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Märklin-Chef Stefan Löbich ist überzeugt: "Faszination für Modellbau ist immer noch da."

Stuttgart - Nach zwei Jahren in der Insolvenz ist die Göppinger Kultmarke Märklin dieses Frühjahr auferstanden. Der Mann, der daran arbeitet, die Modellbahnleidenschaft wieder in die Kinderzimmer zu tragen, kommt von einem Schraubenkonzern. "Das macht gar nichts", sagt er.

Auf der Modellbahnmesse IMA hat Stefan Löbich jüngst seine Zukunft getroffen. Sie kam in der Gestalt eines ziemlich alten Herrn daher. "Hallo", sagte der Pensionär. "Sie sind doch der Löbich, der neue Märklin-Chef." Löbich sagte "Ja", und beide kamen ins Gespräch. Der rüstige Rentner erzählte Löbich von einem dramatischen Vorfall, der sich vor kurzem bei ihm zu Hause ereignet habe. Er sei in eine größere Wohnung umgezogen. Statt 60 habe er jetzt 100 Quadratmeter. Als Löbich verdutzt nachfragte, was denn daran so schlimm sei, blickte der Greis verständnislos zu ihm auf: "Wegen des Umzugs bin ich auf Entzug - von meiner Modelleisenbahn." Die habe er erst mal zurücklassen müssen. Zum Spielen komme er nun nicht mehr.

Eisenbahn-Enthusiasten wie der rüstige Rentner, die in ihren Wohnungen die Türen aussägen, um Orient-Express und Krokodil durch die Zimmer fauchen zu lassen, oder im Keller Echtzeit-Geschwindigkeitstests mit ICE und Thalys in Spurweite H0 durchführen, sind die Hoffnung der gesamten Modellbaubranche - und gleichzeitig ihr größter Fluch. Noch immer ist die technikbegeisterte Wirtschaftswundergeneration der über 60-Jährigen die wichtigste Käufergruppe, vor allem für hochpreisige Edelhersteller wie Märklin. Das Problem: Die Tage der Modellbau-Methusalems sind gezählt. Wenn die Branche nicht aufpasst, sterben ihr in einigen Jahren die Kunden weg.

Kinder sollen an die Modellbahn herangeführt werden

Eigentlich hat die Entwicklung schon voll auf die Hersteller durchgeschlagen. Im vergangenen Jahrzehnt sind mit Trix, Fleischmann, Roco, Arnold, Kibri oder Faller eine ganze Reihe traditionsreicher Unternehmen in die Pleite gerutscht oder von Konkurrenten übernommen worden. Märklin, das Urgestein des deutschen Modellbaus, erwischte die Insolvenz 2009 - just im Jahr seines 150-jährigen Bestehens. Die Firma wurde umstrukturiert, Mitarbeiter mussten gehen, Zulieferern wurde gekündigt, mit den Gläubigern ein Schuldenschnitt vereinbart. Nach zwei harten Jahren unter Zwangsverwaltung ist das Unternehmen seit Frühjahr 2011 aus dem Gröbsten heraus. Allerdings dampft Märklin jetzt zwar wieder aus eigener Kraft voran, aber immer noch in eine ungewisse Zukunft.

Denn am Grundsatzproblem der überalterten Klientel hat sich nichts geändert. Geschäftsführer Löbich, dessen Karriere vor 16 Jahren beim Künzelsauer Schrauben-Magnaten Würth begann, will jetzt umsteuern. Seine Kernaufgabe sei es, "normale Leute und Kinder an die Modellbahn heranzuführen", sagt er im Redaktionsgespräch mit unserer Zeitung. "Mit Sammlern allein können wir nicht mehr glücklich werden."

Darum ist Löbich jetzt öfter mal draußen bei seiner Klientel. Im Göppinger Stammwerk organisiert er Kindernachmittage, wo die Generation Hoffnung direkt sehen kann, wie eine Modelleisenbahn entsteht, und die ratternden Bahnen auch mal selbst unter die Finger bekommt. Bei den Mitte September veranstalteten "Märklin-Tagen" habe man "die Kinder fast nicht mehr aus den Hallen herausgebracht", sagt er. Dazu mag auch beigetragen haben, dass Löbich die Produkte konsequent auf die junge Kundschaft ausrichtet. Seit dem Frühjahr haben die Göppinger beispielsweise einen Kinder-ICE im Programm, der zwar nicht gerade durch Detailreichtum, wohl aber durch Robustheit glänzt. "Da kann man auch schon mal drauftreten, ohne dass er kaputtgeht", freut sich Löbich. Auch bei der Jugend scheint das klobige Plastik-Gefährt anzukommen. "Die Züge gehen weg wie geschnitten Brot", meint Löbich.

Playstation statt Modellbahn

Sowieso ist sich der Märklin-Mann sicher, dass "die Faszination" für die von manchen als angestaubt verschriene Branche immer noch da ist. Es seien die Alternativen im Spielzeuguniversum, die leider nun mal "so brutal explodiert" seien.

Tatsächlich liegen heute - anders als vor 50 Jahren - vor allem Mitmach-Spielkonsolen wie Xbox, Wii oder Playstation unter den Weihnachtsbäumen der Republik. Anstatt sich beim Betrachten der in steter Kreisbahn schnaubenden Loks die Nackenmuskulatur zu verspannen, ermüdet der Nachwuchs heute durch stundenlangen Facebook-Konsum vor dem Laptop.

Löbich, der im edlen grauen Anzug und umgeworfenen Kashmir-Schal eigentlich eher wie ein Dandy und nicht wie ein Eisenbahnromantiker daherkommt, zuckt mit den Achseln. "Keine Frage. Man muss heute mehr tun. So leicht wie früher erreicht man die Leute nicht mehr."

Dafür weiß Löbich, wo er sie erreicht. Überall dort, wo die Eisenbahn im wahren Leben eine Rolle spielt, hätten auch ihre kleinen Vettern in H0 eine Chance. Die Schweiz mit ihrem dicht gewobenen Schienennetz sei auch ein klassischer Modellbahn-Markt. Skandinavien, wo sich ein steter Lindwurm von Erzzügen von Nord nach Süd schlängle, ebenfalls. Besondere Bedeutung misst Löbich auch dem US-Geschäft zu. Dieses musste infolge der Insolvenz zwar Federn lassen. Jetzt sollen die USA aber zum Kernmarkt werden - besonders für die großformatigen Gartenbahnen, die Märklin unter dem Namen LBG vermarktet.

Und Märklin? Wo steht das Unternehmen im Jahr eins nach der Insolvenz? Löbich sagt, das Geschäft entwickle sich stabil. Und noch etwas stimmt ihn optimistisch. Es hat viel mit Gefühl zu tun. "Unsere Mitarbeiter lieben ihr Produkt", sagt er. Wenn man die Hallen in Göppingen betrete, falle es sofort auf - die Aufbruchstimmung in den Gesichtern, die stolz getragenen Märklin-Hemden. Als er das das erste Mal gesehen habe, habe er eine Gänsehaut bekommen.