Jens Heidrich (links) und Paul von Pokrzywnicki Foto: Petra Mostbacher-Dix

Wegen der wachsenden Kluft von Arm und Reich propagieren Aktivisten Zentren wie das Lilo Herrmann. Die Finanzierung des Hauses steht auf drei Säulen: Bankkredit, Eigenkapital sowie Direktkredite von Menschen, die nicht in Rüstung oder Chemie investieren, sondern ihr Geld nachhaltig anlegen wollen.

S-Süd - Die großen Lettern an der Wand stehen für die Zukunft: „Let’s organize.“ Jens Heidrich und Paul von Pokrzywnicki, Mitgründer des Linken Zentrums Lilo Herrmann in Stuttgart-Heslach, zeigen die Buchstaben am Ende ihres Vortrags, die sollen Lust machen, sich in den „Lilo-Ort“ einzubringen. Dieser hat am Samstag seinen fünften Geburtstag gefeiert – mit veganem und vegetarischem Buffet, der Stuttgarter Reggae-Band More Colours und einer Party.

Davor informieren Heidrich und von Pokrzywnicki über selbst organisierte linke Zentren wie etwa die in den Siebzigern entstandenen Centri Sociali in Italien oder die Caracoles im mexikanischen Bundesstaat Chiapas. Aber es ging freilich auch um die Anfänge des Lilo. In Heslach habe linke Bewegung und Kultur Tradition, so Heidrich, dort sei gegen die Nazis gekämpft worden. „Im Mai 1947 wurde hier die Vereinigung der Verfolgten das Nazi-Regimes Baden-Württemberg gegründet“, ergänzt ein Besucher.

Seit 2009 ist das Haus im Besitz der Initiative

Und auch das Programm des „Komödle“, dem ältesten Mundarttheater Stuttgarts, das zuvor in dem 1875 erbauten Gebäude als Teil der schwäbischen Weinstube Rebstöckle spielte, sei politisch gewesen.

„2009, als wir größere Räume für ein soziales Zentrum suchten, stand das Haus leer“, sagt von Pokrzywnicki. „Ideal für ein großes linkes Hausprojekt. Wir wollten es kaufen. Die Frage war die Finanzierung.“ Sie gründeten die Initiative für ein Soziales Zentrum (ISZ) und entdeckten das Mietshäuser-Syndikat. „Sie entreißen Häuser dem profitorientierten Kapitalmarkt“, sagt er. Die GmbH mit Sitz in Freiburg berät selbst organisierte Hausinitiativen und beteiligt sich an Projekten. Die Finanzierung stehe auf drei Säulen, so der Aktivist. „Bankkredit, Eigenkapital sowie Direktkredite von Menschen, die nicht in Rüstung oder Chemie investieren, sondern ihr Geld nachhaltig anlegen wollen, für null bis drei Prozent Zinsen.“ So kamen damals 130 000 Euro Direktkredite zusammen, die Sanierung auf Passivhausstandard kostete rund 800 000 Euro. „80 Prozent der Arbeiten haben die Aktivisten in zwei Jahren selbst durchgeführt“, sagt Heidrich. „Nun wollen wir den Dachstock vollends ausbauen.“

Das Haus hat 800 Quadratmeter Nutzfläche auf fünf Etagen. Dort entstanden bisher Infoladen, Veranstaltungssaal, zwei Wohngemeinschaften für sieben Personen, acht Büroräume, wo unter anderem der Kreisverband der Linken, die Flüchtlingshilfsorganisation The Voice oder die Verdi-Jugend arbeiten. Ein Politbüro wird gemeinsam von Initiativen wie dem Antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart und Region oder dem Offenen Treffen gegen Krieg und Militarisierung und der Roten Hilfe genutzt. Das Café Südstern wiederum feiert am 27. Juni seinen ersten Geburtstag. „Ein selbstverwalteter Kollektivbetrieb mit fair gehandelten, ökologisch erzeugten Produkten zu sozialen Preisen“, so von Pokrzywnicki. „Es läuft gut, jetzt haben wir an drei Tagen fest geöffnet.“

Das Haus will antikapitalistische Freiräume schaffen

Ziel sei, dies weiter auszubauen und zudem den Kredit fürs Haus, das nach Lieselotte Herrmann benannt ist, abzuzahlen. „Sie kämpfte gegen Faschismus und Krieg und für eine bessere Welt“, sagt von Pokrzywnicki. Die vergangenen fünf Jahre hätten gezeigt, dass es immer wichtiger werde, linke, antikapitalistische Freiräume zu schaffen in einer Gesellschaft, in der weltweit der Spalt zwischen Arm und Reich größer werde, in der Faschismus aufkeime, sagt er. „Die Bewohner waren skeptisch, als wir hier einzogen“, sagt er. „Aber mittlerweile kommen viele zu uns, wir sind längst ein Stadtteilzentrum – das ist super.“