Ein Bummel durch die schönste Medina der arabischen Welt offenbart: Die Altstadt in der marokkanischen Stadt Fès ist ein Gesamtkunstwerk.

Fès - Welch schöner Lärm! Schon von Weitem hört man die Kakofonie der Hammerschläge auf Metall, und wenn man um die letzte Häuserecke auf den Platz der Kesselschmiede biegt, steht man mitten in einem ohrenbetäubenden, wunderbar altmodischen Getöse. Keine Motoren, keine Maschinen, nur das vielfältige Klingen und Klongen, Scheppern und Dröhnen von Metallhämmern auf Messing, Kupfer und Zink.

Der Place As-Seffarine in Fès El Bali ist einer der Höhepunkte eines Bummels durch die Medina, der labyrinthischen Altstadt von Fès. Er steht stellvertretend für das, was dieses Gewirr aus Gassen und kleinen Plätzen so faszinierend macht: Jeder Gang kommt einer kleinen Zeitreise gleich. Keine Autos, keine Mopeds gibt es hier, nur Fußgänger mit Handkarren, allenfalls Lastentiere, sprich: Esel und Maultiere.

Das notorische Verkehrs-Grundrauschen entfällt hier, stattdessen hört man menschliche Stimmen, Rufen und Hämmern, und alle paar Stunden den Chor der Muezzins, deren Singsang scheppernd aus den Lautsprechern der Minarette schallt. Mit seinen mehr als 9000 Gassen ist Fès El-Bali, wie der älteste Teil der Stadt in Landesprache heißt, eine der größten zusammenhängenden mittelalterlichen Städte, die es noch gibt. Nicht nur Kesselschmiede, auch Angehörige zahlreicher anderer Gewerke arbeiten innerhalb der Stadtmauer wie seit Hunderten von Jahren - Fès gilt als die Hauptstadt des Handwerks in Marokko.

Mit nackten Beinen in Gerbe- und Färbemitteln

Zu sehen bekommt sie der Reisende in ihren oft winzigen Werkstätten in den nach Gewerken geordneten Souk-Gassen - Färber und Gerber, Töpfer und Steinschnitzer, Brokatweber und Ziseleure haben ihre je eigenen Viertel. Am eindrücklichsten ist zweifellos ein Besuch im Chouara Tanneries, dem Gerberviertel. Mit nackten Beinen stehen die Arbeiter dort in den Bottichen mit Gerbe- und Färbemitteln, die unter anderem aus Taubenkot und Kuh-Urin gewonnen werden, und bearbeiten das Rohleder mit ihren Füßen. Gesund ist das nicht. Gegen den Gestank drücken einem Führer Bündel frischer Minze unter die Nase.

Auch in anderen Vierteln ist Fès ein einziger Angriff auf die Sinne. Bäcker und Schlachter, Gewürzhändler und Schmiede - alle weben gemeinsam an dem unnachahmlichen Klang- und Duftteppich, bisweilen auch am Lärm- und Gestankmix der Medina. Ähnliches kann man zwar auch in der Medina von Marrakesch erleben. Doch die Gassen hier künden auf authentischere Weise von alten, anderswo längst vergangenen Zeiten und Lebensweisen.

Der Tourismus hat hier erst spät begonnen. In den Souks werden weniger Souvenirs als vielmehr Waren für den täglichen Bedarf angeboten - Töpfe, Turnschuhe und Trainingsanzüge. Bescheiden und mittelalterlich wirken auch die Arbeitsstätten der Mosaik-Klopfer wie Mohammed Zamouri. Der 42-Jährige hockt auf einer alten Matratze auf dem Boden. Seit eh und je ist dies die bevorzugte Arbeitshaltung der Handwerker, die aus den bunt glasierten Terrakotta-Kacheln kleine Mosaikteilchen schlagen. Aus ihnen setzen sie die berühmten Zellij zusammen - jene Wand- und Bodenmosaike, die die Innenhöfe der Paläste und Riads, die Stadttore und Moscheen schmücken.

Um mit dem groben Hammer die zum Teil nur fingernagelgroßen Formen zu schlagen, bedarf es einiger Erfahrung. „Am schwierigsten ist die Hals-Form“, sagt Zamouri und zeigt ein schlankes, gebogenes Mosaikstück. „Die bricht leichter entzwei als Sterne oder Blütenblätter.“ Zamouris Vorbilder sind jene Künstler, die das prächtige Stadttor Bab Boujloud schufen - „dort sieht man das feinste Zellij von Fès“.

