Marcus Pretzell ist Fraktionsvorsitzender der AfD in Nordrhein-Westfalen – und sitzt auch noch im Europaparlament. Er ist mit der Parteivorsitzenden Frauke Petry verheiratet. Foto: dpa

Seit Monaten übt der nordrhein-westfälische AfD-Fraktionsvorsitzende Marcus Pretzell zwei Mandate aus: Er sitzt auch noch im EU-Parlament. Aus Straßburg werden Rufe laut, die Regeln zu ändern.

Berlin - In ihrem Wahlprogramm geht die Alternative für Deutschland (AfD) mit Berufspolitikern hart ins Gericht: „Die ungebrochene Tendenz zum Berufspolitikertum hat der Monopolisierung der Macht Vorschub geleistet“, heißt es dort. Die junge Partei beklagt sich über Vetternwirtschaft sowie Filz und verlangt eine Begrenzung der Mandatszeit. Doch mit den hohen Ansprüchen nimmt es die AfD selbst nicht so genau. Marcus Pretzell, Ehemann der Parteivorsitzenden Frauke Petry, sitzt seit Anfang Juni nicht nur im nordrhein-westfälischen Landtag. Eigentlich hat er dort als AfD-Fraktionsvorsitzender genug zu tun. Doch trotz zeitlicher Belastung im Flächenland gehört Pretzell auch noch dem Europäischen Parlament in Straßburg an – 2014 wurde er dorthin erstmals gewählt. Anders als beispielsweise der CDU-Politiker Herbert Reul, der zuvor auch Europaparlamentarier war und jetzt Innenminister in NRW ist, hat Pretzell das Mandat in Straßburg bisher nicht zurückgegeben. Das Doppelmandat stößt helle Empörung.

Fall Pretzell soll Anlass für Änderung sein

Die Vorsitzende des Haushalts-Kontrollausschusses im EU-Parlament, Inge Gräßle (CDU), will den Fall Pretzell zum Anlass zu nehmen, um die Regeln zu korrigieren. Gräßle sagte unserer Zeitung: „Wir sollten die Regeln so ändern, dass das Doppelmandat nicht mehr möglich ist.“ Nach den Bestimmungen des Europaparlaments kann ein EU-Abgeordneter auch noch in einem Regionalparlament tätig sein. Die Doppelbelastung sei aber nicht zu bewältigen, meinte Gräßle. „Herr Pretzell nimmt an den Abstimmungen und Ausschusssitzungen nicht teil und beteiligt sich nicht an den Arbeiten im Europäischen Parlament“, sagte die Parlamentarierin. Seit dem 6. April sei Pretzell nicht mehr zu Abstimmungen erschienen. Gräßle hält es für eine Frage der Ehre, dass sich ein Parlamentarier nur für Arbeit bezahlen lasse, die er auch leistet. „So schamlos ist sonst niemand“, sagte Gräßle. Nicht nur in die anderen Parteien sind empört. Auch auf einer Sitzung des AfD-Bundesvorstands war das Gebaren von Herrn Pretzell schon Thema. Beschlüsse fielen zunächst zwar keine, doch der Druck auf den NRW-Politiker steigt. In der AfD fragen sich viele, wie es zeitlich möglich sein soll, zwei Parlamenten anzugehören. Vor der Bundestagswahl scheuen die AfD-Spitzen aber den Konflikt.

Pretzell wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Er rechtfertigte sich vor einigen Wochen damit, dass die Diäten aus Europaparlament und Landtag verrechnet würden. EU-Abgeordnete erhalten monatlich eine Diät von rund 9500 Euro. Nach Auskunft des nordrhein-westfälischen Landtags verdient ein Abgeordneter einschließlich des Zuschusses zur Altersvorsorge rund 10 700 Euro. Davon entfielen bei einem Doppelmandat 71,5 Prozent. Damit bleibt aber immer noch ein Teil anrechnungsfrei. Finanziell stelle er sich nicht besser, versicherte Pretzell seinerzeit.

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CDU-Politikerin sieht ungerechtfertigten Vorteil

Doch das lässt die Europa-Parlamentarierin Gräßle nicht gelten. Entgegen der öffentlichen Beteuerungen profitiere Pretzell finanziell erheblich vom Doppelmandat, erklärte sie. Er erhalte neben der Diät im Europaparlament eine steuerfreie Kostenpauschale von 4342 Euro und 24 164 Euro monatlich zur Beschäftigung von Mitarbeitern. Gräßle forderte Pretzell auf, sein Europamandat umgehend niederzulegen.

In der AfD erwarten viele Mitglieder, dass Pretzell die Sache schnell klärt. Der baden-württembergische AfD-Bundestagskandidat Marc Jongen ist Nachrücker für das Mandat im Europaparlament. Anfangs hatte er noch überlegt, im Falle von Pretzells Amtsverzicht für einige Wochen nach Straßburg zu gehen. Da Jongen fest mit dem Einzug in den Bundestag rechnet, sei für ihn das Mandat in Straßburg nicht mehr relevant, ließ Jongen wissen. Das dürfte auch auf den niedersächsischen AfD-Landeschef Armin Paul Hampel zutreffen, der nach der Listenreihenfolge als nächster dran wäre, aber ebenfalls in den Bundestag strebt. Der dritte Nachrücker auf der Liste ist der baden-württembergische AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Meuthen, der im Südwesten als unabkömmlich gilt.

Pretzell taucht in dieser Frage vollständig ab. In der AfD wird spekuliert, dass es ihm nur darum geht, einen genehmen Nachfolger zu installieren. Dabei soll es sich um den Petry-Vertrauten Dirk Driesang handeln, der auf Platz vier der Nachrückerliste steht. Fest steht: der Steuerzahler zahlt für das Ränkespiel in der AfD die Zeche.