach. Denn der Stundenschlag gehört nicht zum liturgischen Läuten und genießt keinen besonderen Schutz. Der Pfarrer findet es trotzdem „schade“. Das Läuten sei ja schließlich ein Kulturgut. „Aber wir haben keine Wahl. Das Gesetz muss schließlich eingehalten werden.“

In einem langen Prozess, der bis zu den vergangenen Sommerferien dauerte, passte die Gemeinde die Lautstärke und die Summe der Schläge an die rechtlichen Vorgaben an. Dafür erhielt sie das Prüfsiegel der Dekra. Auch das Umweltamt habe bestätigt, dass der Stundenschlag die rechtlichen Vorgaben einhält, sagt der Pfarrer.

Etliche Nachbarn würden bedauern, dass die Glocken nun so leise schlagen. Es sei schade, dass einige wenige neben die Kirche ziehen und sich dann über das Läuten beschweren. „Manche Leute, die drei Straßen weiter wohnen, hören die Glocken schon gar nicht mehr.“