Im Interview: Mann+Hummel Foto: factum/Granville

Es geht nicht um Mann oder Frau, sondern wie geht jemand mit seinen Mitarbeitern um, sagt der Chef des Ludwigsburger Filterspezialisten Mann+Hummel im Interview.

Stuttgart - Herr Weber, wegen des Abgas-Skandals kommen auf VW Milliardenzahlungen zu. Wie viel vom Spardruck wird an die Zulieferer durchgereicht?
Ich glaube nicht, dass der Spardruck deshalb härter wird. Toyota hat sich angesichts seiner Rückrufe auch nicht hingestellt – nach dem Motto: Jetzt holen wir das Geld bei den Zulieferern.
Viele Zulieferer beklagen eine Verrohung der Sitten. Wer sich den Vorgaben der Hersteller nicht beugt, verschwindet von der Anbieterliste. Empfinden Sie das auch so?
Ich will nicht in solche Phrasen verfallen. Es ist eine toughe Industrie mit sehr intensivem Wettbewerb. Wenn es neue Dinge gibt oder interessante Bereiche, stürzen sich gleich alle drauf. Unsere Produkte müssen daher besser sein oder innovativer. Deshalb kommen bestimmte Dinge auf den Prüfstand. Eine besondere Dimension hatte mit Sicherheit, dass sich die Gesamtindustrie über die Jahre in extremem Maß globalisiert hat. Wenn man vor 10 oder 15 Jahren über China geredet hat, wurden mal einige Autos nach dort verschifft. Heute ist das der in sich geschlossenste größte Markt mit rund 20 Millionen Autos. Das hat natürlich eine gewisse Dynamik mit sich gebracht. Mann+Hummel hat in China fünf Produktionsstandorte, der sechste ist derzeit im Aufbau. Ein Teil unserer Wettbewerbsfähigkeit liegt darin, dass wir nah am Kunden sind.
Sie müssen nicht nur in neue Standorte, sondern auch in neue Produkte investieren. Geht die Kostenschere immer weiter auf?
Das ist ein Spagat für die gesamte Industrie. Auch in Ludwigsburg wird die Produktion weniger, gleichzeitig bauen wir für 30 Millionen Euro ein neues Technologiezentrum, um Innovation und Produktentwicklung hier zu stärken. Diesen Spagat können Sie auf jeden Standort übertragen.
Was bedeutet das für die Arbeitsplätze in Deutschland? Bleibt es bei dem angekündigten Abbau von 500 Stellen, davon 275 in Ludwigsburg?
Ja. Für die Betroffenen ist das eine schwierige Situation. Ob wir es ganz ohne betriebsbedingte Kündigungen schaffen, kann ich noch nicht sagen. Das Abfindungsprogramm, das noch bis Ende März läuft, stößt aber auf sehr großes Interesse.
Einfachere Tätigkeiten werden also immer mehr abwandern?
Man macht es sich zu leicht mit dem Bild von einfach und kompliziert. Wenn Sie heute in China ein Produkt herstellen, sind die Ansprüche an das Produkt, die Produktion und die Struktur nicht anders als hier.
Wie gefährlich können Ihnen chinesische Zulieferer werden?
Es geht um die Frage: Wer hat das bessere Produkt? Vor 20 Jahren hat man Hyundai-Autos belächelt – heute müssen sich die Fahrzeuge vor der Konkurrenz nicht verstecken. Insofern sollte man sich nicht der Illusion hingeben, dass die Chinesen das nicht auch schaffen werden. Die chinesischen Hersteller sind für uns Zielkunden wie alle anderen Hersteller auch. Und wer dort ins Auto steigt, erwartet die gleichen Dinge wie hierzulande. Unsere Standorte in China nutzen wir auch dafür, um uns entsprechend zu etablieren.
Wie schätzen Sie die Entwicklung in China ein?
