Marianne Faithfull in der Stuttgarter Liederhalle Foto: Lichtgut

Sie singt Lieder von Nick Cave oder John Lennon, Stücke, die sie mit Mick Jagger, Damon Albarn oder Anna Calvi geschrieben hat. Stilsicher inszeniert sich Marianne Faithfull, die Grande Dame und Überlebenskünstlerin des Rock’n’Roll, am Samstag beim Konzert in Stuttgart.

Stuttgart - „Sapperlot noch mal“, zischt sie ins Mikro. Auf Deutsch zu fluchen – das hat Marianne Faithfull von ihrer Mutter gelernt, die aus Wien stammte. Am Samstag flucht die 67-Jährige oft, aber charmant. Sie hat sich im März die Hüfte gebrochen, „sie ist nicht nur gebrochen – sie ist zerschmettert“, korrigiert sie, droht damit, ihre Narbe zu zeigen, die von den Zehen bis zur Taille reiche. Auf der Bühne steht ein Sessel. Doch immer wieder trotzt sie den Schmerzen, steht auf, stützt sich auf ihren Krückstock.

Das Wiederaufstehen ist Marianne Faithfulls Lebensprinzip. Sie ist eine, die sich nicht unterkriegen lässt, nicht von all den Drogen, die sie im Lauf ihrer Karriere ausprobierte, und schon gar nicht von Hüft-OPs.

Das Konzert im Hegelsaal der Liederhalle liefert den Soundtrack dazu. Mit dem sarkastischen „Give My Love To London“ eröffnet sie das Konzert, versetzt sich zurück in die Rolle der Seeräuber-Jenny aus Brechts „Dreigroschenoper“. Doch das Lied ist nicht etwa eine Hymne auf die Swinging Sixties, sondern eine zartbittere Abrechnung mit der Stadt, mit Faithfulls Vergangenheit.

Songs aus der "Junkie-Ecke"

„Das Hübsche ist nicht wirklich mein Ding“, sagt sie später. Und sie hat recht. Die besten Songs des Abends sind nicht ihre frühen Hits „As Tears Go By“ oder „Come And Stay With Me“, mit deren Leichtigkeit sie sich schwertut. Nein, die besten Songs lauern in dem Teil des Konzerts, den sie selbst die „Junkie-Ecke“ nennt. Zu ihnen zählt die düstere Stones-Nummer „Sister Morphine“, die Faithfull 1968 mit Mick Jagger geschrieben hat, mit dem sie damals zusammen war. Und zu ihnen zählt „Late Victorian Holocaust“, ein Song von Nick Cave, der das emotionale Epizentrum des Abends ist.

Mit ihrer betörenden herben Stimme, die das Rezitativ liebt, eignet sich Faithfull meisterhaft den finsteren Ton Caves an, versenkt sich in diesem erschütternd-verworrenen Epos, das im traurig-schönen Refrain „Sweet little sleep, my dreams are yours to keep“ mündet – süßer kleiner Schlaf, du darfst meine Träume behalten.

Der Kammerpop, den Faithfull mit vierköpfiger Band live stilsicher und hochwertig inszeniert, gibt sich mal als grimmiger Rocker („Mother Wolf“) aus, mal als zarter Walzer („Marathon Kiss“). Der Hit „The Ballad Of Lucy Jordan“ wird folkloristisch umgedeutet, John Lennons „Working Class Hero“ erweist sich als Kunstwerk, bei dem sich Klang- und Rhythmusschichten verblüffend übereinander legen.

Wenn sich Marianne Faithfull immer wieder einmal die Lesebrille aufsetzt, um auf das Pult mit den Songtexten zu schielen, sieht sie zwar aus wie die schrullige Oma von nebenan, die sich auf eine Konzertbühne verirrt hat. Doch wenn sie sich ein paar Sekunden später die Haare aus dem Gesicht streicht und kokett lächelt, ist sie wieder das junge Mädchen, in das sich einst die 1960er Jahre so sehr verliebt hatten.

„Wenn ich das nächste Mal komme, werde ich den ganzen Abend lang tanzen“, verspricht sie, bevor sie mit Damon Albarns „Last Song“ das Konzert beendet. Und obwohl man ihr nach anderthalb Stunden die Schmerzen ansieht, winkt sie noch lange auf ihre Krücke gestützt ins Publikum. Sapperlot noch mal, bis nächstes Mal.