Martin Kordic, 1983 in Celle geboren, überzeugt mit seinem Debütroman „Wie ich mir das Glück vorstelle“. Foto: Yves Noir

Erst der Chamisso-Förderpreis, dann die Alfred-Döblin-Medaille. Martin Kordic wird für seinen Debütroman „Wie ich mir das Glück vorstelle“, in dem er von einem behinderten Jungen im ehemaligen Jugoslawien erzählt, mit Auszeichnungen überhäuft.

Viktors Welt ist klein. Viktor ist ein Junge, der unter einer Behinderung leidet und in einem Land lebt, in dem Krieg herrscht. Er schreibt in ein Schulheft und träumt vom Glück. „Wie ich mir das Glück vorstelle“, so hat Martin Kordic seinen ersten Roman genannt. Der Roman ist das Schulheft, mit dem Viktor die Welt einfangen möchte: eine lose Abfolge von Skizzen, Notizen, Listen. Hoffnung in der Hölle, ganz naiv.

Martin Kordic hat in diesem Jahr gemeinsam mit Olga Grjasnowa den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis der Robert-Bosch-Stiftung erhalten. Außerdem ist er seit diesem Dienstag der erste Preisträger der mit 3000 Euro dotierten Alfred-Döblin-Medaille, mit der die Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz Nachwuchsautoren ehren will. „Mit großer Virtuosität“ schildere Kordic in „Wie ich mir das Glück vorstelle“ die Geschichte eines 13-Jährigen in den Wirren des Bürgerkriegs im damaligen Jugoslawien.

Aufgewachsen in zwei Welten

Kordic, der als Preisträger auch Vorschläge für seinen Nachfolger machen kann, wurde 1983 in Celle geboren und lebt in Köln. Aber er wuchs auf in zwei Welten: „Mein Vater“, erzählt er, „ist Kroate aus Bosnien-Herzegowina, meine Mutter ist Deutsche.“ Kordics Kindheit und Jugend war bestimmt von Reisen in die Heimat des Vaters. „Nur als Krieg war, waren wird nie dort, im letzten Jahr des Krieges schon wieder.“ Zuvor plante die Familie noch, nach Mostar zu ziehen, die Hauptstadt Herzegowinas: „Stattdessen kamen Verwandte nun von dort nach Deutschland.“

Als der Krieg in Bosnien und Herzegowina im Jahr 1995 endete, war Martin Kordic zwölf Jahre alt. Das Geschehen wurde zu dem Stoff, um den seine Gedanken und seine Fantasie kreisten: „Von klein auf war es das, mit dem ich mich auseinandersetzen musste“, sagt er. Erste Texte schrieb er mit 15, 16 Jahren, das Thema blieb, als er sich ernsthafter dem Schreiben zuwandte. Auch im Studium beschäftigte er sich mit der politischen Situation des Balkans.

Aber „Wie ich mir das Glück vorstelle“, das Buch, in das all seine Gedanken und Vorstellungen nun hineingeflossen sind, ein schmales Buch, an dem er fünf Jahre lang arbeitete, ist frei von alldem. Der Leser erfährt niemals, wo Viktor sich durch das Leben schlägt, er erfährt nichts von Politik und Zeitgeschehen, sieht ganz durch die Augen eines Kindes. Viktor will sein ganzes Leben aufschreiben, seine Vergangenheit, die Gegenwart. Sein Heft ist schmal, der Platz begrenzt, er muss wählen. Er schreibt vom Anstehen um Wasser, vom Fluss, in dem Leichen treiben, vom Dorf der Glücklichen, vom Hund, der Tango heißt. Er fertigt kleine Listen an, fügt kleine Zeichnungen ein.

Viktor protokolliert wertfrei das, was er sieht

„Er möchte auch erzählen, wie der Kopf der Oma unterm Kopftuch aussieht. Und er muss sich immer wieder dazu motivieren, seinen Stoff zusammenzuhalten“ – er ringt mit der Sprache wie sein Autor.

Viktor war für Martin Kordic ein Neuanfang. Als er ihn entdeckte, wusste Kordic, dass er ein Schlüsselloch gefunden hatte, durch das er in die Welt des Krieges spähen konnte. „Ich wollte auf keinen Fall ein dokumentarisches Buch schreiben“, sagt er. „Für mich war es wichtig, eine Geschichte zu erzählen aus all dem, was ich weiß und womit ich mich beschäftigt habe.“

Dennoch wünschte sich der Autor eine objektive Erzählstimme. „Sobald man einen erwachsenen Erzähler hat“, sagt Kordic, „fließt gleich ein ganzer Apparat mit ein – Moral, Gewissen, der Versuch zu verstehen.“ Das Kind dagegen will nur überleben, protokolliert ganz wertfrei die Szenerie um es her. „Und es wird nicht wahrgenommen. Ein Kind hat in solchen Situationen die Möglichkeit, in Bereiche vorzudringen, in die man normalerweise nicht kommt. Wie unter einer Tarnkappe.“

"Ein lockerer Mensch geworden"

Für Martin Kordic war „Wie ich mir das Glück vorstelle“ ein Buch, das er schreiben musste. „Seit ich damit fertig bin“, sagt er, „habe ich das Gefühl, ein lockerer Mensch geworden zu sein. Für mich wäre das immer das erste Buch gewesen, auch wenn ich zuvor schon zwei andere gemacht hätte.“

Welchen Schritt er als Nächstes tun wird, weiß er noch nicht. Noch einmal über Bosnien-Herzegowina schreiben, das möchte Martin Kordic auf keinen Fall. „Ich habe versucht, alles in dieses Buch zu packen“, sagt er. Aber vom deutschen Teil seiner Familie weiß er nur wenig. Auch die Familie seiner Mutter wurde entwurzelt, durch den Zweiten Weltkrieg. Vielleicht wartet bei ihr sein nächstes Thema auf ihn.