Kamasutra kann auch gemütlich sein: Linolschnitt von Philine Fahl: „Kamasutra II“, 2014 Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016, Foto: Frank Kleinbach

Die Technik hat zu Unrecht einen schlechten Ruf – wie die Ausstellung „Linolschnitt heute“ in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen beweist.

Bietigheim-Bissingen - Oft genug war er nur eine Notlösung – weil Geld oder Gerät für Aufwendigeres fehlte, weil es an Körperkraft mangelte, Bildmotive in harte Holzplatten zu ritzen. Gemeinhin gilt der Linolschnitt nicht als das anspruchsvollste unter den druckgrafischen Verfahren. Blätter, die auf einem Material für Fußböden entstehen, will die Museumsbranche offenbar nicht allzu hoch hängen. Selbst die Tatsache, dass Großmeister der Klassischen Moderne wie Picasso oder Matisse sich der geschmeidigen Schneidekunst gewidmet haben, befreit den Linolschnitt nicht vom Image der Anfängertechnik.

Um das Genre aufzuwerten und seinen aktuellen Entwicklungen ein Forum zu bieten, schreibt die Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen seit 1989 alle drei Jahre den Grafikpreis „Linolschnitt heute“ aus, dessen gestiegene internationale Reputation sich in diesem Jahr auch an der Vielzahl der Einsendungen aus dem Ausland ablesen lässt. Als Sieger ging allerdings ein Künstler mit regionalem Bezug aus der nunmehr zehnten Auflage des Wettbewerbs hervor. Den mit 5000 Euro dotierten ersten Preis erhält der Stuttgarter Akademieprofessor Volker Lehnert. Ihm folgen auf Platz zwei und drei die chilenische Grafikerin Loreto Greve Muñoz sowie der Australier Rew Hanks.

Mit Fleischkloper und Ätznatron

In der begleitenden Ausstellung, die Arbeiten der Sieger mit Werkbeispielen von dreißig weiteren Wettbewerbsteilnehmern vereint, setzt sich ein schon früher zu beobachtendes Phänomen fort: Es sind nicht unbedingt die Gekürten, die in Bietigheim den stärksten Eindruck hinterlassen. Der Linolschnitt-Champion Lehnert mag die technischen Möglichkeiten des Mediums erweitert haben, indem er die Druckplatten mit Fleischklopfer und Ätznatron traktiert. Die halbabstrakten Fels- und Waldlandschaften, die dabei herauskommen, sind gemessen an ihrer wilden Herstellungsweise ungewöhnlich brav. Auch die zweitplatzierte Muñoz hebt mit ihren zarten Planetenbahnen im geometrischen Flächenschwarz nicht unbedingt die Linolschnittwelt aus den Angeln. Insgesamt scheint die Bietigheimer Jury stark an akademischen Kriterien orientiert.

Verheerende Kaninchenplage

Als Einziger auf dem Gewinnertreppchen vermag der Gast aus Down Under zu überzeugen: Der Kleintierzoo, mit dem Hanks bekannte Motive aus der australischen Geschichte befremdlich umlenkt, verweist auf die verheerende Kaninchenplage, die durch die europäische Besiedlung des Kontinents ausgelöst wurde. Der schärfere Kolonialisierungskritiker ist in Bietigheim aber Ibraheem Adesina. In den aberwitzigen Landschaftspanoramen des Nigerianers fahren Containerschiffe auf Schienen durch Urwälder, während auf toten Bäumen die Geier warten. Eine bildmächtige, ins Apokalyptische gesteigerte Parabel für den ökologischen Gewaltakt, den die Globalisierung tagtäglich an der afrikanischen Natur begeht.

An deutsch-deutsche Vergangenheit erinnert dagegen Thomas Kilppers Blatt zum vierzigsten Jahrestag der Ausbürgerung Wolf Biermanns. Kilpper entwirft eine allegorische Konzertszene, die im Publikum so illustre Ost-West-Köpfe wie Bert Brecht, Heiner Müller oder Willy Brandt zusammenführt. Hieran schließt sich der Beitrag von Claas Gutsche nahtlos an, wenn er mit einem maroden Lenin-Monument postkommunistische Tristesse einfängt.

In die Nacht gekratzte Horrorfratzen

Insgesamt fällt auf, dass fast alle Linolschneider der Gegenwart bemüht sind, sich von der dekorativen Flächengestaltung ihrer klassisch-modernen Kollegen abzuheben. So etwa der Mexikaner Victor Manuel Hernández Castillo mit seinen in die Nacht gekratzten Horrorfratzen. Ähnlich grotesk, wenngleich reichhaltiger in der künstlerischen Instrumentierung ist Julienne Jattots Neuinterpretation eines mittelalterlichen Totentanzes. Die Französin paraphrasiert Titelseiten der Zeitschrift „Vanity Fair“, wobei sie die Covergirls allesamt in Skelette verwandelt: Auf einmal trägt der Tod Minirock und Stiefel .

Trotz der teils blass bleibenden Gewinner kommen in Bietigheim Liebhaber ganz unterschiedlicher Ansätze auf ihre Kosten. Dennoch wäre es schön, die Kuratoren hätten die Werke in eine nachvollziehbare Ordnung gebracht. Das Hin- und Her zwischen Abstraktionen und Geometrien, neorealistischen oder konzeptuellen Positionen erschwert es, Tendenzen zu erkennen. Einige Solitäre freilich hätten sich gar nicht einordnen lassen. Sergei Moser etwa, der eine gedruckte Formmetamorphose als Basis für einen Animationsfilm nutzt. In Bietigheim lernt der Linolschnitt das Laufen.