Auf der B 14 in der Stuttgarter City wird um angepasstes Tempo gebeten. Hintergrund: Die EU-Grenze von maximal 35 Tagen pro Jahr mit Grenzwertüberschreitungen der Luftschadstoffe wurde gerissen Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Bereits Ende März ist Stuttgart seinem Ruf als dreckigste Stadt – gemeint sind Luftschadstoffe – gerecht geworden. Die EU-Grenze von maximal 35 Tagen pro Jahr mit Grenzwertüberschreitungen wurde gerissen. Direkt Betroffene und Bürgerinitiativen fordern von Land und Stadt eine schnelle Lösung.

Stuttgart - Das Regierungspräsidium Stuttgart (RP) wollte am Donnerstag mit Verbänden und Betroffenen klären, mit welchen Mitteln der öffentlichen Beteiligung der nächste Luftreinhalteplan aufgestellt werden könnte. Dahinter steht der Auftrag der Landesregierung nach einer stärkeren Einbeziehung von Bürgern, Stichwort „gehört werden“.

Doch bei den Eingeladenen, die teils seit Jahrzehnten für bessere Luft und damit verbunden meist für eine Beschränkung des Autoverkehrs kämpfen, stehen erweitere Beteiligungsmöglichkeiten (deren Ergebnisse übrigens nicht verbindlich sind) nicht an erster Stelle. Sie wollen endlich Ergebnisse sehen.

In Stuttgart wabert ein Schadstoffcocktail in der Luft, der krebserregend ist und jeden Grenzwert reißt. Das sei nicht neu, deshalb sei für ein Beteiligungsscoping , also die Definition, wie Öffentlichkeit mitplanen und informiert könnte, keine Zeit.

„Die Behörden hatten 30 Jahre Zeit“

„Sie hatten 30 Jahre Zeit“, warf Annette Schade-Michl vom Landesnaturschutzverband den Behörden Untätigkeit vor. Und Michl legte gegen die Vertreter aus dem Staats- und Verkehrsministerium sowie dem Regierungspräsidium noch nach: „Vielleicht brauchen wir eine Grundbildung in Verkehrswissenschaft“, sagte sie.

„Wir machen eine solche frühe Öffentlichkeitsbeteiligung erstmals“, sagte Frank Obermüller, im RP Referatsleiter in der Umweltabteilung. Klare Vorgabe sei, die von der EU gesetzten Grenzwerte einzuhalten. „Eine Lösung braucht Zeit und wahrscheinlich auch viele Gutachter, die Materie ist komplex, wir dürfen das Problem auch nicht nur verlagern“, warb Obermüller um Verständnis.

Davon ist allerdings bei den Betroffenen nur noch wenig vorahnden. Manfred Niess vom Klima- und Umweltbündnis Stuttgart und ein Feinstaubkläger der ersten Stunde, warf dem RP Verschleppung vor: „Wir machen seit zehn Jahren Vorschläge ohne Ende, sie wurden nie umgesetzt.“

Außerdem vermisse er Transparenz. Das Land habe seine Antwort an die EU, die mit einer Klage wegen der andauernden Verletzung der Feinstaub-Vorgaben droht, nicht öffentlich gemacht. Den Bürgern sei nur ein Grobkonzept transportiert worden, mit dem die seit zehn Jahren verbindlichen Grenzwerte bis 2021 eingehalten werden sollten. „2021 bin ich 71. Ich würde gerne noch erlegen, dass es die Einhaltung gibt“, sagte Niess.

Auf das Land könnten noch größere Schwierigkeiten zukommen

Auf das Land könnten noch größere Schwierigkeiten zukommen. „Wir müssen damit rechnen, dass Grenzwerte weiter abgesenkt werden“, offenbarte Günter Mezger vom Verkehrsministerium. Minister Winfried Hermann und OB Fritz Kuhn (beide Grüne) hatten bei einer Pressekonferenz vor Monaten erklärt, erst einmal auf Freiwilligkeit zu setzten.

Beispiel: Bei Inversionswetterlagen sollen Autofahrer per Radiodurchsage gebeten werden, den Wagen stehen zu lassen. Wenn damit keine tolerierbaren Werte bei Feinstaub und Stickstoffdioxid erreicht werden könnten, wolle man die Schraube anziehen. Fragt sich allerdings, wie.

„Wir könnten Maßnahmen machen, die schnell wirken, aber wehtun“, sagte Mezger, nannte aber keine konkreten. Obermüller wurde deutlicher: „Ohne große, schlagkräftige Verkehrsbeschränkung kommen wir nicht hin.“

„Freiwilligkeit funktioniert nicht“

Die Umweltverbände würden das Anziehen der Schraube begrüßen. „Freiwilligkeit funktioniert nicht“, sagte Peter Erben, einst Feinstaubkläger. „Die EU sieht auch keine vor.“ Man denke daran, „im Winter 2016 oder 2017 verpflichtende Maßnahmen einzuführen“, sagte Mezger.

Für den Rechtsanwalt Roland Kugler, der die Klägerseite seit Jahren vertritt, ist klar, dass sich Bürger und Regierungspräsidium wieder vor dem Verwaltungsgericht treffen werden. „Unser erster Prozess war 2004“, sagte Kugler, „das Präsidium war sehr defensiv bei seinen Maßnahmen“.

18 habe es im ersten Luftreinhalteplan notiert, nur drei davon hätten Wirkung gezeigt. Die Behörde sei spät dran, müsse „Schlagzahl und Effizienz erhöhen", wolle aber niemandem wehtun. „Wir haben schon öfter die Klinge gekreuzt und werden das auch bald wieder tun“, so Kugler.

Umwelt-Abteilungspräsident Rudolf Uricher umriss mi zwei Zahlen das Feinstaub-Problem am Neckartor: „80 000 Fahrzeuge, mehr als 50 Prozent Diesel“. Hermann und Kuhn wollen 20 Prozent weniger Verkehr. Dann wären Bus und Bahn gefordert. „Gibt es einen Sonderfonds, um die Alternative auszubauen?“, fragte VVS-Geschäftsführer Thomas Hachenberger. Antwort erhielt er nur von Peter Erben: Eine Nahverkehrsumlage würde Geld bringen.