Stau in Stuttgart: Auch darunter leidet die Luftqualität in Stuttgart. Die Verbesserung des Verkehrsflusses ist eines der Ziele von Land und Stadt. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Vorschläge des Landes für bessere Luft in Stuttgart liegen jetzt offiziell auf dem Tisch. Enthalten sind auch die umstrittenen Fahrverbote. Ob sie 2018 kommen, ist aber ungewiss. Im besten Fall werden sie durch Nachrüstung älterer Diesel hinfällig.

Stuttgart - Es war ein schwerer Gang für den Landesverkehrsminister Winfried Hermann und für den Stuttgarter Regierungspräsidenten Wolfgang Reimer (beide Grüne): Am Freitagvormittag haben sie den Medien den Entwurf des Maßnahmenpakets vorgestellt, der Stuttgarts Luft besser machen soll, doch ihr Auftritt war überschattet von zunehmenden Zweifeln, ob das Kernstück Fahrverbote umzusetzen sein wird.

Noch am Donnerstagabend hatte das Verkehrsministerium gegenüber Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten eingeräumt, dass die geplanten Fahrverbote für Diesel unterhalb der Schadstoffnorm Euro 6 im Stuttgarter Talkessel an Tagen mit Feinstaubalarm voll und ganz von einem höchstrichterlichen Urteil abhängen werden: von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, das sich ausgehend von einem Fall in Düsseldorf mit der Frage befassen muss, ob die auch in Stuttgart vorgesehenen Verkehrsschilder rechtlich zulässig sind. Wenn das nicht so wäre, würden allenfalls noch Dieselfahrverbote speziell im Bereich des Feinstaubbrennpunkts Neckartor in Betracht kommen.

Der Entwurf geht in die Anhörung

Der Hintergrund: In einem Vergleich vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart hatte sich das Land verpflichtet, ab 2018 an Tagen mit Feinstaubalarm den Verkehr am Neckartor zu verringern, falls die Grenzwerte 2017 nicht eingehalten werden. Aber auch dafür wird das fragliche Verkehrsschild gebraucht. Unter Umständen könnte daher auch diese kleine Lösung hinfällig werden, räumte das Verkehrsministerium am Donnerstag ein. Deswegen sahen sich Minister Hermann und Regierungspräsident Reimer jetzt umso mehr mit kritischen Fragen zum Entwurf für die 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans Stuttgart konfrontiert.

Das sagen die Stuttgarter zum Fahrverbot:

Dieser Entwurf ist am Freitag für ein sechswöchiges Anhörungsverfahren freigegeben worden, das am Montag beginnen wird. Behörden und Verbände können sich dazu äußern. Bis Ende August muss das Land den fertigen Luftreinhalteplan dem Verwaltungsgericht Stuttgart vorlegen.

Die Kritik an den Plänen für Fahrverbote ist bereits in den vergangenen Wochen groß gewesen, besonders von Wirtschaftsvertretern und vom Taxifahrergewerbe. Dabei schlägt das Ministerium bereits diverse Ausnahmen vor. Sie sollen nicht nur für lebenswichtige Fahrten im engeren Sinn wie für Rettungsdienste oder Feuerwehr gelten, sondern teilweise befristet unter anderem auch für den Lieferverkehr, für Oldtimerfahrzeuge, für Fahrzeuge im Linienverkehr, Reisebusse mit Start- oder Zielort Stuttgart, Zugmaschinen von Schaustellerbetrieben und sämtliche Taxis. Auch die Koalitionspartner im Land haben seit Wochen heftig um die Fahrverbote gerungen. Inzwischen gelten sie als letzte Wahl, wenn die Industrie die Nachrüstung von Euro-5-Dieseln nicht möglich machen kann.