Die Medina von Fès durchaus als Gesamtkunstwerk

Und natürlich am Tor des Königspalasts, der zur ab dem 13. Jahrhundert erbauten „Neustadt“ Fès Jdid gehört. Man kann die Medina von Fès durchaus als Gesamtkunstwerk der in ihr lebenden Kunsthandwerker begreifen. Denn neben den Artikeln für den täglichen Gebrauch aus Keramik, Leder oder Messing ist es vor allem die Architektur, in der sie sich verewigt haben. Zellij-Mosaike, feinste Stuckatur-Ornamente aus Gips und edles Zedernholz-Schnitzwerk - das sind die Elemente, die hier auf tausendundeine Weise variiert werden.

In der Medina einen Riad, ein traditionelles Haus, zu betreten, hat einen immer wieder aufs Neue überraschenden Effekt: Aus einer staubigen Gasse gelangt man unversehens in einen reich verzierten Hof, in dem es kühl und ruhig ist. Bäume spenden Schatten, Brunnen den erfrischenden Klang von Wasser, oftmals duftet es nach Orangenblüten. Der Gegensatz zwischen dem Gewusel der Gassen und einer schmuckvoll geordneten Innenwelt ist noch größer bei den Prachtbauten der Medina, den Moscheen und Koranschulen. In den weiß leuchtenden Innenhof der Kairaouiyine Universität mit seinen Bogengängen und Brunnen dürfen Nicht-Muslime allerdings nur einen Blick von der Schwelle des Tores aus erhaschen, ebenso in die meisten Moscheen.

Immerhin stehen die Koranschulen (Medersas) zur Besichtigung offen, allen voran die prächtige Medersa Bou Inania aus dem 14. Jahrhundert mit ihrem charakteristischen weiß-grünen Minarett. Seit den 90er Jahren wurde die Medina behutsam renoviert. In erster Linie für ihre Bewohner, aber auch für Touristen: 140 Riads gibt es bereits in Fès-el-Bali. Die Stadtverwaltung plant, ein Wegweiser-System einzurichten, damit Gäste sich künftig weniger leicht verirren. Eine sinnvolle Maßnahme - und doch wünscht man sich, dass die Restaurierung so dezent bleiben möge wie bisher.

Infos zu Marokko

Anreise
Direkt und günstig: Mit Ryan Air ab Frankfurt-Hahn oder Düsseldorf-Weeze, www.ryanair.com/ . Royal Air Maroc fliegt u.a. ab München oder Frankfurt, www.royalairmaroc.com , mit Zwischenlandungen in Casablanca und/oder Marrakesch.

Unterkunft
Riad Ibn Khalddoun: Salaheddine Lazrak, der Besitzer des 150 Jahre alten, klassischen Riads mit Innenhof und Dachgarten, spricht fließend Deutsch. Er bietet Touren durch die Medina an und kennt viele Kunsthandwerker persönlich, da seine Familie selbst lange von Gips-Stuckaturen lebte, DZ ab 50 Euro, www.riad-ibnkhaldoun.com

Etwas edler ist das Riad Le Calife des marokkanisch-französischen Ehepaars Yasmine und Alexandre Lecomte. Auch ihren Hof und die Gästezimmer haben sie mithilfe von Kunsthandwerkern renovieren lassen, www.riadlecalife.com , DZ ab 100 Euro.

Wer nicht auf die Annehmlichkeiten eines Hotels verzichten möchte, wird auch im umgebauten Stadtpalast Palais Faraj feinstes Kunsthandwerk finden - Zellij, Stuck-Arabesken und Zedernholz-Schnitzwerk zieren nicht nur den Innenhof, sondern auch die Zimmer. Das an der alten Stadtmauer gelegene Hotel bietet auch Handwerkskurse in der Medina an, www.palaisfaraj.com , DZ ab 190 Euro.

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall überlegen, die besonders authentische (und günstige!) Art der Unterkunft des Vereins Ziyarates Fès auszuprobieren: Man wohnt bei Familien in der Medina, die ihren Gästen Zimmer zur Verfügung stellen und Einblicke in das Alltagsleben gewähren, www.ziyaratesfes.com .

Französischkenntnisse sind von Vorteil. Auf keinen Fall als Tourist allein in das Gassengewirr von Fès El Bali eintauchen. Wer sich in seiner Unterkunft nach einem Führer erkundigt, trifft in der Regel auf verlässliche Lotsen.