Vor der Verarbeitung wird das Leder auf Schäden und unschöne Stellen geprüft. Durch die Lupe sieht der Mitarbeiter den feinen Unterschied. Foto: factum/Granville

Kunden rät er beim Sofa-Kauf nur auf eines zu achten: Dass sie sich auf dem Möbel wohlfühlen. Markus Benz (54) muss es wissen. Er ist Sohn des Nagolder Möbelpioniers Rolf Benz und leitet seit 1993 den Herrenberger Polstermöbel-Hersteller Walter Knoll. Ein Gespräch.

Herr Benz, was unterscheidet ein Sofa von anderen Sitzmöbeln wie Sessel oder Stuhl?
Auf dem Sofa schläft man besser (lacht). Aber ernsthaft: Das Sofa hat sich im Lauf seiner Geschichte zu einem Möbel entwickelt, auf dem man gern allein ist, sich aber auch gern mit Freunden trifft, also das Leben zelebriert. Ein Sofa ist lässig und repräsentativ zugleich.
Das hört sich nach einer großen Herausforderung für Hersteller und Designer an?
Für mich sind Sofas weniger Designobjekte. Sie sind architektonische Elemente im Raum, sie strukturieren ihn, gliedern ihn nach harten und weichen Zonen. Ihren persönlichen Lebensstil drücken die Menschen eher mit dem aus, was um das Sofa herum steht. Mit Sesseln, mit Tischen, mit Accessoires. Das Sofa an sich ist zurückhaltender. Das war in den 80er und 90er Jahren noch anders. Da wurde das Sofa expressiv gestaltet.
Markus Benz. Foto: factum/Granville
Was ist heutzutage die wichtigste Aufgabe eines Sofas?
Ich sage immer: Wir verkaufen ein Stück Hoffnung, aber die Erfüllung der Hoffnung gehört nicht zu unserer Gewährleistung. Die Hoffnungen der Menschen, was sie auf dem Sofa tun oder erleben werden, sind sehr vielfältig. Der eine will repräsentieren, der andere es sich gemütlich machen. Und wer will, kann darauf auch arbeiten. Größere Sofas bieten verschiedene Bereiche für verschiedene Funktionen. Bei kleineren Modellen kann man zum Beispiel mit flexiblen Kissen arbeiten oder mit drehbaren Elementen. Es gilt: Je mehr man investiert, umso mehr Komfort bekommt man.
Walter Knoll, Sohn des Firmengründers Wilhelm Knoll, hat in Stuttgart in den 20er Jahren im Sinne der Bauhaus-Schule Polstermöbel entwickelt, die leicht und seriell herstellbar waren – und somit für möglichst viele erschwinglich. Heute können sich die wenigsten Walter-Knoll-Sofas leisten, die preislich bei mehreren Tausend Euro anfangen.
Wenn man es genau betrachtet, hat das Bauhaus das Ziel, Möbel für alle zu bauen, nie erreicht. Es hat uns aber etwas anderes geschenkt: Eine seit 90 Jahren gültige Ästhetik – den Minimalismus, die Mischung zwischen Handwerk und industrieller Fertigung und Materialien, die bleiben. Diese Werte funktionieren übrigens in jeder Kultur.
Was meinen Sie damit?
Ich reise oft zu den Urvölkern in Afrika, Südamerika, Australien. Sie alle verbindet eine gemeinsame Philosophie. Zum Beispiel: „Mir wurde etwas gegeben, und das will ich weitergeben.“ Traditionen zu pflegen ist auch mein persönlicher Maßstab. Dazu kommt, dass handwerkliche Exzellenz und gute Materialien in jeder Zeit und Kultur geachtet werden, außerdem Formen, die einen emotional ansprechen.
Die Deutschen allerdings importieren immer mehr Billigsofas aus Fernost. Zählen Ihre Werte hier nichts mehr?
Es gibt viele Menschen in Deutschland, die die Wahlmöglichkeit haben, wofür sie ihr Geld ausgeben. Das ist eben eine Frage der Prioritäten. Menschen allerdings, die weniger Geld haben, haben heute das Glück, günstig ein relativ gutes Produkt zu erhalten. Sie bekommen heute viel mehr für ihr Geld durch diese offene Welt. Man kann sich im Grunde auf jedem Niveau ordentlich einrichten.
Warum produziert Ihr Unternehmen seit 150 Jahren ausschließlich in Deutschland?
Es gibt einen weltweiten Markt für hochwertige Produkte wie unsere, zunehmend zum Beispiel in Asien, aber auch in den USA, in Australien, dem Nahen und Mittleren Osten. Diesen Markt wollen wir beliefern – und zwar mit Qualität aus dieser Region. Das nennt sich „Cluster supply chain“: Kleinere und mittlere Unternehmen arbeiten zusammen, um ein perfektes Ergebnis zu erreichen. Wir haben auch Partner in Italien, aber die meisten sitzen in der Region und Deutschland. Wir liefern eine wirtschaftlich-kulturelle Leistung. Für mich heißt das auch, dass eine gute Ausbildung die Grundlage jeglichen Handelns sein muss.
Wie bilden Sie aus?
Die Grundausbildung zum Raumausstatter beträgt drei Jahre. Danach spezialisieren sich die Mitarbeiter zum Beispiel als Polsterer oder Näherin. Es dauert weitere sieben bis zehn Jahre, bis sie ihr Handwerk meisterlich beherrschen. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten hängen direkt an den Menschen, Technologien kommen und gehen.
Also wird es kein Walter-Knoll-Sofa aus dem 3-D-Drucker geben?
Das käme auf den Drucker an, das heißt auf die geistige Leistung, die dahintersteckt. Es müsste ein sehr besonderer sein, denn für Mittelmäßigkeit sind wir nicht zuständig.
Wie wird für Sie das Sofa der Zukunft aussehen?
Früher gab es klare Regeln, wie man zu leben hatte, wenn man Wert auf Design legte: die und die Möbel, die und die Accessoires. Heute kann man viele Stile miteinander kombinieren. Und Schönheit darf auch einen Makel haben. Das ist eines der Themen, die mich interessieren: Das Unperfekte im Perfekten.
Wie? Ist ein Walter-Knoll-Sofa etwa doch nicht perfekt?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir fertigen heute Stühlen mit losen Bezügen. Das dient der Bequemlichkeit. Und deshalb darf die Linie der Kante eben auch mal verrutschen. Oder ein Material darf seine Unebenheiten haben. In früheren Kollektionen hätte es das nicht gegeben, die Naht musste perfekt auf der Kante sitzen. Aber das ist die neue Designsprache. Etwas ist attraktiv, gerade weil es nicht perfekt ist. Vielleicht haben wir deshalb auch so einen großen Retro-Trend. Damals waren die Dinge oft noch nicht alle bis zu Ende gedacht, es gab Brüche. Und das macht den Reiz aus. Aber weil Sie nach der Zukunft fragen: Ich glaube, die Menschen werden immer einen Ort suchen, an dem sie sich geborgen fühlen.
Was machen Sie daheim auf dem Sofa?
Morgens bearbeite ich dort meine Mails. Dabei will ich es gemütlich haben und mich gut fühlen. Dann kann ich diese Arbeit ganz entspannt erledigen, das geht im Unternehmen einfach nicht. Abends liebe ich es dann, mit einem Glas Wein in das Sofa hineinzusinken, zu entspannen, zu lesen, fernzusehen. Aber natürlich halte ich dort auch hin und wieder ein Schläfchen.