Kritiker der Umweltpolitik monieren: Das Erdgasauto wird vernachlässigt. Foto: Jan Reich

Der Verband für Energie- und Wasserwirtschaft kritisiert die Luftreinhaltepolitik von Stadt und Land. Längst, so der Tenor auch von anderer Seite, hätte das Erdgasauto in den Focus rücken müssen als umweltfreundliche und günstige Alternative zu Dieselfahrzeugen.

Stuttgart - Mit einem umfassenden Maßnahmenkonzept wollen Landesverkehrsminister Winfried Hermann und Stuttgarts OB Fritz Kuhn (Grüne) die Luft in der Landeshauptstadt verbessern. Denn es drohen weitere böse Briefe aus Brüssel und Strafgelder für die Überschreitung der EU-Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid. Die Chancen, die sich auf dem Gebiet der umweltfreundlichen Mobilität bieten, nutzen sie selbst aber offensichtlich nicht.

Erdgasbetriebene Autos würden in der hitzigen Diskussion um Stuttgarts Luft kaum beachtet, dabei könnte ihr Einsatz zu einer deutlichen Verbesserung der Luftqualität beitragen, moniert der Verband für Energie- und Wasserwirtschaft Baden-Württemberg (VfEW).

Sein Geschäftsführer Torsten Höck erinnert daran, dass Erdgasfahrzeuge praktisch keinen Feinstaub aus dem Motor und bis zu 90 Prozent weniger Stickoxide als Dieselfahrzeuge ausstoßen.

Selbst Nachrüstung ist wünschenswert

Wenn Kuhn die Taxiflotte unter Strom setzen will, sei das ja schön, meint Höck. Aber sogar der OB selbst rechnet mit etwa einem Jahrzehnt für die Totalumrüstung der Taxis. Der Einsatz von Erdgasautos könne kurzfristig die Schadstoffbelastung reduzieren, auch den Ausstoß des nicht gesundheitsgefährdenden, aber Treibhausklima fördernden Kohlendioxids verringern, sagt Höck. Im Vergleich zum Benziner ist der Ausstoß um etwa ein Viertel geringer. Die Kfz-Innung Stuttgart sagt deswegen auch, gerade die Gasnachrüstung von älteren Benzinern wäre wünschenswert. Anfang 2015 seien aber gerade mal 0,7 Prozent aller in Stuttgart zugelassen Pkw Gasfahrzeuge gewesen, berichtet die Innung, die allerdings auch die „Verteufelung von Euro-5-Dieseln“ durch die Politik beanstandet.

Unser Leser Detlef Nabholz beklagt ebenfalls, dass das Erdgasauto keine Beachtung finde. Die Tankstellendichte sei im Raum Stuttgart akzeptabel. Die Automodelle gelten als vielfältig und ausgereift. Die überschaubaren Mehrkosten würden durch den geringeren Kraftstoffpreis in relativ kurzer Zeit amortisiert. Allerdings, sagt Höck dazu, muss die Steuerbegünstigung von Erdgas über 2018 hinaus verlängert werden. Der Bund zaudert hier zwar, gibt aber Signale. Norbert Barthle (CDU), aus Baden-Württemberg stammender Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, sagte unserer Zeitung: „Es geht bei dieser Verlängerung nicht mehr um das Ob, sondern um das Wann.“ Er sei sehr optimistisch.

Kuhn und Hermann haben bisher alle Ratschläge, stärker auf Erdgas zu setzen, ignoriert. Benutzervorteile wollen sie dafür in ihren Überlegungen zu Umweltspuren und für den Fall von Fahrverboten nicht einräumen. Die Technik halten sie für marktgängig und nicht förderbedürftig.

Umrüstaktionen im Taxibestand wären seit Jahren möglich gewesen. Stattgefunden haben sie nicht. „Andere Städte setzen beispielsweise beim öffentlichen Nahverkehr oder auch bei Taxis auf Erdgas“, sagt Höck. Ganz zu schweigen von Indien. Dort fahren in Megastädten, die unter miserabler Luft leiden, riesige Taxiflotten mit Erdgas.

