Heidel (li.) bewies mit der Verpflichtung von Trainer Hjulmand Mut und ein glückliches Händchen Foto: dpa

Christian Heidel (51) hat vor dem Spiel des VfB Stuttgart beim FSV Mainz 05 (Samstag, 18.30 Uhr/Sky) eine einfache Erklärung dafür, warum sein kleiner Club die Großen abgehängt hat: „Wir machen weniger Fehler.“

Guten Tag Herr Heidel, was ist los in Mainz? Bis vor wenigen Wochen noch in der Spitzengruppe der Liga, jetzt im Kampf gegen den Abstieg angekommen.
Ich habe mich nicht durch acht ungeschlagene Spiele zu Beginn blenden lassen, genauso wenig verfalle ich jetzt in Panik, weil wir sechs Spiele in Folge nicht gewonnen haben. Wir sind Mainz 05, da ist es ganz normal, dass wir nicht immer konstant spielen.
Nach der 1:2-Niederlage in Hamburg haben Sie eine „harte Welle“ angekündigt. Wie darf man sich das in Mainz vorstellen?
Indem nichts nach außen dringt.
Aber etwas unternommen haben Sie schon?
Wer mich kennt, weiß, dass ich kein Liebhaber emotionaler Brandreden bin. Bei unseren Jungs weiß ich, dass allein die Ankündigung Wirkung zeigt, dass die Woche über jetzt ganz genau hingeschaut wird.
Dann scheint die Mannschaft gehörig Respekt vor Ihnen zu haben . . .
Darum geht es mir nicht. Wichtiger ist, dass die Jungs verstanden haben, dass das, was sie in Hamburg in puncto Körpersprache und Einsatzwillen gezeigt haben, einfach nicht genügt. Mit 80 Prozent reicht es für Mainz 05 in der Bundesliga nicht. Ich glaube, das wissen die Spieler auch. Vielleicht haben sie es nur mal kurz vergessen.
Das mit den 80 Prozent gilt für fast alle Clubs. Die Liga ist ausgeglichen wie selten, zumindest in der unteren Hälfte. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Die kleineren Clubs haben aufgeholt, so einfach ist das. Früher waren die Aufsteiger gleich potenzielle Absteiger, das ist seit einiger Zeit – mit wenigen Ausnahmen wie Fürth oder Braunschweig – nicht mehr so.
Weil auch der Unterbau immer besser wird?
Erstens das, siehe Paderborn als aktuelles Beispiel. Dann kommt hinzu, dass in Freiburg, Augsburg oder auch bei uns zuletzt ganz gute Arbeit geleistet wurde.
Und die vermeintlich Großen wie der VfB, der Hamburger SV oder Werder Bremen stehen geblieben sind.
Ich habe immer gesagt, dass wir nur eine Chance in der Bundesliga haben, wenn wir weniger Fehler als die anderen machen. Fehler machen wir alle. Ich bin aber der Letzte, der mit dem Finger auf andere zeigt, was die alles falsch machen. Das würde zwangsläufig bedeuten, dass wir alles richtig machen. Davon sind wir aber weit entfernt.
Wo haben Sie denn weniger Fehler gemacht als die anderen?
Unsere Stärke liegt sicherlich darin, dass wir über Jahre eine Kontinuität hinbekommen haben. Das ist die Grundvoraussetzung für Erfolg. Gerade auf entscheidenden Positionen wie der des Trainers. Es gehört aber immer auch ein glückliches Händchen dazu.
Oder Mut, auch mal einen unbekannten Trainer wie Kasper Hjulmand zu verpflichten.
Sicher, was aber nicht heißen soll, dass es zwangsläufig schlecht sein muss, einen erfahrenen und bekannten Trainer zu holen.
Wie der VfB mit Huub Stevens. Wie lautet Ihre Ferndiagnose zu Ihrem kommenden Gegner, dem VfB Stuttgart?
Dort stand Kontinuität zuletzt sicher nicht ganz oben auf der Agenda . . .
. . . das ist freundlich umschrieben.
Wie schon gesagt, es steht mir nicht zu, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Der VfB ist ein großer Verein, ich bin mir sicher, dass sie wieder auf die richtige Spur kommen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der VfB etwas mit dem Abstieg zu tun haben wird. Das ist gerade eine schlechte Phase, aus der er auch wieder herauskommen wird. Hoffentlich aber erst nach dem Spiel bei uns.
Halten Sie es für realistisch, dass ein Club wie Mainz dem VfB dauerhaft den Rang abläuft?