Ich will die Dinge mal etwas relativieren. Als man von zehn Millionen Fahrzeugen im chinesischen Markt sprach, nannten Experten acht Prozent Zuwachs als richtige Zahl. Heute sind es 20 Millionen Fahrzeuge – und jetzt sollen acht Prozent Zuwachs nicht reichen? Es hilft nichts, wenn wir uns verrückt machen. Aber dass das Wachstum nicht immer so raketenmäßig weitergeht, ist auch klar. Fakt ist: Die Volatilität nimmt zu, und politisch verursachte Krisen führen zu weiteren Ungleichgewichten. Nehmen Sie das Russland-Embargo oder die Lage in Brasilien, auch ein wichtiger Standort für Mann+Hummel. Das Land ist in einer schwierigen Situation – angefangen von Korruption bis zu Umweltproblemen. Es gibt weltweit viele Krisenherde. Aber unterm Strich war das letzte Jahr für uns ein erfolgreiches Jahr. Wir konnten viele Kunden zufriedenstellen und etliche Neuaufträge gewinnen. Beim Umsatz haben wir die Drei-Milliarden-Marke übersprungen.
Und wenn alles gut läuft, werden es mit dem Affinia-Zukauf dieses Jahr vier Milliarden Euro?
Ja, aber noch ist der Deal nicht abgeschlossen. Es geht nicht um Größe als solche, auch wenn das was für sich hat. Wir wollen Marktführer in Filtration sein, für Luft-, Gas- und Flüssigkeitsfiltration. Wir wollen organisch und durch Zukäufe wachsen. Der US-Hersteller Affinia ist für uns eine gute Ergänzung – sowohl regional als auch markttechnisch, weil wir mit der Hydraulikfiltration unser Industriegeschäft ausbauen können. Affinia ermöglicht uns den Zugang zum Schwerlastbereich, also beispielsweise auch Baumaschinen.
Befürchten Sie, dass auch Mann+Hummel übernommen werden könnte?
Nein. Ich glaube, die Familien Mann und Hummel haben überhaupt kein Interesse, sich vom Unternehmen zu trennen.
Etliche Zulieferer sind auf Einkaufstour. Ist da ein gewisser Druck da, weil Aufträge durch die Modularisierung und Standardisierung an immer weniger Zulieferer vergeben werden?
Die Portionen werden größer. Damit geht auch das Problem einher, dass Sie heute einen Serienanlauf nicht mehr nur in einem Werk haben, sondern der kann gleichzeitig in Amerika, Europa und Asien sein. Die Kunden erwarten, dass der Zulieferer die gleiche Technologie, die gleiche Qualität und den gleichen Service an allen Standorten bietet – und das braucht einen starken Hersteller. Es wird immer wichtiger, bestimmte Aufträge nicht zu verlieren, und das macht den Wettbewerb anspruchsvoll.
Mit Finanzchefin Emese Weissenbacher und Arbeitsdirektorin Filiz Albrecht sitzen jetzt zwei Frauen in der fünfköpfigen Mann+Hummel-Geschäftsführung. Warum machen bei Ihnen weibliche Führungskräfte Karriere und anderswo kaum?
Eigentlich ist es kontraproduktiv, dieses Thema zu pointieren und zu politisieren. Man tut den Frauen damit keinen Gefallen, weil das so einen Beigeschmack von Quotenfrau bekommt, nach dem Motto: Jetzt haben die ein Ressort erfunden, das eine Frau übernehmen kann. Wir wollen als Unternehmen nicht die Herrschaft der Amazonen. Wir haben uns über 75 Jahre von einem schwäbischen zu einem internationalen Unternehmen entwickelt. Dieses zu repräsentieren braucht eine gewisse Diversifizierung. In leitenden Funktionen für Asien ist es wichtig, einen Asiaten oder eine Asiatin zu haben, für Amerika einen Amerikaner oder eine Amerikanerin. Ein Aspekt dieser Diversifikation ist auch, Frauen zu fördern. Bevor jemand in so eine Leitungsfunktion kommt, geht es doch um die Frage: Was hat diese Person für einen Führungsstil, wie geht sie mit Mitarbeitern um? Da geht es um Unterscheidungen in gut und schlecht, und das hat nichts mit Mann oder Frau zu tun.
Alfred Webers Vita:

1957 im Saarland geboren. Weber studierte Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Universität München.

