Das Marbacher Literaturmuseum der Moderne hat sich etabliert – bei Besuchern ebenso wie bei Wissenschaftlern. Foto: Werner Kuhnle

Seit zehn Jahren zieht das Literaturmuseum der Moderne die Besucher in die Stadt. Zur großen Feier am 5. Juni werden die Kritiker Denis Scheck und Karla Paul erwartet.

Marbach/Neckar - Die Aufregung war groß an jenem 6. Juni vor zehn Jahren. Schließlich kam an diesem Dienstag kein geringerer als Bundespräsident Horst Köhler zu Besuch auf die Schillerhöhe in Marbach: Der oberste Mann im Staat eröffnete die erste Dauerausstellung im neuen Literaturmuseum der Moderne (LiMo), neben dem Schiller-Nationalmuseum das zweite Museum des Deutschen Literaturarchivs (DLA) in Marbach.

Weil sich die Fertigstellung des Neubaus damals leicht verzögerte, blieben Heike Gfrereis, der Leiterin der beiden Museen, und ihrem Team letztlich nur zwei Wochen, um die mehr als 1300 Exponate repräsentativ auszustellen. „Von morgens acht bis teils nach Mitternacht stand ich an den Regalen“, erinnert sie sich. Glücklicherweise funktioniere der Mensch in solchen Situation so: Stecke man in der Maschinerie fest, handele man eben und denke nicht darüber nach. „Wenn man immer vorher wüsste, was einen erwartet, würde man es vermutlich nicht tun“, sagt Gfrereis.

60 Ausstellungen seitdem

Heute, zehn Jahre und 60 Ausstellungen später, ist von Betriebsmüdigkeit bei der umtriebigen Museumsleiterin noch immer keine Spur. „Ich würde alle Ausstellungen noch einmal machen wollen – mit dem Ziel, dass sie ganz anders werden“, sagt die Ludwigsburgerin. Zwar kenne sie am Ende einer Schau sehr wohl das freudige Gefühl, fertig geworden zu sein. Ihr Wissenshunger sei aber trotz der langen und intensiven Beschäftigung mit einem Thema meistens dennoch nicht gestillt.

Dabei habe sie die erstaunlichsten Erfahrungen vor allem bei jenen Ausstellungsthemen gemacht, die vorgegeben waren, gesteht Gfrereis. Dazu zählt beispielsweise die Wechselausstellung „Autopsie Schiller“ im Jahr 2009 – und das war bereits die vierte Schau der Museen zum großen Sohn der Stadt seit jener zum 200. Todestages des Dichters im Jahr 2005. „Es war meine Schillerentdeckung“, resümiert sie. Von da an habe sie den Dichter als körperbewussten und modernen Autor wahrgenommen.

Es geht nun mehr um das Wie bei der Ausstellung

Dennoch gibt es Ausstellungen, die Heike Gfrereis unbedingt noch machen möchte. Etwa die über die Rolle von Hand und Fuß in der Literatur. Bewegung spielt für viele Autoren eine Rolle. Ideen wie diese zeigten aber auch, dass das LiMo nach zehn Jahren „geistig jünger ist als körperlich“, sagt Gfrereis schmunzelnd. Wo eine Frischzellenkur am Gebäude nötig wäre, bemerkten aber meist nur diejenigen, die täglich darin arbeiten. Für die jährlich rund 60 000 Besucher steht das LiMo glänzend da.

Gleichwohl habe sich deren Blick verändert. Nicht mehr die Frage, was ausgestellt werde, sondern das Wie beschäftige sie. Dass man trotz der Randlage und der Literatur als eher schwer zugänglichem Ausstellungsthema fast so viele Besucher anzieht wie weitaus größere Museen in städtischer Umgebung, erfüllt die Leiterin mit Stolz. Dennoch sollte das konstant hohe Niveau auch wieder einen Sprung nach oben machen, findet Gfrereis.

Die Museumsmacher sind entspannter geworden

Ein Besuch lohne sich allemal, sagt sie. Denn die Museumsmacher seien im Vergleich zu den Anfängen „entspannter geworden“. Kaum habe man nämlich akzeptiert, dass man Literatur nicht zeigen könne, sondern lesen müsse, habe die Erfahrung gelehrt, die Arbeiten und der Umgang mit Papier seien sehr wohl ein dankenswerter musealer Gegenstand. Dass die in der vergangenen Dekade entdeckte Bedeutung der Materialität in der Literaturwissenschaft damit ihre Anfänge in Marbach hat, trägt Gfrereis selbstbewusst nach außen.

Aber nicht nur die Wissenschaft habe sich durch die Arbeit im LiMo verändert, resümiert Gfrereis. Die Einflüsse sind wechselseitig: Forscher aus allen Teilen der Erde kommen inzwischen für ihre Arbeiten nach Marbach. Das bedeutet einen Zugewinn an Pluralität und Offenheit.

Darin liegt überhaupt die Stärke der Marbacher Literaturmuseen: dass sie direkt mit dem Deutschen Literaturarchiv verknüpft sind. Das dort Gesammelte an die Öffentlichkeit zu bringen, sei der Anlass für das Literaturmuseum der Moderne gewesen. Hätte man das Augenmerk ausschließlich auf die Literatur gelegt, das Museum hätte auch in Stuttgart, Berlin oder sonst wo gebaut werden können, sagt Heike Gfrereis. „Wir zeigen unsere Archivbestände des 20. Jahrhunderts“, betont sie. Und die gibt es eben nur in Marbach.

Geburtstags-Programm im Literaturmuseum

Zehnjähriges
Am Sonntag, 5. Juni, wird das zehnjährige Bestehen des LiMo geiert. „Bücher für den Eimer, Bücher für die Insel“, lautet das Motto. Der Kritiker Denis Scheck zeigt um 12 Uhr, was in seinem „Doofelregal“ steht, die Kritikerin Karla Paul öffnet um 16 Uhr ihren Koffer für die berühmte einsame Insel. Von 12.45 bis 15.45 Uhr führen Mitarbeiter zu ihren Hass- und Lieblingsstücken.

Weitere Termine
Zum „Wandern zwischen Stein und Pflanzen“ laden Michael Köhlmeier und Peter von Matt am Samstag, 25. Juni (von 15 Uhr an), und Sonntag, 26. Juni (von 11 Uhr an), ein. Sybille Lewitscharoff und Karlheinz Stierle sprechen am 7. Juli um 19.30 Uhr über Dante, und zwar anlässlich der 35. fluxus-Ausstellung. Weitere Gäste werden im Lauf des Jahres erwartet, bevor mit der Eröffnung der Wechselausstellung „Die Gabe/The Gift“ das Geburtstagsprogramm am 10. November endet. dot