Linken-Chef Bernd Riexinger wirbt für ein rot-rot-grünes Bündnis Foto: dpa

Bernd Riexinger, der Chef der Linkspartei, wirbt vor dem Bundesparteitag am Wochenende für eine Wiederbelebung der Zusammenarbeit von SPD, Grünen und Linken.

Berlin - Herr Riexinger, der gesellschaftliche Protest kommt heute – siehe die Erfolge der AfD – eher von rechts. Was ist da für die Linkspartei falsch gelaufen?
Wir müssen uns unseren jüngsten Niederlagen stellen und sie nicht wegwischen. Die AfD hat bei den jüngsten Landtagswahlen bei Erwerbslosen, Arbeitern und Gewerkschaftsmitgliedern gewonnen und wir haben dort verloren – in unserem Milieu. Das gibt uns zu denken.
Mit welchem Ergebnis?
Menschen, die sozial ausgegrenzt sind oder Angst haben sozial abzusteigen – wählen offenbar so, dass ihre Stimmabgabe eine gewisse Schockwirkung auslöst, damit das Signal ankommt: Es muss sich etwas ändern. Mit der Stimme für die Linke schockt man vermeintlich niemanden mehr. Die AfD instrumentalisiert die Ängste der Menschen und macht die Geflüchteten, oder jetzt eben Muslime, zu Sündenböcken. Aber die AfD ist eine anti-soziale Partei, die nichts zu Löhnen, zu Renten, nichts zu bezahlbaren Mieten sagt. Sie will einen Arbeitszwang einführen und die Erwerbslosen mit einer Art Bürgergeld abspeisen, das deutlich unter dem Mindestlohn liegt. Das deutlich zu machen ist uns leider nicht gut genug gelungen.
Warum sollte sich das ändern?
Weil die soziale Frage auch bundespolitisch wieder in den Vordergrund rückt, wie aktuell der Streit um die Rentenpolitik zeigt. Künftig müssen sich immer mehr Menschen mit einer Armutsrente auf Grundsicherungsniveau begnügen. Das Thema Leiharbeit wird wieder auf die Tagesordnung kommen. Die große Koalition hat verabredet, dass Leiharbeiter ab dem neunten Monat im Betrieb für gleiche Arbeit gleichen Lohn bekommen sollen – das ist ein Witz. Die Hälfte der Leiharbeiter ist nie länger als drei Monate beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt. Die Menschen merken doch, dass das der reine Hohn ist. Da sehe ich gute Chancen für die Linke. Soziale Gerechtigkeit – das ist unser Thema.
Sie können das thematisieren – aber umsetzen können sie nichts.
Es ist ein Dilemma, dass es kein linkes Parteienlager mehr gibt, das sich als Alternative zum bürgerlichen Block versteht. Die SPD kann sich nicht entscheiden, was sie will. Und die Grünen stehen als Regierungsreserve für die Union bereit. Diese Hinwendung von SPD und Grünen zu den Bürgerlichen stärkt den rechten Rand: Wenn keine klare Alternativen für die Bürger erkennbar sind und mit Ausnahme der Linken im Bundestag alle mit allen koalieren können, dann verschwimmen für die Bürger die Konturen der Politik. Das ist ein großes Problem. Wenn es keine linken Machtoptionen gibt, droht das linke gesellschaftliche Lager zu erodieren. Das ist hoch gefährlich. Natürlich nährt die AfD in übler Weise Ressentiments. Aber ihr Zulauf gründet auch auf einem sozialen Nährboden, es gibt Zukunftsängste in der Gesellschaft, auch das Gefühl vieler sozial Schwacher, dass sie trotz Arbeit und Fleiß nicht aus ihrer Situation heraus kommen. Wenn diese Menschen keine glaubwürdige Alternative nach links haben, besteht die Gefahr eines Rechtsschwenks. Da steht viel auf dem Spiel.
Gibt es denn ernsthafte Bemühungen, das linke Lager wiederzubeleben?
