Caspar Wolf, Unterer Grindelwaldgletscher, Lütschine und Mettenberg, um 1775 Foto: : Museum Oskar Reinhart, Winterthur

Bis vor 250 Jahren waren die Alpen ein Verkehrshindernis - heute sind die Ort der Sehnsucht für Flachlandbewohner. Der Schweizer Maler Caspar Wolf hat an diesem Wandel entscheidend Anteil gehabt.

Ereignis Alpen

Wenn nun bald wieder in den Alpen zwischen Courchevel und Kitzbühel die Wintersportsaison beginnt, werden skibegeisterte Touristen die Bergregion im Herzen Europas als einen riesigen Freizeitpark wahrnehmen. Vor 250 Jahren war der Blick der Menschen auf die Alpen jedoch ein gänzlich anderer. Die Gebirgslandschaft war jahrhundertelang ein riesiges Verkehrshindernis, das den Kontinent zerschnitt und den Austausch zwischen Nord und Süd erschwerte. Niemand begab sich ohne Not in diese felsige Wüstenei, die als gefährlicher Unort empfunden wurde.

Dass wir die Alpen heute so ganz anders sehen, hat auch mit den Pionieren der physischen und ästhetischen Eroberung der Alpen zu tun, zu welchen der Schweizer Maler und Grafiker Caspar Wolf Wesentliches beigetragen hat, dessen Leben und Werk nun in einer umfassenden Ausstellung im Kunstmuseum Basel präsentiert wird.

Caspar Wolf

Wolf wurde 1735 in bescheidenen Verhältnissen im aargauischen Muri geboren, auch seine Ausbildung zum Maler in Konstanz, Augsburg, München und Passau entsprach durchaus dem konventionellen Werdegang mittelmäßiger Künstler aus der süddeutschen und Schweizer Provinz. Nach seiner Lehrzeit war Wolf fast zehn Jahre in Muri als ein in erster Linie handwerklich ausgerichteter Maler tätig, der für die bedeutende Benediktinerabtei seiner Heimatstadt so profane Dinge wie Tapeten und Öfen künstlerisch gestaltete. Erst als Wolf 1769, getrieben von der Selbsterkenntnis, „er wäre noch nicht geschickt genug“, für drei Jahre nach Paris ging, um sich künstlerisch weiterzuentwickeln, verließ er den vorgezeichneten Weg eines bescheidenen Gebrauchskünstlers.

Landschaft als Drama

In der Metropole arbeitete er im Atelier des erfolgreichen Landschaftsmalers Philippe-Jacques de Loutherbourg. Dessen Landschaften entsprachen weniger der galanten, tändelnden Harmlosigkeit der Rokokoidyllen im Stile Bouchers und Fragonards, sondern interpretierten die Natur als einen künstlerischen Bühnenraum für dramatische Ereignisse wie Feuersbrünste, Schlachten oder Schiffsuntergänge. Wolf lernte in Paris mit dieser hochemotionalen Auffassung von Natur und der Stellung des Menschen in ihr, wie sie neben Loutherbourg der Ruinenmaler Hubert Robert oder der Schilderer tragischer Seeunglücke Claude-Joseph Vernet vertraten, eine Malerei kennen, welche die Frühromantik entscheidend vorprägte und seine eigene künstlerische Fortentwicklung wesentlich beeinflussen sollte.

Verlegermut

Von entscheidender Bedeutung für Wolf wurde nach seiner Rückkehr in die Schweiz seine Begegnung mit dem Berner Verleger Abraham Wagner (1734–1782). Dieser hatte das ehrgeizige Projekt, die Alpenlandschaft der Schweiz umfassend zu dokumentieren, naturwissenschaftlich zu analysieren und durch zahlreiche Abbildungen zu illustrieren. Neu an dem Vorhaben war auch, dass Wagner die Alpen selbst aus unmittelbarer Nähe erforschen wollte, sich selbst in die Bergwelt begab und regelrechte wissenschaftlich-künstlerische Expeditionen in die Schweizer Hochalpen organisierte. Während die Naturforscher Albrecht von Haller und Jakob Samuel Wyttenbach geologische, mineralogische und botanische Forschungen anstellten, sollte Caspar Wolf die visuelle Erfassung der dramatischen Berglandschaft vornehmen. Auf ausgedehnten Bergtouren in den Sommermonaten der Jahre von 1773 bis 1777 hat Wolf eine umfangreiche Bilderfolge von Alpenansichten geschaffen: Zwischen 170 und 200 Landschaftsgemälde sind so entstanden.

