Sandra Maischberger will es genau wissen: Sind die Medien der verlängerte Arm der Politik – oder ist es eher umgekehrt? Foto: dpa

Sind die klassischen Medien heute so wenig vertrauenswürdig, wie ihnen speziell im Lager der Populisten vorgehalten wird? Sandra Maischberger geht den Vorwürfen auf den Grund – unglücklicherweise in einer einseitigen Talkrunde, die ihrerseits fast keine Fakten zu bieten hat.

Stuttgart - Es ist im Nachhinein schwer zu beurteilen, ob es gut war, das TV-Drama „Die vierte Gewalt“ (ARD) vor „Maischberger“ zu sehen – oder ob es nicht doch besser gewesen wäre, direkt zur Talkshowzeit einzuschalten. Der Medienthriller ist so sehr mit Fiktion und Klischees vollgepackt, dass man danach geneigt war, alles Reale für bare Münze zu nehmen. Ein Fehler. „Die vierte Gewalt“ schreibt den Journalisten alle erdenklichen Schwachstellen zu und zeichnet eine Branche, die „aus dem letzten Loch pfeift“. Dies erscheint noch erträglich, da die wilde Reporterstory einigermaßen spannend inszeniert wurde. Bedenklich jedoch, dass die Talkrunde auf diesem Niveau munter weitermachte.

“Kann man Journalisten noch trauen?“ lautet der Titel bei Sandra Maischberger, und so fragt die Moderatorin denn auch ohne Unterlass: Ob es eine Verschwörung der Medien gebe, ob sie ihre Meinungsmache verabredeten, ob sie der verlängerte Arm der Politik seien, ob Journalisten selbst Politik machen wollten, ob die Presse auf einem Auge blind sei und ob sie in der Gesamtheit Lügen verbreite und so weiter. Eingespielt werden Umfrageausschnitte und Zitate, die desgleichen den Eindruck vermitteln, dass die Medien Einfluss nehmen wollen, alle in eine Richtung berichten, der verlängerte Arm der Bundesregierung seien – kurzum, dass sie Teil der sogenannten „Lügenpresse“ seien. Bekanntermaßen ein pauschaler Kampfbegriff, mit dem autoritäre Systeme früher liberale Medien diskreditierten.

Beinahe wie zu DDR-Zeiten

Damit nicht genug: Joachim Radke, ein Pegida-Demonstrant, lässt sich über die „Gleichschaltung“ (noch so ein historisch verbrannter Begriff) der Berichterstattung in Deutschland aus. In der Euro-Krise habe die undifferenzierte Darstellung begonnen. Seither werde mit Halb- und Unwahrheiten gearbeitet, so dass ein Gefühl der Meinungsmanipulation entstanden sei. Also beinahe wie zu DDR-Zeiten, zieht der Berliner Busfahrer einen waghalsigen Vergleich. „Es geht nicht nur mir so, sondern Tausenden und Millionen im Land“, versichert Radke live und völlig unzensiert vor einem Millionenpublikum.

Die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin und Ex-CDU-Abgeordnete Vera Lengsfeld liefert nicht ganz taufrische „Lügenpresse“-Belege aus ihrem Leben: die 20 Jahre alte Drohung eines Boulevardzeitungs-Chefredakteurs, er werde sie so „runterschreiben, dass du nicht mehr in den Spiegel gucken kannst“. Einer Studie zufolge würden drei Viertel der Menschen den Medien nicht mehr trauen, schlussfolgert Lengsfeld, ohne Details zu nennen. Später knöpft sie sich, einmal im Furor, den „Stern“ vor, in dessen jüngster Reportage über Sachsen „alles falsch“ gewesen sei. Zudem den „Spiegel“, der sich von Justizminister Heiko Maas eine halbgare Berichterstattung zur angeblichen Legalisierung von Kinderehen habe andienen lassen. Maischbergers Frage nach Belegen beantwortet Lengsfeld ganz ernsthaft: „Das hat in den Medien gestanden.“

Der nimmertalkmüde „Social-Media-Experte“ Sascha Lobo wirft ihr vor, in ihrem Internet-Blog selbst Unwahres zu verbreiten, woraufhin Lengsfeld locker kontert: „Ich habe alles verlinkt – jeder kann sich seine Meinung dazu bilden.“ Ihre Quellen sind aber offenbar auch nicht aus erster Hand.

