Lehrling bei der Arbeit in einem mittelständischen Betrieb Foto: dpa

Mit 99 Prozent aller Unternehmen ist der Mittelstand das Rückgrat der Wirtschaft. Doch kein Mensch kennt die Firmen, sagt Marcus Stumpf, Marketing-Professor und Direktor des Employer Branding Institute in Stuttgart. Im Ringen um Fachkräfte hängen Konzerne zunehmend kleinere Firmen ab.

Stuttgart - Herr Stumpf, was zeichnet einenattraktiven Arbeitgeber aus?
Ein attraktiver Arbeitgeber bringt seinen Mitarbeitern Wertschätzung entgegen, setzt also eine Mitarbeiterorientierung um. Das zeigt sich in den Arbeitsbedingungen, einer attraktiven Personalentwicklung, qualitätsvollen Führung oder fairen Entlohnung. Um als attraktiv wahrgenommen zu werden, reicht es aber nicht, allgemeine Maßnahmen für eine hohe Arbeitsmotivation der Mitarbeiter zu entwickeln. Entscheidend ist auch, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Mitarbeitergenerationen einzugehen. Der zwischen 1980 und 1998 geborenen Generation Y zum Beispiel ist es wichtiger, Arbeit und Privatleben in Einklang zu bringen, als Karriere zu machen.
Warum wird es für Firmen immer wichtiger, sich als attraktive Arbeitgeber zu präsentieren?
Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch. Der zentrale Faktor ist der demografische Wandel. Um ihre wirtschaftliche Entwicklung und Innovationsfähigkeit zu erhalten, müssen Firmen sich mit ihrer Attraktivität beschäftigen. Das Ringen um gut ausgebildete Mitarbeiter hat begonnen und wird sich zuspitzen. Schon jetzt gibt es weniger Schüler und Berufseinsteiger. Die Bewerber suchen sich ihren Arbeitgeber aus. Nicht sie müssen überzeugen, sondern das Unternehmen. Aber: Was es dem Bewerber verspricht, muss es halten. Eine Firma muss ihre Vorzüge kommunizieren und in der Praxis leben.
Firmen wie Porsche, Daimler oder Lufthansa können sich vor Bewerbungen nicht retten.
Hochschulabsolventen bevorzugen einen Berufseinstieg bei namhaften Firmen. Das ist verständlich. Großunternehmen beherrschen die Klaviatur der Markenführung spielend und verkaufen sich bestens. Berufseinsteiger versprechen sich von einem gut klingenden Namen im Lebenslauf Karrierechancen. Kleine und mittelständische Firmen (KMU) sind zwar oft die Hidden Champions, die unbekannten Weltmarktführer. Aber genau da ist das Problem: Kein Mensch kennt sie, im Gegenteil, meist haben sie ein schlechtes Image. Sie gelten als kleine Betriebe, die an einem abgelegenen Standort sind und ein schlechtes Gehalt zahlen. Das schreckt potenzielle Bewerber ab. Dabei widerlegen Studien die oft vertretene These, dass die Arbeitsbedingungen im Mittelstand schlechter wären als in Großunternehmen.
Welche Vorteile hat der Mittelstandgegenüber großen Unternehmen?
Die Nähe zwischen Wohnort und Arbeitsplatz ist ein großer Pluspunkt. Es gibt auch keine strenge Leistungskontrolle, weniger Wechselschichten und abwechslungsreiche Tätigkeiten. Die Mitarbeiter können selbstständiger arbeiten und werden stärker in Entscheidungen einbezogen – was auch an den flachen Hierarchien liegt. KMU übernehmen soziale Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern und der Region. In Wirtschaftskrisen ist die Gefahr, den Job zu verlieren, geringer. Mittelständler verfolgen in der Regel eine langfristige Orientierung und haben ein ausgeprägtes Wertesystem. Dazu gehört, Verantwortung für die Mitarbeiter und ihre Familien zu übernehmen. Börsennotierte Konzerne tun sich schwerer, weil die Vorstände laufend Rechenschaft über die Ergebnisse abliefern müssen. Das zwingt das Management, schneller an den Kostenrädern zu drehen, als das etwa bei Familienunternehmen der Fall ist.
Seine Vorzüge sind dem Mittelstand offenbar nicht bewusst – oder egal: Ihre Untersuchungen haben ergeben, dass sich nur jedes fünfte KMU Gedanken um seine Attraktivität macht.