Großer Effekt mit Dienstfahrzeugflotte

Gerade Taxis und Polizeifahrzeuge, die häufig im Einsatz sind, könnten mit Erdgas wirtschaftlich und luftschonend betrieben werden. Das Regierungspräsidium Stuttgart, das sämtliche Dienstwagen für die Landesbehörden in Stuttgart verwaltet, feierte dieser Tage die Senkung des Kohlendioxid-Ausstoßes dieser Flotte, unter anderem mit Hilfe von zwei Erdgasfahrzeugen, die mit klimaneutral produziertem Erdgas fahren. Die Behörde, die für die Umsetzung des Luftreinhalteplans Stuttgart zuständig ist, scheint auf die Polizei in Stuttgart aber keinen Einfluss zu haben. Dort gibt es unter 345 Pkw und Transportern nur je einen Benziner, Hybridwagen und Elektrowagen. Von den 342 Dieselfahrzeugen entsprechen nur 50 der modernen Euro-6-Norm.

Der Rest gehört damit zu Flotten, die nach dem Geschmack von Minister Hermann zu viel Stickoxide produzieren. Der Betrieb von Erdgasautos, bei Polizeidienststellen in anderen Teilen Deutschlands längst erprobt und praktiziert, hätte seit Jahren Verbesserungen bewirken können. So aber verbrennt Stuttgarts Polizei pro Jahr rund eine halbe Million Liter Dieselkraftstoff. Manchmal im Leerlauf. Als eine Polizeibeamtin kürzlich an der Theodor-Heuss-Straße ermittelte und fotografierte, ließ sie bei drückender Hitze den Motor weiterlaufen. Die Polizisten würden aber durchaus über die Luftsituation in Stuttgart informiert, sagt dazu Polizeisprecher Jens Lauer. Nämlich bei der Einsatzhundertschaft, wo junge Beamte in der Regel für einige Zeit eingesetzt würden.

Günstig und umweltfreundlich

Tanken für billiges Geld: Detlef Nabholz (62) hat soeben in der Pragstraße in Bad Cannstatt wieder mal seinen Fiat Punto CNG mit Erdgas betankt. Bei solchen Gelegenheiten freut er sich immer, weil er weiß: Für neun bis zehn Euro Kraftstoff kann er wieder 200 Kilometer weit fahren. Seinen Wagen, ab Werk für Erdgas und für Benzin ausgerüstet, hat er seit neun Jahren. Bereut hat er die Entscheidung „keine Sekunde“. Rund 111 000 Kilometer hat er damit zurückgelegt. Die Masse davon mit Erdgas. Die Mehrkosten für den erdgasfähigen Motor haben sich längst durch günstigeren Kraftstoff amortisiert. Wann, weiß Nabholz nicht mehr. Die Rechnerei hat er längst eingestellt.

Sauberes Fahren: Durch Bremsabrieb belastet auch Nabholz mit seinem Punto die Umwelt. Aus dem Auspuff aber kommt bei einem Erdgasauto praktisch null Feinstaub. Kohlendioxid- und Stickstoffdioxidaussstoß sind deutlich geringer als der von Benzinern und Dieseln. Wer Biogas tanken kann, entlastet sein Kohlendioxid-Konto – und damit seinen Beitrag zum Treibhausklima – rechnerisch komplett. Wie sauber man mit Erdgas fährt, sagt Nabholz, werde auch beim Ölwechsel deutlich: Was da entsorgt werde, sei keine dunkle Soße, sondern hell wie frisches Motorenöl. „Eigentlich ist der Ölwechsel hier Verschwendung“, sagt Nabholz.

Die praktische Seite: Der Aufbau des Tankstellennetzes für Erdgas ist nicht so schnell vonstatten gegangen, wie immer wieder versprochen worden ist. In Deutschland kann man angesichts von rund 1000 Tankstellen für wirklich gasförmiges Erdgas, sogenanntes CNG, gut durchkommen. Italien gilt als bestens erschlossen. In Österreich, der Schweiz und vor allem in Frankreich muss man die Route besser planen – oder zeitweise mit Benzin fahren. Die meisten Erdgasmodelle sind dafür ausgerüstet. Angeboten werden sie von diversen Autoherstellern in unterschiedlichen Größen. Eine Alternative ist flüssiges Gas (LNG), das an der Tankstelle noch billiger ist, aber pro Einheit nicht so weit reicht wie das CNG-Gas. Auf LNG greift man meist zurück, wenn man seinen Benziner umrüsten lassen will.