Ulrich Wickert ist kein Verteidiger seiner Zunft

Von Ulrich Wickert ist keine machtvolle Verteidigung seiner Zunft zu erwarten, wie sich rasch zeigt. Der frühere „Tagesthemen“-Moderator bestätigt sogleich, dass Politiker von den Journalisten „immer wieder in die Ecke gestellt werden, gar keine Frage“. Siehe den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff. So etwas werde nicht verabredet – „das ist etwas, was passiert“. Wickert erzählt uralte Geschichten, die mal die Beeinflussung der Medien durch die Politik ausdrücken und ein anderes Mal wieder nicht. Ansonsten sagt er dies und das – zu Twitter etwa: „Da kann man nur was hinwerfen, ohne tieferen Gang.“ Facebook dagegen sei „wirklich gefährlich“, weil es „Echokammern“ zulasse. Gemeint ist die sogenannte Filterblase, die den Internet-Nutzern ihre eigene Meinung zurückspielt.

Der Medienwissenschaftler Gerhard Vowe bemüht sich zwar um Objektivität, doch auch für ihn leben Journalisten in einer „Blase“. Politik, Verbände, Wissenschaft und Journalisten seien „natürlich“ eng miteinander verbunden. „Es sind Elitennetzwerke, von denen wir regiert werden“, sagt der Düsseldorfer Professor, nennt aber wenigstens Verschwörungstheorien „völlig abstrus“. Erhebungen zufolge vertrauten 40 Prozent den Medien, aber 60 Prozent vertrauten ihnen weniger oder gar nicht. Unter der Mehrheit der Skeptiker gibt es demnach einen harten Kern: Zwölf Prozent würden sich zum Begriff „Lügenpresse“ bekennen, und ein bis zwei Prozent würden dies auch nach außen demonstrieren. Doch Vowe resümiert kühn: „Das ist auch gut so – von einer Vertrauenskrise kann überhaupt nicht die Rede sein.“

Freude über die „Willkommenskultur“

Eingeblendet werden die Resultate einer weiteren Studie der Hamburg Media School, wonach 82 Prozent von 19 000 Berichten über Flüchtlinge im vorigen Jahr positiv gewesen seien, zwölf Prozent hätten neutral geschildert, lediglich sechs Prozent hätten die Zuwanderung problematisiert. Allerdings: Gezählt wurden nur die Texte, in denen die „Willkommenskultur“ thematisiert worden ist. Mit anderen Worten: Die Aussagekraft dieser Zahlen schmilzt wie Schnee in der Sonne.

So ist Sascha Lobo, der Mann mit dem Irokesen-Schnitt, fast der Einzige, der sich noch – ein bisschen – vor die klassischen Medien stellen mag. Deren positive Resonanz im Herbst 2015 begründet er mit der Freude der Journalisten, dass Kriegsflüchtlinge in einem Land mit dieser Geschichte so positiv begrüßt werden können. Es hat wohl weniger mit dem Weltbild der Journalisten zu tun, die sich zu fast 80 Prozent als „grün und links“ verorteten, wie Vera Lengsfeld wo auch immer ermittelt hat.

Von „vierter Gewalt“ kann in dieser Talkrunde jedenfalls nicht mehr die Rede sein. Auch Sandra Maischberger mag nicht gegenhalten, sondern entschuldigt sich vielmals bei Busfahrer Radke für ihre Wortwahl, wonach die Pegida-Anhänger „marschieren“ statt gehen. Bloß keinen Fehler gegenüber den Zuschauern machen, die den Medien keine Schwächen mehr verzeihen wollen.

Bei genauem Hinhören müsste diese krude Talkshow trotzdem stutzig gemacht haben, weil es an Fakten mangelt. Vielmehr wird das Gerede von der „Lügenpresse“ von den Rechtspopulisten vor allem deswegen geschürt, um unkontrolliert Halb- und Unwahrheiten über die sozialen Netzwerke zu verbreiten. Siehe Donald Trump. Journalisten mit Berufsethos stören da nur.