Martin Sonneborn sitzt seit Mai für „Die Partei“ im Europaparlament. Foto: dpa

Martin Sonneborn, der Chefsatiriker des Landes, sitzt seit Mai für „die Partei“ im Europaparlament. Was vielen missfällt. Doch wieviel Satire steckt in der Europäischen Volkskammer? Und liegt das tatsächlich nur an dem Ex-Titanic-Chef?

Brüssel/Strassburg - Von Chaos war die Rede. Von der Zersplitterung des Europaparlaments, dem Ende Europas, ja, vom Untergang der Demokratie gar. All diese Szenarien wurden an die Wand gemalt, als sich nach der Europawahl im Mai dieses Jahres ein Mann nach Brüssel aufmachte: Martin Sonneborn. Der Chefsatiriker des Landes, wie ihn die „Süddeutsche Zeitung“ einst betitelte, sitzt seitdem für Deutschland im Europaparlament. Angerichtet hat er allerdings noch nicht viel.

Seine Partei „Die Partei“ hatte dank der vorangegangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Dreiprozent-hürde für die Europawahl zu kippen, tatsächlich einen Abgeordnetensitz errungen. „Eigentlich wollten wir ja erst in den Bundestag“, sagt Sonneborn. Doch Brüssel war plötzlich sehr viel einfacher zu realisieren: Weil 184 709 Wähler (0,6 Prozent) Sonneborn im EU-Parlament sitzen sehen wollten, sitzt er da nun.

Damit ist er einer von 96 Europaabgeordneten aus Deutschland. Er ist der Ansicht, er sei nicht der schrägste Vogel, den man in Brüssel antreffen könne. „Parlamentspräsident Martin Schulz, Bernd Lucke von der AfD, die komplette FPÖ und ich – wir sind schon ziemliche Komiker“, sagt er.

Im Parlament stimmt er abwechselnd mit Ja und Nein

Was man Sonneborn zugute halten kann: Er macht das Europaparlament wenigstens absichtlich lächerlich und entlarvt dabei nicht selten die Absurdität der Politik. Die Grünen forderten den Veggie-Day, einen fleischfreien Tag in Kantinen, also kämpft Sonneborn für den Amazon-freien Mittwoch. Warum? „Einfach aus Scheiß“, sagt der „Partei“-Chef.

Im Parlament stimmt er – getreu dem Wahlslogan der Partei „Ja zu Europa, Nein zu Europa“ – immer abwechselnd mit Ja und Nein. Mit dieser Taktik hat er neulich sogar eine Abstimmung entschieden. Und war darüber erst einmal selbst schockiert. „Wir haben in 40 Minuten 204 Abstimmungen durchgeprügelt“, erzählt Sonneborn. „Eine wurde dann mit 343 Stimmen zu 342 Stimmen angenommen.“ Er hatte mit Ja gestimmt. „Ich war total baff.“ Was er genau entschieden hatte, wusste er natürlich nicht.

Seit die 751 gewählten Abgeordneten aus den 28 EU-Mitgliedstaaten am 1. Juli zum ersten Mal zusammenkamen, ist nun knapp ein halbes Jahr vergangen. Wurde das EU-Parlament durch die vergangene Wahl tatsächlich zum „Spaßparlament“? Und wenn ja: Liegt das nur an Martin Sonneborn?

An den anderen Vertretern sogenannter Splitterparteien aus Deutschland kann es zumindest nicht liegen. Immerhin kennt diese kaum einer mit Namen, geschweige denn echauffiert man sich über sie. Zur Information: Da wäre Julia Reda von der Piraten-Partei, Ulrike Müller von den Freien Wählern, Stefan Eck von der Tierschutzpartei, Arne Gericke von der Familienpartei, Klaus Buchner von der ÖDP (Ökologisch-Demokratische Partei) und – wohl nach Sonneborn der prominenteste Einzelkämpfer im EU-Parlament – Udo Voigt von der rechtsradikalen NPD.

Bei den Fraktionslosen mit den Rechten

Das Ironische: Ausgerechnet mit Voigt sitzt Sonneborn in einer Fraktion. In der der Fraktionslosen. Unter den 52 Mitgliedern dieser „Nicht“-Fraktion sind auch: Marine Le Pen und deren Parteikollegen vom französischen Front National und die niederländischen Rechtspopulisten der „Partei für die Freiheit“.

Sonneborn ist davon nur wenig begeistert. „Ich bin fraktionslos – also mit diesen Irren in einer Fraktion“, sagt er. Außer der örtlichen Nähe dürfte den ehemaligen Chefredakteur der Satire-Zeitschrift „Titanic“ mit diesen Kollegen nichts verbinden.

