Kommt immer gut an: Sich für die Menschen, die einem am Herzen liegen, Zeit nehmen. Foto: Shutterstock/Kunal Mehta

Die ungeliebte Krawatte, die Verlegenheits-Socken oder die Stofftier-Schwemme: Jedes Jahr bleiben viele Geschenke nach Weihnachten ungenutzt liegen. Deshalb verweigern sich immer mehr Menschen dem Konsum zum Fest. Sie verschenken Zeit.

Frankfurt/Main - Ein Einkaufszentrum an einem Nachmittag in der Vorweihnachtszeit: Menschenmassen drängen sich auf der Suche nach Geschenken hastig durch die Einkaufspassage in die Geschäfte. Doch eine kleine Gruppe in roten Jacken lässt die Hektik kalt. In aller Ruhe gehen die Aktivisten auf die Passanten zu, verwickeln sie routiniert in Gespräche und verteilen Gutscheine. Nicht etwa, um die Menschen zum Kauf zu verlocken. Sondern um etwas zu verschenken, das man nicht kaufen kann: Zeit.

„Zeit schenken“ heißt eine Aktion der Stadt in Frankfurt am Main. „Keiner weiß, was er zu Weihnachten kaufen soll. Dabei ist Zeit das Beste, was man schenken kann“, sagt Frank Goldberg, Geschäftsführer des Präventionsrats, der sich die Aktion ausgedacht hat. Er habe die Erfahrung gemacht, dass in vielen Familien die Zeit fehle, einander zuzuhören. Zuwendung werde durch Konsumgüter ersetzt. Deshalb geht er vor Weihnachten mit seinen Kollegen in „Konsumtempel“, um Denkanstöße zu geben.

Trendforscher: Zeit immer kostbarer

„Zeit und Geschenke mit persönlichem Wert werden wichtiger“, sagt auch Trendforscher Andreas Steinle vom Zukunftsinstitut in Frankfurt. Die Menschen hielten mehrere Bälle gleichzeitig in der Luft, seien gestresst, zugleich lebten viele Familien voneinander entfernt. Zeit werde immer kostbarer. Dies führe sogar so weit, dass Freizeit zunehmend die klassischen Statussymbole ablöse. „Wer ein Sabbatical nehmen kann, macht damit mehr Eindruck als mit einem teuren Auto.“

Wer seine freie Zeit verschenken möchte, findet viele Anregungen: Auf der Internetseite „Zeit statt Zeug“ kann man zum Beispiel mit einer elektronischen Postkarte zu gemeinsamen Aktivitäten wie einem „Kochabend statt Kochbuch“ oder „Zoobesuch statt Stofftier“ einladen und dabei das eigene Konsumverhalten hinterfragen. „Wir wollen ohne erhobenen Zeigefinger dazu anregen, die Zeit sinnvoller zu nutzen“, sagt Nanna Beyer von der Wiesbadener Medienagentur Scholz & Volkmer, die die Internetseite entwickelt hat. Bis in die Illustrierte „Gala“ hat es die Website geschafft. „Das zeigt, dass Anti-Konsum inzwischen boulevardfähig ist.“

Selbst „Zeit in Dosen“ kann man kaufen - zumindest als Gutschein in einer Metalldose verpackt. Erfinder Dieter Hauser zufolge ist die Idee unter Zeitdruck entstanden. „Zeit ist knapp“, sagt der Verpackungsdesigner. Warum solle man sie nicht einfach verschenken, habe er sich gedacht und das Produkt entwickelt. Ob und welchen Wert der Zeitgutschein bekommt, kann jeder für sich entscheiden.

Zeit schenken, heißt auch sich selbst belohnen

Ganz uneigennützig ist der Gedanke hinter dem Zeit-Schenken nicht. Schließlich beschenkt man sich dabei auch selbst. Das passt zur neuen Art zu konsumieren, mit der sich auch Beyer beschäftigt: „Das Gute wird mit dem Nützlichen verbunden.“ Hauser formuliert es positiver: „Geteilte Freude ist doppelte Freude.“ Ganz ohne Konsum geht es auch nicht, aber man kann bewusster kaufen und sich Zeit nehmen, sein eigenes Verhalten zu hinterfragen.

Im Einkaufszentrum zeigen die Denkanstöße von Goldberg und seinem Team inzwischen erste Wirkung. Einige freuen sich, wie eine entspannt lächelnde Passantin, die sich mit einem freien Tag beschenkt hat, oder ein junger Mann, der ehrenamtlich Zeit mit Strafgefangenen verbringt und sich über die Bestätigung freut. „Vielen wird in den Gesprächen bewusst, dass sie sich mal wieder mehr um die kranke Tante oder die Nachbarin kümmern sollten“, sagt er. Die meisten aber hetzen gestresst an der Gruppe vorbei.