Lösungsvorschläge: Titandioxid und Moos

Das Mineral Titandioxid geistert fast schon als eine Art von Wundermittel gegen Stickoxide in der Luft durch das Internet und die Gazetten. Bald könnte es auch in Stuttgart angewendet werden.

Im smoggeplagten Mexiko-Stadt kommt es bereits an einer Krankenhausfassade zum Einsatz, in Japan und im italienischen Bergamo im Straßenpflaster, in Osnabrück an einer Lärmschutzwand, in Brüssel in einem Tunnel und andernorts im Straßenbelag. Die Absicht ist immer dieselbe: Das Titandioxid soll im Nahbereich die Belastung der Luft mit Stickoxid reduzieren. Es wirkt, durch Sonnenlicht aktiviert, wie ein Katalysator. Das Stickoxid wird in das düngerähnliche Kalziumnitrat abgebaut, das dann in die Kanalisation fließen kann.

Stickoxide gibt es auch in Stuttgart viel zu viele – und im städtischen Amt für Umweltschutz stellt man daher auch Überlegungen an, Titandioxid einzusetzen. Und zwar dann, wenn an belasteten Straßen die Erneuerung des Belags ansteht.

Ermuntert zu der Überlegung ist das Amt, weil Versuche mit dem Titandioxid den Effekt bestätigten – wenn auch weniger bei realen Einsätzen in den Städten. Effekte sind nach der Anwendung schwer nachzuweisen, weil Wettereinflüsse bei den Messungen das Bild verzerren. Und: Je mehr Autos auf den Straßen fahren oder in Staus die Fahrbahn vom Sonnenlicht abschirmen, desto geringer dürfte die Wirkung sein. Vielerorts sind die Hoffnungen dennoch groß. Wenn man nur 15 Prozent der freiliegenden Flächen mit Titandioxid bearbeite, warb ein italienischer Zementhersteller, sinke die Luftverunreinigung um die Hälfte. Titandioxid kommt für vieles infrage, beispielsweise auch zur Beimischung in Dachziegel, Wandputze und Farben. Der Architekt Daniel Schwaag, der mit seiner Firma Elegant Embellishments unter anderem in Mexiko beteiligt ist, hält die Anwendung von Titandioxid-Materialien auch in ganzen Straßenschluchten wie der Hauptstätter Straße für denkbar. Möglicherweise müsse man die Auswirkungen auf die Kläranlagen prüfen, meint er.

Grünzeug frisst Feinstaub

Von Anfang 2016 an will die Stadtverwaltung an der B 14 beim Unteren Schlossgarten testen, ob die Feinstaubwerte am Neckartor sinken, wenn Moose vor der Lärmschutzwand am Park den Feinstaub fressen. Deshalb soll die Mooswand möglichst nah an der Messstelle entstehen, aber auf der anderen Straßenseite. Die rund drei Meter hohe Wand wird sich von der Kreuzung Cannstatter Straße/Heilmannstraße auf eine Länge von rund 100 Metern entlang des Parks erstrecken – wenn der Gemeinderat bei den Haushaltsberatungen im Dezember zustimmt. Ein positives Signal, dass die notwendigen 390 000 Euro für den zweijährigen Versuch bewilligt werden, gibt es bereits. „Wir hätten gern die Fassaden am Amtsgericht gehabt“, die nah an der Messstelle sind, heißt es im städtischen Amt für Umweltschutz, doch die Justiz wollte weiterhin freien Blick durch die Fenster haben.

In der Fachwelt ist man überzeugt davon, dass Moose Feinstaub aufnehmen, ihn im Stoffwechsel verarbeiten und damit abbauen. Allerdings müssen die Feinstäube von der Straße gut anlanden können, und auch der Feuchtigkeitshaushalt muss stimmen. Wie stark der Effekt ist und wie er sich auf die Messungen in der Nähe auswirkt, soll ermittelt werden. Im Erfolgsfall kann man sich im Rathaus noch andere Einsatzorte vorstellen: beispielsweise die Straßenbauwerke an den großen Achsen samt Unterführungen. Die Moose mögen es ja schattig.