Michael Fischer freut sich über die große Resonanz. Foto: Waltraud Daniela Engel

Der Rollstuhlfahrer Michael Fischer braucht selbst für alltägliche Kleinigkeiten Hilfe. Seit es keine Zivildienstleistenden mehr gibt, gestaltet sich die Suche nach Helfern äußerst schwierig. Erst ein Facebook-Post brachte den ersehnten Erfolg.

Möhringen/Degerloch - Aus dem Bett aufstehen, sich die Zähne putzen, auf die Toilette gehen, in einen Bus einsteigen: der Degerlocher Michael Fischer kann das nicht alleine. Seit einem Unfall 1986 und der damit einhergegangenen Verletzung der Halswirbelsäule ist der heute 55-Jährige querschnittgelähmt und auf ständige Hilfe angewiesen. Hilfe, die zu finden immer schwieriger wird.

„Seitdem es keinen Zivildienst mehr gibt, ist es immer schwerer, Freiwillige zu finden“, sagt Fischer. 2014 versuchte er mit Plakataktionen in Schulen in Stuttgart auf sich und seine Situation aufmerksam zu machen. Als die nicht den gewünschten Erfolg brachte, warb er sogar an Schulen in Spanien mit Plakaten für die Dienststelle. Gerade noch rechtzeitig im Sommer fand Fischer Helfer – deren Dienst endet aber im September 2015.

Ein ehemaliger Assistent empfahl ihm, eine eigene Facebook-Seite einzurichten. Diese Profilseite in dem sozialen Netzwerk fütterte Fischer regelmäßig mit Bildern, Karikaturen und Zeitungsartikeln – sogenannten Facebook-Posts. „Am Anfang ist die Seite nur so vor sich hingedümpelt“, sagt der 55-Jährige und lacht. Seine ehemaligen Zivis und Bundesfreiwilligendienstleistenden unterstützten ihn zwar und teilten die Posts wiederum mit ihren Freunden und Bekannten – der Erfolg blieb aber aus.

Bilderserie mit alltäglichen Situationen

Bei einem Feierabendbier mit dem Möhringer Mediendesigner Sebastian Heck, der selbst vor mehr als zehn Jahren seinen Zivildienst bei Michael Fischer abgeleistet hat und im Anschluss einen Kurzfilm über die Dienststelle drehte, überlegten die beiden, wie man die Facebook-Seite populärer gestalten könnte. „Wir überlegten uns, wie man einen möglichst großen Wiedererkennungswert schaffen könnte“, sagt Fischer. Die Idee: eine Bilderserie, in der alltägliche Situationen gezeigt werden sollten, die ohne helfende Hände für Fischer nicht bewältigbar wären. So steht Michael Fischer nun vor einem mobilen Klohäuschen, einem Bus oder einer Telefonzelle, liegt im Bett, der Rollstuhl neben ihm oder verdurstet im Biergarten vor seinem vollen Glas. Die ersten beiden Bilder fanden verhältnismäßig wenig Anklang. „Ich habe einfach zu viel Text darüber geschrieben“, sagt Fischer. Die Generation, die nicht ohne Smartphone das Haus verlässt, ließe sich einfach mehr durch auffällige Bilder in den Bann ziehen, erklärt sich der Querschnittgelähmte die Reaktionen. Erst als er einen direkten Aufruf „Hilfe“ auf die Bilder schrieb, nahmen die Klickzahlen – die Summe derer, die das Bild angesehen haben – rasant zu.

1,5 Millionen sehen die Posts

„Wir haben eine richtige Lawine losgetreten“, sagt Fischer. Erst sahen 20 000, dann innerhalb eines Tages 100 000 und nach zwei Tagen über 300 000 Menschen die eingestellten Bilder. „Viele haben auch positive Kommentare geschrieben und dass sie mir Glück bei der Suche wünschen“, sagt der 55-Jährige. Das Bild mit Fischer vor dem Bus erreichte sogar sage und schreibe 1,5 Millionen Menschen. Aus ganz Deutschland, aber auch aus Schweden oder Thailand melden sich Facebook-Nutzer, die die Posts weiterverbreitet haben oder – und das freut Michael Fischer am meisten – ab September einen Bundesfreiwilligendienst bei ihm leisten wollen. Mittlerweile haben sich so viele gemeldet, dass er die überzähligen Helfer weiter vermitteln kann „Ich sollte Kopfgeld verlangen“, sagt Fischer scherzhaft. Martin Beitinger, der Leiter der individuellen Schwerbehindertenassistenz der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart (Eva), profitiert von den Helfern: „Wir freuen uns sehr, dass Michael Fischer auf so ein großes Interesse stößt“, sagt er. Normalerweise sucht die Eva, der zuständige Pflegedienst, Helfer – Fischer wird schon seit Jahren selbst aktiv. „Wir haben Werbung für Freiwillige bei uns gemacht und nicht annähernd so eine Resonanz erzielt wie er. Ich denke, dass er als Privatmann mehr Vertrauen erweckt, als wir als Organisation“, sagt Beitinger. Momentan postet Michael Fischer keine neuen Aufrufe. „Anfänglich habe ich jeden einzelnen Kommentar beantwortet“, sagt er. Dafür habe er täglich mehrere Stunden aufgewendet. Ein lohnenswerter Aufwand, den er nächstes Jahr wieder betreiben wird, um genügend Helfer zu finden.

 

Mein Film (SWR 2014) wurde vermisst. Jetzt findet ihr ihn wieder! https://vimeo.com/130621557

Posted by Michael Fischer on Samstag, 13. Juni 2015