Das deutsche Handwerk sorgt sich um die Qualitätsstandards, wenn der Marktzugang für Dienstleister EU-weit erleichtert wird Foto: dpa

Die EU will dafür sorgen, dass Dienstleister aus EU-Staaten künftig auch leichter in anderen EU-Ländern tätig werden können. In Deutschland macht man sich Sorgen um die Qualitätsstandards und um den Meisterbrief.

Brüssel - Mehrere große deutsche Lobbyverbände sind verärgert über die EU-Kommission. Sie werfen der Brüsseler Bürokratie vor, ihre Kompetenzen zu überschreiten und den deutschen Meisterbrief sowie das hohe Niveau beim Verbraucherschutz in Gefahr zu bringen.

Auslöser der Empörung sind die Vorschläge von EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska für das Dienstleistungspaket. Als sie es am 10. Januar dieses Jahres in Brüssel vorstellte, ahnte keiner der Journalisten, welche Aufregung es entfachen sollte. Ziel ist, den grenzüberschreitenden Markt von Dienstleistern auf Trab zu bringen. Tatsache ist, dass es hier viel zu tun gibt. Der Warenaustausch im Binnenmarkt funktioniert deutlich besser als der Austausch von Dienstleistungen. Das ist ein Warnsignal, weil etwa in Deutschland Dienstleister zwei Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung stemmen.

EU-Kommission will Hürden abbauen

Brüssel will Hürden der Verwaltung abbauen, wenn ein Dienstleister jenseits der Grenze tätig werden will. Gedacht ist dabei an Handwerker aus der Baubranche, aber auch an Angehörige der so genannten freien Berufe wie Architekten, Rechtsanwälte, Steuerberater, Bauingenieure oder Patentanwälte. So ist geplant, eine Dienstleistungskarte einzuführen. In einem elektronischen Verfahren und auf der jeweiligen Landesssprache soll es Dienstleistern damit erleichtert werden, die Verwaltungsformalitäten für die Tätigkeit im EU-Ausland abzuhaken. Alles freiwillig – ohne Zwang. Außerdem soll nach den EU-Vorgaben eine Verhältnismäßigkeitsprüfung eingeführt werden, falls ein Nationalstaat eine neue Reglementierung von Berufen plant.

Nach der Lesart der Berliner Wirtschaftsverbände sind die Brüsseler Pläne alles andere als harmlos. Horst Vinken vom Bundesverband der Freien Berufe (BFB) sagt: Es gehe der Kommission nur vordergründig um weniger Bürokratie. „Das aber ist reine Tarnung und mithin ein Täuschungsmanöver.“ Und weiter: Das Maßnahmenbündel greife tief in die Souveränität der Mitgliedsstaaten ein und erweise den „hierzulande geltenden hohen und bewährten Qualitätsstandards einen Bärendienst“. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) stößt ins gleiche Horn. ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke befürchtet, dass der in Deutschland für viele Gewerke geltende Meisterzwang unter die Räder kommt, und fordert die Kommission auf, „endlich die Vorteile eines qualifikationsgebundenen Berufszugangs anzuerkennen und ihn nicht fortwährend als Wettbewerbshindernis zu diskreditieren“. Es bestehe überhaupt kein Bedarf, den EU-Staaten „neue und verschärfte Anforderungen bei der Prüfung von Berufszugangsregelungen aufzuerlegen“.

Rüde Töne aus Berlin

Die rüden Töne aus Berlin erstaunen. Zumal etwa der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) – und der steht nicht gerade im Verdacht, der deutschen Wirtschaft schaden zu wollen – die Dinge ganz anders sieht. Im Gespräch mit unserer Zeitung stellt Oettinger klar: Es stehe Deutschland auch in Zukunft frei, die Spielregeln für Dienstleister festzulegen. „Wer anderes behauptet, will der Kommission bewusst den Schwarzen Peter zuschieben. Das können wir so nicht stehen lassen.“ Die Kommission rühre auch den Meisterbrief nicht an noch irgendein anderes Qualifizierungssystem. Statt auf Schuldzuweisungen zu setzen, solle man an einem Strang ziehen. „Nur dann können wir die Herausforderungen der Globalisierung gemeinsam ,meistern’ – mit dem Meister.“

Der Experte für den Binnenmarkt im EU-Parlament, Andreas Schwab (CDU), versucht die Wogen zu glätten. Er weist darauf hin, dass in Deutschland die Zahl der regulierten Berufe mit 150 vergleichsweise klein sei. In Polen sind 350 Berufe besonders geschützt, in Frankreich 250 und in Italien und Spanien jeweils mehr als 170. Schwab: „Wir sollten also diese Richtlinie nicht nur im Hinblick auf Deutschland betrachten, sondern die Probleme im gesamten EU-Binnenmarkt als Maßstab nehmen.“ Das Handwerk bleibt aber hart auf seiner Linie. Auf Nachfrage reagiert Schwannecke auf Oettinger so: „Die Stoßrichtung der Kommission ist eindeutig.“ Sie vertrete die Auffassung, Reglementierung behindere den Binnenmarkt. „Wer dies zum Ziel seiner Politik macht, stellt den Meistervorbehalt zwangsläufig in Frage.“ Der Bundesrat und der Bundestag haben sich der Kritik der Wirtschaftsverbände angeschlossen. Beide Kammern haben Brüssel eine Subsidiaritätsrüge erteilt, also moniert, dass Brüssel sich zu Unrecht in deutsche Angelegenheiten einmische.

Nur in Frankreich wird die Aufregung geteilt

Wenn genügend Mitgliedsstaaten das Gleiche täten, wäre die Kommission gezwungen, die Pläne noch einmal zu überarbeiten. Da – mit Ausnahme von Frankreich – kein anderes Parlament bislang die deutsche Aufregung teilt, dürfte es dazu aber nicht kommen.