Das wird ganz, ganz schwierig werden. Weil einfach die wirtschaftlichen Unterschiede viel zu groß sind. Wir haben in Mainz mit dem ZDF und den Glaswerken Schott, neben der Universität und der Stadtverwaltung gerade mal zwei Unternehmen mit mehr als 2000 Mitarbeitern. Wenn ich dagegen Stuttgart sehe mit seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten – lieber Gott, wie sollen wir da auf Dauer mithalten können?
Sie schaffen es aber schon eine ganze Weile.
Wir haben seit fünfeinhalb Jahren nicht auf einem Abstiegsplatz gestanden, das erfüllt uns mit Stolz. Aber wir sind immer dazu verteufelt, weniger Fehler zu machen als die Konkurrenz. Sonst haben wir keine Chance.
Der VfB Stuttgart möchte als einer der letzten eingetragenen Vereine (e.V.) in der Bundesliga seine Profimannschaft in eine Kapitalgesellschaft überführen. Was denken Sie darüber?
Ich kann das in einer Stadt mit diesem wirtschaftlichen Umfeld gut nachvollziehen. Wenn es Unternehmen wie zum Beispiel Daimler gibt, die sich nachhaltig engagieren wollen, ergibt eine Ausgliederung Sinn. Aber das muss jeder Club selbst entscheiden.
Warum haben Sie sich in Mainz dagegen entschieden?
Weil die Bedingungen hier ganz andere sind. Wirtschaftlich, aber auch konzeptionell. Mainz 05 kann sich nicht mit Dortmund und München vergleichen und auch nicht mit Hoffenheim und Wolfsburg, selbst mit dem Hauptstadtclub Hertha BSC nicht. Wir haben bislang noch keine Vorteile in der Gründung einer Kapitalgesellschaft gesehen. Ich möchte es aber auch nicht für immer ausschließen. Das Szenario, dass es irgendwann gar keine e.V.s in der Bundesliga mehr gibt, kann ich mir durchaus vorstellen.
Das hieße, dass man als Verein auf Dauer keine Chance hat?
Wenn es die Möglichkeit gibt, über die Ausgliederung mehr Kapital zu generieren und über den e.V. nicht, dann werden eingetragene Vereine keine Chance mehr haben und müssen umdenken.
Wann wird das der Fall sein?
Schwer zu sagen. Ich hoffe, wir haben noch Zeit, aber der Fußball entwickelt sich derzeit rasant.
Zurück zum Sportlichen. Was haben Sie eigentlich mit Shinji Okazaki gemacht?
Gar nichts, warum?
Weil er sich in Mainz zum Top-Torjäger entwickelt hat – und beim VfB das genaue Gegenteil davon war.
Shinji fühlt sich sehr wohl bei uns. Und er spielt jetzt auf der richtigen Position – als alleinige Sturmspitze.
So einfach ist es manchmal.
Wir haben ihn schon bei Stuttgart eher als Stürmer denn als Mittelfeldspieler gesehen, dafür fehlt ihm das Tempo. Vorne kann er seine Stärke im gegnerischen Strafraum, seine Effektivität, aber auch seine Aufgabe als erster Verteidiger am besten ausspielen.
Jetzt brennt er sicher darauf, gegen seinen Ex-Club zu treffen.
Shinji brennt immer. Ich glaube nicht, dass ihm Tore gegen Stuttgart eine besondere Genugtuung bereiten. Er hat nie ein schlechtes Wort über seinen früheren Verein verloren.
Es dürfte sich sicher auch schon bis nach Mainz herumgesprochen haben, dass sie in Stuttgart einen neuen Sportdirektor suchen. Wäre das nichts für Sie?
Ach, du lieber Gott! Ich bin der Letzte, der sich jemals irgendwo selbst ins Gespräch gebracht hat, und das wird auch so bleiben.
Verspüren Sie nach bald 25 Jahren in Mainz nicht mal Lust auf etwas Neues?
Ich habe immer betont, dass ich mit Mainz nicht verheiratet bin. Aber im Moment bin ich noch sehr glücklich hier.
Was müsste passieren, dass Sie Mainz irgendwann verlassen?
Da müsste sehr, sehr viel kommen, das müsste ein Projekt sein, dass mich total reizt. Ich bin kein typischer Sportdirektor, der für die Zusammenstellung einer Mannschaft zuständig ist. Mir geht es immer um einen Verein und dessen Positionierung und Philosophie als Ganzes, mit der Priorität auf Kontinuität und Nachhaltigkeit. Die Profiabteilung ist in Mainz nur ein kleiner Teil meiner Verantwortung.
Was ist mit Ihrem Ex-Trainer? Sein Name schlägt in Stuttgart auch ständig auf. Denkbar für Sie?
Ich kann nicht für Thomas Tuchel sprechen. Aber der Verein, der ihn irgendwann verpflichten kann, wird sehr glücklich werden, weil er ein überragender Trainer ist.