Breite Vervielfältigung

Wagner plante eine mehrstufige Verwertung der Bilderfolge: In seinem Haus in Bern konnten die Gemälde in einem „Alpenkabinett“ gegen Eintritt besichtigt werden, Repliken der Bilder von der Hand Caspar Wolfs konnten erworben werden, schließlich wurden die Darstellungen mittels teilweise sorgfältig handkolorierter Radierungen als Einzelblätter oder als Gesamteditionen vertrieben. So war Wagners großangelegtes Vorhaben zweierlei: das wohlüberlegte Geschäftsmodell einer verlegerischen Initiative, aber auch ein enzyklopädisches Unternehmen, das im Sinne der Aufklärung eine bisher unbekannte Landschaft entdecken und beschreiben wollte.

Caspar Wolf, der 1783 nur 48-jährig in Heidelberg starb, wäre ohne dieses Alpenprojekt heute längst vergessen, seine Schilderungen der Schweizer Berge haben ihm jedoch einen festen Platz in der europäischen Kunstgeschichte gesichert. Wolf schuf auf den Alpenexkursionen unzählige kleinformatige Ölskizzen, die er später in seinem Atelier zu Gemälden ausgearbeitet hat. In der Basler Ausstellung sind rund 125 dieser Skizzen und Gemälde versammelt.

Erleben klirrender Kälte

Wolfs Darstellungen behandeln die Landschaft der Schweizer Hochalpen in vielerlei motivlichen, kompositorischen und koloristischen Variationen und dokumentieren die topografische Wirklichkeit, ohne sich die Freiheit des effektvollen künstlerischen Arrangements zu nehmen. So entstehen Gegensatzpaare vom selben Standpunkt aus, wenn Wolf etwa den Ausgang aus der Dalaschlucht bei Leukerbad einmal nach Süden und einmal nach Norden (beide aus dem Musée d’art du Valais, Sion) malt oder den Unteren Grindelwaldgletscher (Museum Caspar Wolf, Muri) sowohl bergauf wie auch talwärts hinab in seiner damals noch imposanten Größe dokumentiert. Hier wird der Künstler des 18. Jahrhunderts für uns zu einem Zeugen einer Alpenwelt, die während der noch anhaltenden Kleinen Eiszeit, während der Wolf lebte, sich so viel eisiger präsentierte, als sie dies in der Gegenwart tut.

Wolf erweist sich als ein begnadeter Schilderer der klirrenden Kälte vergletscherter Bergriesen wie des Fiescherhornmassivs bei Grindelwald (Museum Oskar Reinhart, Winterthur) und der flüchtigen Atmosphäre der gigantischen Wasserfälle, wenn etwa der Geltenschuss im Lauenental (Kunstmuseum Basel) aus schwindelerregender Höhe ins Tal fällt und sein Wasser als wirbelnde Gischt auf den Fels trifft.

Die Romantik kündigt sich an

Panoramahafte Erhabenheit wie im Blick von Andermatt nach Hospental (Privatbesitz) wechselt mit Darstellungen der klaustrophoben Abgeschlossenheit enger Bergtäler wie des Urnerlochs (Barrett Collection, Dallas), in dem der Blick in eine dunkle Sackgasse gerät, oder gar in den von Wolf so geschätzten Höhlendarstellungen – dank dieser erhielt er von den Zeitgenossen den Spitznamen „Höhlenwolf“. Wohl sich selbst stellt er in der Bärenhöhle bei Welschenrohr (Kunstmuseum Solothurn) als winziges, zeichnendes Menschlein in der riesigen, schauerlich-schönen Höhle dar.

So sind Caspar Wolfs Landschaftsdarstellungen, die aus dem Streben nach der rationalistischen Erkundung der Wirklichkeit heraus entstanden sind, auch Zeugnisse eines zutiefst subjektiven Naturerlebens, der Künstler transformiert mit seinen Bildern den Positivismus des 18. Jahrhunderts hinüber in die sich ankündigende Romantik des 19. Jahrhunderts.