Sparer in Deutschland müssen deutliche Verluste hinnehmen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat über die Jahre den Leitzins, an dem sich die Banken mit den Zinssätzen für ihre Sparprodukte orientieren, deutlich gesenkt. Kreditnehmer profitieren hingegen von dieser Entwicklung. Foto:  

Unter der Leitzinspolitik der Europäischen Zentralbank leiden vor allem Sparer. Kreditnehmer profitieren indes von den Zinsen auf niedrigstem Niveau – für Spekulanten und Immobilienbesitzer bedeuten sie mitunter gar satte Gewinne.

Frankfurt - Durch die Niedrigzinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) sind den Bundesbürgern seit 2010 Einnahmen in Höhe von 344 Milliarden Euro entgangen. Zu diesem Ergebnis kommt die DZ Bank auf Basis eines Vergleichs mit den Erträgen, die bei einer Fortschreibung des Zinsniveaus der Jahre 1998 bis 2009 zu erwarten gewesen wären. Allerdings seien zugleich Kreditnehmer durch die niedrigen Zinsen um 145 Milliarden Euro entlastet worden. Unter dem Strich ergäben sich für die deutschen Haushalte Mindereinnahmen von 199 Milliarden Euro, schreibt DZ-Bank-Analyst Michael Stappel.

Im laufenden Jahr werde die Inflation die Zinserträge komplett aufzehren, warnt Stappel: „Ein Realzins von voraussichtlich minus 0,8 Prozent führt 2017 zu einem Wertverlust des privaten Geldvermögens von über 37 Milliarden Euro.“ Zinsen beeinflussen freilich nur einen Teil des Geldvermögens. Die Preise von Aktien und Fondsanteilen sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen und dürften auch 2017 weiter zulegen. Auch das ist eine Folge der Niedrigzinspolitik, weil Investoren auf der Suche nach attraktiven Renditen einen Teil ihres Geldes in Aktien umschichten – und damit die Kurse in die Höhe treiben. Insgesamt wuchs das Geldvermögen der Deutschen laut Zahlen der Bundesbank von 4,4 Billionen Euro 2010 auf fast 5,6 Billionen Euro Ende 2016.

Kehrtwende der Europäischen Zentralbank?

Laut einer Aufschlüsselung der DZ Bank geht dieser Vermögenszuwachs hauptsächlich darauf zurück, dass die Deutschen Jahr für Jahr neues Geld zurücklegen. Zwar haben die Bundesbürger seit 2010 verstärkt in Fonds, Aktien und andere Anteilsrechte investiert und insofern auch von den Kurssteigerungen an den Finanzmärkten profitiert. Trotzdem steckten Ende 2016 nur 20 Prozent des gesamten Geldvermögens in diesen Anlageklassen. Auf Bankeinlagen und Versicherungen, also Zinsprodukte, entfallen jeweils rund 40 Prozent.

Derzeit wird viel über eine Kehrtwende der EZB spekuliert. „Wir erwarten einen geldpolitischen Gezeitenwechsel“, sagt beispielsweise der Analyst Michael Klawitter von der Dekabank. Sein konkretes Szenario beschreibt allerdings eher ein behutsames Umsteuern: Wie viele Beobachter erwartet auch Klawitter im Herbst die Ankündigung, dass die EZB 2018 ihre umstrittenen Anleihekäufe allmählich zurückfährt. Das dürfte die Zinsen für längerfristige Einlagen und Kredite, die in den vergangenen Monaten bereits leicht zugelegt haben, weiter nach oben treiben. Selbst optimistische Beobachter sehen die Verzinsung zehnjähriger Bundesanleihen in einem Jahr aber gerade mal bei einem Prozent – das wäre im historischen Vergleich noch immer sehr wenig. Eine Anhebung des sogenannten Einlagensatzes, der gegenwärtig bei minus 0,4 Prozent liegt, würde zwar Banken und Unternehmen entlasten, hätte für die meisten Sparer aber keine unmittelbaren Folgen.

Vorteile für viele andere Euroländer

Bis die EZB tatsächlich zur Normalität zurückkehrt und ihren Leitzins von derzeit null Prozent erhöht, könnten noch zwei Jahre vergehen. Denn so heftig umstritten die Niedrigzinspolitik in Deutschland auch ist, für viele andere Euroländer bringt sie echte Vorteile. Dort entlastet sie nicht nur – wie übrigens auch in Deutschland – die Staatskasse, sondern auch eine Mehrheit der Haushalte: Insgesamt überwiege in der Währungsunion die Entlastung der Schuldner durch den Rückgang der Kreditzinsen die Nachteile für Sparer, rechnete die Allianz im vergangenen Herbst vor. Zu den Gewinnern der EZB-Politik zählen demnach nicht nur die Bürger der Euro-Krisenstaaten Griechenland, Portugal, Spanien, Italien und Irland. Vielmehr profitierten unter dem Strich auch Franzosen, Niederländer und Österreicher von den niedrigen Zinsen.

Zu den Folgen der EZB-Politik gibt es verschiedenste Studien. Der Wirtschaftsprofessor Reint Gropp kam in einer Untersuchung der Jahre 2010 bis 2015 zu dem Ergebnis, zu den Gewinnern zählten auch deutsche Hausbesitzer. Er bezog in seine Berechnungen nämlich die Entwicklung der Immobilienpreise ein, die seit 2010 kräftig gestiegen sind. Zu der erhöhten Nachfrage haben auch die niedrigen Zinsen beigetragen.