Das Instrument einer Nahverkehrsabgabe, die Autofahrer in Stuttgart an den Kosten von Bussen und Bahnen beteiligen würde, wurde auf Druck der CDU aus dem Entwurf gestrichen. Minister Hermann bekräftigte am Freitagvormittag aber: „Darüber muss man weiter diskutieren. Die derzeit verfügbaren Gelder reichen nicht aus für einen richtig großen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.“

Die jetzt vorliegende Planung mit Fahrverboten habe auch die Zustimmung des Koalitionspartners CDU. Sie werde weiterverfolgt, wenn es den Automobilherstellern nicht gelinge, ältere Dieselfahrzeuge „so wirkungsvoll nachzurüsten, dass die Grenzwerte eingehalten werden“, sagte Hermann. Die Vermeidung von Schadstoffen durch die Nachrüstung müsse zahlenmäßig mindestens so groß sein wie der Effekt, den die Fahrverbote bringen würden. Mit einfachen Absichtserklärungen sei es nicht getan. Die Hersteller müssten technisch machbare und bezahlbare Lösungen zusichern. Auf „halbseidende“ Absprachen lasse man sich nicht ein, sagte Hermann zur Beruhigung von Umweltverbänden und Nachwuchsorganisationen der Parteien wie der Grünen Jugend. Die Verhandlungen mit der Autoindustrie, unter anderem am kommenden Mittwoch, würden parallel geführt. Ein Ergebnis ist bis Ende August, wenn der Luftreinhalteplan fertig sein muss, nicht zu erwarten. Man habe Hoffnung, dass die Nachrüstung möglich wird, sagte Hermann. Eine Förderung der Nachrüstkosten für betroffene Autos befürwortete er nicht. In der Verantwortung seien die Hersteller. Sie hätten entgegen den Vorgaben andere Fahrzeuge auf den Markt gebracht als erwartet worden seien. Hermann: „Das war unvernünftig und zumindest illegitim, wenn nicht illegal.“ Die Gesamtkosten der Nachrüstung schätzt er bei rund sechs Millionen betroffenen Fahrzeugen auf fünf bis zehn Milliarden Euro. Pro Wagen rechne man mit 1000 bis 2500 Euro.

Es geht nicht nur um Fahrverbote

Die geplanten Fahrverbote sind so angelegt, dass sie in erster Linie auswärtige Autofahrer wie Pendler von der Fahrt nach Stuttgart abhalten dürften. Da es sich aus rechtlichen Gründen nicht um eine komplette Zonenregelung handelt, sondern die Schilder an einzelnen Straßen im Talkessel aufgestellt werden, dürfte ein innerstädtischer Schleichverkehr weiter möglich sein. Minister Hermann und Regierungspräsident Reimer sind sich aber völlig sicher, dass nach der Bundestagswahl auf Bundesebene doch noch der Weg für die Blaue Plakette und eine Umweltzonenregelung frei gemacht wird, für die sich das Land erfolglos eingesetzt hatte. Den Druck der Europäischen Union und der über 80 deutschen Städte mit überhöhten Stickstoffdioxidwerten könne Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) nicht aussitzen, sagte Reimer. Mit der Blauen Plakette wären die straßenweisen voraussichtlich ab 2020 hinfällig. Dann wären in Stuttgart die Grenzwerte „mit Sicherheit einzuhalten“, so Reimer.

Neben Fahrverboten gehören zu dem Paket Maßnahmen zum Ausbau und zur Modernisierung des öffentlichen Nahverkehrs, die weitere Förderung von Elektromobilität, der Ausbau des Radverkehrs, modernere Mobilitätskonzepte, bessere Verkehrssteuerung, stellenweise Ergänzungen im Straßennetz und Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Steigungsstrecken.

Der Entwurf wird auch bei einem Informationstag an diesem Samstag, 6. Mai, im Stuttgarter Rathaus öffentlich vorgestellt. Von 11 Uhr an wollen im Großen Sitzungssaal Minister Hermann, Regierungspräsident Reimer und auch OB Fritz Kuhn (Grüne) über bessere Luftreinhaltung in Stuttgart reden.