Wie in der Politik üblich, wird auch in Europa vieles beim Feierabendbier oder beim Mittagessen besprochen. Aber will überhaupt jemand mit Sonneborn essen? „Meistens gehe ich mit meinem Büroleiter zum Mittag“, sagt er.

Aber es ergebe sich doch manchmal, dass man auf den einen oder anderen Kollegen trifft. Letztens habe er mit dem Abgeordneten der Familienpartei an einem Tisch gesessen und die Gunst der Stunde genutzt, ihn mal zu fragen, was er eigentlich macht. „Er wolle, dass das Wort Familie öfter im Parlament vorkommt“, habe Arne Gericke geantwortet. Nach rund sechs Monaten im Amt steht daher für Sonneborn fest: „Ich glaube nicht, dass wir von der ,Partei‘ die Verrücktesten im Europaparlament sind.“

Leider kann man ihm da nicht widersprechen. Und fehlgeleitet ist, wer meint, dass lediglich Mitglieder von Splittergruppen, Euro-Skeptiker oder die Rechtspopulisten die Arbeit im Europaparlament ins Lächerliche ziehen.

„Was? Geil!“ - Realsatire in Reinform

Selbst etablierte Parteien wie die Grünen schaffen es, die europäische Volksvertretung als Witzveranstaltung zu degradieren. Anders ist das Video, in dem die EU-Abgeordneten Franziska „Ska“ Keller, Jan Philipp Albrecht und Theresa „Terry“ Reintke sich nach der Europawahl an die Wähler wenden, nicht zu deuten. Der gewollt coole, jedoch ungewollt peinliche Dialog zwischen Keller, Albrecht und der Neu-Abgeordneten Reintke geht etwa so: „Was machst du denn hier?“ „Ja, ich bin doch jetzt auch neu gewählte Abgeordnete.“ „Was? Geil!“ Realsatire in Reinform.

Nicht nur die Anwesenheit Martin Sonneborns, auch solche Aktionen sorgen dafür, dass Europa zwar nicht ernst- aber dafür wahrgenommen wird: Die You-Tube-Videos der Grünen aus dem Europaparlament haben sonst zwischen 100 und 700 Aufrufe – kurz vor der Wahl waren es auch mal 2700. Das erste Filmchen mit Terry Reintke wurde bis heute mehr als 565 000-mal angeklickt.

Öffentlich schimpfen viele EU-Abgeordnete über Sonneborn. „‚Spiegel-TV‘ interessiert sich nicht für das, was ernsthafte Abgeordnete tun, sondern nur für Spaßkandidaten wie Sonneborn“, sagt Ingeborg Gräßle (CDU), seit 2004 Mitglied des Europaparlaments. Auch die Arbeit der Parlamentarier werde erschwert. „In den Ausschüssen sind die Euro-Kritiker und Spaßkandidaten ein Arbeitsausfall“, sagt Gräßle. Eine richtige Geldverschwendung.

"Gerne mal einen Berater von McKinsey nach Brüssel mitnehmen"

Zum Thema Geldverschwendung fällt auch Sonneborn etwas ein. Ursprünglich hatte er vor, jeden Monat einen anderen Parteifreund ins Amt zu hieven und so die EU finanziell zu schröpfen. Heute beklagt er selbst so manche Verschwendung. Der nahezu monatliche Umzug des Parlaments von Brüssel nach Straßburg sei eine der sinnlosesten Einrichtungen des Europaparlaments, so Sonneborn. „Ich würde gerne mal einen Berater von McKinsey nach Brüssel mitnehmen, der das prüft.“

Bei aller Skepsis gegenüber dem Satiriker im Parlament: Er ist ein gewählter Abgeordneter. Auch das muss eine Demokratie aushalten. Und bevor es ganz schlimm kommt, scheint bei Sonneborn tatsächlich doch auch mal die Vernunft über die Satire zu siegen: Beim Misstrauensvotum gegen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, das die rechten Parteien seiner „Nicht“-Fraktion auf den Weg gebracht hatten, habe er sein Ja-Nein-Schema durchbrochen und sich seiner Stimme enthalten. Mit denen gemeinsame Sache zu machen, sagt Sonneborn, „das konnte ich vor meinem Gewissen und vor dem Wähler nicht verantworten“.

Sonneborn weiß nun auch, welche Abstimmung er mit seiner Ja-Stimme entschieden hat. Er hatte folgendem Satz im sogenannten Stier-Bericht zugestimmt: „Das Europaparlament betont, dass in einer weitgehend globalisierten Wirtschaft die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer durch Liberalisierungsprozesse geschwächt wird und dies die Einhaltung der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in der Agenda für menschenwürdige Arbeit aufgeführten Rechte gefährdet.“

Man weiß es bei ihm zwar nie, aber er scheint es doch ernst zu meinen, als er sagt: „Zum Glück war es etwas halbwegs Sinnvolles. Ich habe nichts kaputt gemacht.“