Eine Mehrheit der Menschen wünscht sich mehr soziale Gerechtigkeit – gäbe es auf Parteienebene einen gemeinsamen Willen, ließen sich auch politische Mehrheiten gewinnen. Dazu müssten wir aber inhaltliche Gemeinsamkeiten definieren. Es darf kein „Weiter so!“ geben. Wir wollen ein Programm gegen prekäre Arbeit, eine soziale Investitionsoffensive für gute Gesundheitsversorgung, Bildung und bezahlbares Wohnen für alle und eine Rentenpolitik, die den Lebensstandard sichert. Finanzierbar ist das alles, wenn endlich eine gerechte Steuerpolitik eingeführt wird, die kleine und mittlere Einkommen entlastet und dafür bei den Superreichen nicht länger beide Augen zudrückt. Außenpolitisch braucht es eine aktive Friedenspolitik. Von den Grünen erwarten wir ein Bekenntnis zu einem sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft. Das wäre die Basis für eine künftige Zusammenarbeit.
Nichts spricht dafür, dass die SPD eine Koalition mit ihnen sucht.
Über diese Voraussetzungen habe ich mich auch schon mit Sigmar Gabriel unterhalten.Wir können nämlich nicht ewig auf die SPD warten. Wenn sie nicht springt und die Grünen zu einer Art Zentrumspartei wird – dann müssen in der Gesellschaft die Kräfte sammeln, die in Opposition zum bürgerlich-rechten Parteienblock stehen. Als Linke setzen wir auf einen hinreichenden gesellschaftlichen Druck. Den Mindestlohn haben wir durchsetzen können, ohne dass die Linke in der Regierung war. Auch die Gewerkschaften müssen aus ihrer lethargischen politischen Rolle raus. Wir müssen eine gesellschaftliche Mobilisierung, einen gesellschaftlichen Aufbruch für soziale Gerechtigkeit organisieren. Wenn die SPD nicht den Mut hat, muss sich die Linke an die Spitze einer solchen Bewegung setzen.
Es gibt auch innerhalb der Linkspartei Stimmen, die stärker populistisch argumentieren – etwa bei der Kritik oder bei der Benennung von Grenzen von Aufnahmefähigkeit für Flüchtlinge. Ist die Linke da vor Versuchungen gefeit?
Populär zu sein ist eine positive Fähigkeit. Aber wir dürfen als Linke nie Ressentiments pflegen oder bedienen. Sie sehen das in Österreich und bei uns: Horst Seehofer hat der AfD im Prinzip den roten Teppich ausgerollt. Er hat ihre Themen hoffähig gemacht. In Österreich haben die Volksparteien nach und nach immer mehr Elemente rechtspopulistischer Positionen aufgenommen. Wie man sieht, bekämpft man sie dadurch eben nicht. Da muss die Linke stehen und Flagge zeigen – auch auf dem Bundesparteitag am Wochenende.
Frau Wagenknecht hat aber auch andere Signale gesandt.
Sie teilt die gemeinsame Position der Linken. Es ist auch richtig anzusprechen, dass Menschen Sorgen haben, die ewig lange nach einer bezahlbaren Wohnung suchen und nun auch noch mit den Flüchtlingen konkurrieren müssen. Nur muss der richtige Schluss gezogen werden: Wohnungen zu bauen, die für alle bezahlbar sind. Man darf nur die Flüchtlinge nicht zu Schuldigen machen. Das hat Frau Wagenknecht nie gemacht.
Sie hat massiv gegen die EU polemisiert.
Die EU-Kritik überlassen wir nicht den Rechten. Die EU macht leider keine europäishe Politik, sondern setzt auf Sozialabbau und Abschottung nach außen. Das kritisieren wir. Aber das hat bei uns keinerlei nationalistischen Zug.
Beim Mindestlohn konnte die Linken die gesellschaftliche Debatte treiben, sogar anführen. Zur Zeit fehlt ihnen ein vergleichbarer Motor...
Beim Mindestlohn bleiben wir dran, der muss auf 12 Euro rauf, um vor Armut zu schützen. Unsere Kampagne gegen prekäre Beschäftigung ist ein großer Schwerpunkt für uns, auch wenn sie in der medialen Öffentlichkeit noch nicht so zündet. Immer mehr Jobs sind befristet, Leiharbeit, Werkverträge. Das erzeugt unsichere Lebensverhältnisse und soziale, politisch und kulturelle Ausgrenzung. Das wird auf Jahre ein zentrales Thema für uns.