Zwischen 141 und '43 arbeitete Hans Lipschis im KZ Auschwitz. Foto: dpa

Anfang Dezember wurde er aus der Untersuchungshaft entlassen, jetzt ist ein Verfahren gegen Hans Lipschis ganz vom Tisch. Wegen einer beginnenden Demenz ist der frühere Auschwitz-Aufseher verhandlungsunfähig.

Anfang Dezember wurde er aus der Untersuchungshaft entlassen, jetzt ist ein Verfahren gegen Hans Lipschis ganz vom Tisch. Wegen einer beginnenden Demenz ist der frühere Auschwitz-Aufseher verhandlungsunfähig.

Ellwangen - Ein Prozess gegen den wegen Beihilfe zum Mord angeklagten früheren SS-Wachmann im KZ Auschwitz, Hans Lipschis, ist vom Tisch. Der 94-Jährige sei verhandlungsunfähig, teilte das Landgericht Ellwangen am Freitag mit. Bereits Anfang Dezember 2013 war der Mann wegen einer beginnenden Demenz aus der U-Haft entlassen worden.

Laut Stuttgarter Staatsanwaltschaft hatte Lipschis zwischen 1941 und 1943 Wachbereitschaft im Konzentrationslager Auschwitz. Durch seine Tätigkeit habe er den Lagerbetrieb und damit die Vernichtungsaktionen unterstützt. Während seiner Wachzeit seien in Auschwitz zwölf Transporte mit Tausenden Gefangenen eingetroffen. In vielen Fällen seien nicht arbeitsfähige Menschen sofort aussortiert und in den Gaskammern getötet worden.

Neben der fortschreitenden Krankheit des Angeschuldigten verwies das Landgericht Ellwangen auch auf die allgemein geltende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach ist für eine Verurteilung ein Nachweis über die „individuelle Schuld“ nötig. Die bloße Tätigkeit als Wachmann in einem Konzentrationslager reiche nicht aus.

Diese Rechtsauffassung geht auf ein Urteil gegen den Lagerzahnarzt von Auschwitz-Birkenau, Willi Schatz, zurück. Mordgehilfe sei nur derjenige, der Mord „konkret fördert“, hieß es damals. Schatz wurde 1969 aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Bestraft wurden in Deutschland in der Folge nur sogenannte „Exzesstaten“, sagte der Leiter der NS-Zentralstelle in Ludwigsburg, Kurt Schrimm.

Mit dem Urteil gegen den früheren KZ-Wachmann im Vernichtungslager Sobibor, John Demjanjuk, wurde dann aber im Jahr 2011 ein Nazi-Verbrecher allein wegen seiner Tätigkeit als Aufseher verurteilt - und zwar wegen Beihilfe zum Mord. Der damals 91-Jährige gebürtige Ukrainer erhielt vom Landgericht München fünf Jahre Haft.

Schrimm: "Was für Treblinka gilt, muss auch für Auschwitz gelten"

Dass für eine Verurteilung die reine Anwesenheit in einem Lager ausreicht, sieht der BGH auch so - jedoch nur bezogen auf Vernichtungslager wie Treblinka und Sobibor, erklärte Schrimm. „Die BGH-Richter schlossen Auschwitz-Birkenau explizit aus. Wir sehen das anders: Was für Treblinka gilt, muss auch für Auschwitz gelten.“ Also auch für Lipschis und alle anderen 30 Verdächtigen, die zurzeit im Visier von Staatsanwaltschaften stehen.

Lipschis ist nach Auffassung des Landgerichts Ellwangen nicht in der Lage, die schwerwiegenden Anklagevorwürfe im einzelnen zu erfassen. Eine angemessene Verteidigung wäre ihm deshalb nicht möglich - er würde zum bloßen Objekt des Verfahrens.

Das Gericht ordnete zudem an, dass Lipschis für die Dauer der U-Haft (6. Mai 2013 bis 6. Dezember 2013) entschädigt wird. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart prüft eine Beschwerde.