Von 1977 bis 1989 war er Offizier der Luftwaffe bei der Bundeswehr.

1989 begann er seine industrielle Laufbahn und war unter anderem auch für den Zulieferer Borg Warner in den USA.

Anfang 2010 übernahm er den Chefposten bei Mann+Hummel in Ludwigsburg.

Weber ist Filtermann mit Leib und Seele. In seinem Büro gibt es einige Modelle. Einen Stehtisch mit Hockern übrigens auch und ein Trikot von der russischen Eishockey-Mannschaft. Weber liebt Oldtimer, ist sportlich und macht dieses Jahr auch wieder beim Ludwigsburger Citylauf mit. (imf)

 
 

Die Geschichte von Mann + Hummel

Die Gründer: 1941 gründen Adolf Mann und Erich Hummel das Filterwerk Mann+Hummel – der eine Mathematiklehrer, der andere Jurist. Beide hatten in den 1920er Jahren Karriere beim traditionsreichen Stuttgarter Bekleidungshersteller Bleyle gemacht und 1938 das Familienunternehmen in eigener Regie übernommen. 

Das Textilwerk: Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges fehlen dem als „nicht kriegswichtig“ eingestuften Textilwerk Aufträge und Mitarbeiter. Deshalb lagert der Stuttgarter Kolbenhersteller Mahle die Produktion von Motorenfiltern in Lohnfertigung an das Textilwerk Bleyle aus. 1941 geht die komplette Filterproduktion von Mahle im Rahmen eines Pachtvertrages an die Textilunternehmer über – eigens zu diesem Zweck wird im Januar 1941 das Filterwerk Mann+Hummel GmbH gegründet. Standort: das bisherige Bleyle-Werk in der Ludwigsburger Hindenburgstraße. 1942 kaufen Mann und Hummel die Filterproduktion komplett von Mahle. 

Bratpfannen statt Filter: Nach dem Krieg bricht das Filtergeschäft ein, doch Haushaltsartikel werden benötigt. Deshalb werden unter anderem Töpfe, Bratpfannen, Siebe und Topfkratzer produziert – sogar ein als „Rutscherle“ bezeichneter Handwagen und technisch anspruchsvolle Sanitärarmaturen. 

Kerngeschäft Fahrzeugfilter: Die Währungsreform und die Markteinführung des VW-Käfer, für den das Filterwerk Filzkegelluftfilter in großen Stückzahlen herstellt, sorgen ab 1948 für entscheidende Impulse bei Fahrzeugfiltern. Mit Einführung der Fließbandproduktion erfolgt 1952 der Übergang zur industriellen Großserienfertigung. Innovationen, wie die Verwendung von ölgetränkten Filterpapieren oder die Entwicklung eines Nassluftfilters mit Kokosfasern, markieren den Weg zum Entwicklungspartner und Erstausrüster für die Autoindustrie. Es folgt die Internationalisierung.  

Sozialpolitische Meilensteine: Eine Betriebskrankenkasse, Ertragsbeteiligung der Beschäftigten, ein Wohnbauprogramm für Mitarbeiter – nur einige Beispiele für sozialpolitische Maßnahmen der Firmengründer. Adolf Mann stirbt 1971, Erich Hummel 1984. Die Gesellschaftsanteile bleiben zu je 50 Prozent bei den Gründerfamilien. 

Globaler Konzern: Es gibt Höhen und Tiefen – etwa die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 –, auch etliche Zukäufe. Heute beschäftigt Mann + Hummel 16 000 Mitarbeiter an über 60 Standorten und weist für 2015 drei Milliarden Euro Umsatz aus. (imf)