Das ist ihre größte Schwäche. Sie kommunizieren das, was sie haben und potenziellen Bewerbern anbieten können, nicht. Viele Firmen nehmen ihre Alleinstellungsmerkmale als Arbeitgeber nicht als solche wahr oder stellen ihr Licht unter den Scheffel. Offenbar ist auch der Leidensdruck noch nicht groß genug, und sie sehen keine Notwendigkeit, ihr Image zu verbessern oder überhaupt auf sich aufmerksam zu machen. Andererseits stufen in Deutschland etwa 35 Prozent der KMU die Fachkräftesituation als größte unternehmerische Herausforderung ein.
Welche Rolle spielt Personalmanagement?
KMU fehlt die strategische Ausrichtung der Personalarbeit, das heißt Planung, Entwicklung und Marketing. Angesichts einer alternden Gesellschaft und Fachkräftemangels wird eine vorausschauende und professionalisierte Personalarbeit zu einem zunehmenden Wettbewerbsfaktor. Die KMU sind gefordert, ihr bisheriges Personalmanagement neu zu überdenken und den aktuellen Entwicklungen anzupassen.
Viele Firmen fürchten hohe Kosten oderhohen Aufwand. Zu Recht?
Employer Branding, also Maßnahmen, um sich als attraktiven Arbeitgeber darzustellen, bedeutet, heute etwas aufzubauen, das morgen Wirkung zeigt. Die Firmen müssen Zeit investieren. Die Maßnahmen lassen sich günstig umsetzen, oft helfen einfache Dinge. Grundsätzlich müssen Firmen die positiven Aspekte von Employer Branding berechnen. Bei der Personalsuche etwa hilft es ihnen beispielsweise, schnell die passenden Mitarbeiter zu finden. Denn Ziel muss es sein, dass sich auf eine Stellenausschreibung nicht 100 Leute bewerben, die nicht den Anforderungen entsprechen, sondern zehn, die geeignet sind.
Was können KMU konkret tun, um sich als attraktive Arbeitgeber zu präsentieren?
Zunächst müssen sie sich klarmachen, was sie bieten und was sie einzigartig macht. Das kann eine gute Bezahlung sein, flexible Arbeitszeiten oder emotionale Aspekte wie ein junges, innovatives Umfeld. Dann muss das kommuniziert werden, auf der Internetseite etwa. Da die Berufsentscheidung eine emotionale Entscheidung ist, sollte man nicht nur Daten und Fakten liefern, sondern auch Fotos, die Kollegen in Arbeitssituationen oder bei gemeinsamen Ausflügen zeigen. Man kann auch bestehende Kommunikationsmittel wie Kundenzeitschriften, Kataloge, Flyer oder Lieferwagen nutzen. Oft ist gar nicht bekannt, welche Arbeitsplätze hinter Firmen stecken. Gute Möglichkeiten bieten auch Kooperationen mit Schulen und Universitäten oder ein Tag der offenen Tür. Zukünftige potenzielle Mitarbeiter müssen früh an die Arbeitgebermarke eines Unternehmens herangeführt werden.
Gravierende Fehler machen Firmenbereits bei Stellenanzeigen.
Nur 20 Prozent der Firmen sehen Stellenanzeigen als Plattform, um sich als Arbeitgeber zu präsentieren. Der Rest zählt vor allem seine Produkte und Dienstleistungen auf und präsentiert sich allgemein als Unternehmen. Wie Arbeitsplatz und Umfeld sind und welche Besonderheiten beides hat, erfährt der Leser kaum. Dabei stellt auch der Bewerber Anforderungen an eine Firma. Ob die mit dem ausgeschriebenen Job übereinstimmen, sollte er in der Stellenanzeige erfahren. Dann bewerben sich auch die Richtigen.
Was können Unternehmen fürbestehende Mitarbeiter tun?
Employer Branding ist auch Mitarbeiterbindung. Die beginnt am ersten Arbeitstag. Der neue Mitarbeiter muss sich gut abgeholt fühlen. Viele Firmen setzen sich nicht mit dem auseinander, was den Mitarbeitern Sorgen bereitet. Nachzufragen, wo der Schuh drückt, ist eine weitere Möglichkeit, um Anhaltspunkte für Employer-Branding-Maßnahmen zu erheben. Der Mitarbeiter soll hinter der Firma stehen und sich mit ihr identifizieren. Das führt zu mehr Leistungsbereitschaft und weniger Fluktuation. Nach seinem Ausscheiden soll er den alten Arbeitgeber in guter Erinnerung behalten. Dann empfiehlt er ihn möglicherweise weiter, statt schlecht über ihn zu reden.