Das Paradies für Feinschmecker, die Stuttgarter Markthalle, ist zum bevorzugten Nachtquartier für einen Eierdieb geworden. In unserer kleinen Fotostrecke erfahren Sie, welche Wildtiere die Großstadt erobern. Foto: Leif Piechowski

Ein Marder ist seit wenigen Wochen ungeliebter Gast in der Stuttgarter Markthalle. Immer nachts macht er sich über seine Lieblingsspeise her – über Eier. Erste Anläufe, ihn loszuwerden, sind fehlgeschlagen. Jetzt muss der Städtische Vollzugsdienst anrücken.

Stuttgart - Ein zerbrochenes Ei auf dem Boden wäre noch kein Grund zur Beunruhigung gewesen. Als in der Markthalle morgens aber mehrmals leere, sauber ausgeschleckte Eierschalen verstreut lagen und sogar Packungen mit Trockenfrüchten zerrissen und geräubert vorgefunden wurden, schlugen die Standbetreiber Alarm. Ein ungebetener Gast muss nachts sein Unwesen getrieben haben. Doch welcher Dieb steht schon auf Eier?

Die Märkte Stuttgart GmbH ist zuständig für die Verwaltung der Halle. „Wir haben natürlich auf ein Tier getippt, wussten zunächst aber nicht, welches“, sagt Hans Eisele, der Abteilungsleiter für Betrieb und Technik. Da verfielen die findigen Händler und Betriebschefs auf eine Finte: Sie streuten am Abend Mehl aus, um dem Dieb auf die Spur zu kommen. Und tatsächlich: Am nächsten Morgen hätten sich klar und deutlich Mardertatzen abgezeichnet, vermutlich von einem Steinmarder.

„Wir haben zunächst bei einem Schädlingsbekämpfer um Rat gesucht“, sagt Eisele, doch diese Versuche seien ins Leere gelaufen. „Mit Geruchsstoffen hätte der Marder sich nicht vertreiben lassen“, so Eisele. Auch Ulrike Rademacher, Zoologin und Kuratorin für Säugetiere in der Wilhelma, hält es für ausgeschlossen, dass sich der Marder durch einen widerlichen Geruch wie Hundehaare vertreiben lässt: „Marder sind sehr neugierig und finden solche Gerüche unter Umständen sogar interessant.“

Sondergenehmigung für Markthalle nötig

Marder gehören zum jagdbaren Wild und unterliegen dem Jagdrecht. Die Jagd ausüben dürfen nur Personen, die zuvor einen Jagdschein erworben haben. Ohne einen Jäger also durfte Hans Eisele gar nicht auf der Lauer liegen, und so kam der Städtische Vollzugsdienst ins Team.

„Weil die Städte befriedete Bezirke sind, in denen nicht gejagt werden darf, brauchen wir eine Sondergenehmigung für die Markthalle“, sagt Hans-Jörg Longin, der Leiter des Städtischen Vollzugsdiensts. Mit dem Gewehr Jagd auf das Tier zu machen, käme allerdings nicht infrage: „Inmitten der vielen Stände einen gezielten Schuss abzugeben ist unmöglich.“

Man versuchte es am Wochenende mit einer Drahtfalle, um die der misstrauische Marder eine großen Bogen machte. Ihn mit Geräuschen und durch Bewegungen ausgelöste Blitzlichter zu vergrämen, gelang ebenfalls nur in begrenztem Rahmen: Das Tier suchte sich kurzerhand einen anderen Stand für seine Raubzüge.

Die Umtriebe des Marders hätten laut Eisele aber unter den Marktstandbetreibern großen Ärger ausgelöst. Am Faschingsdienstag ist in der Markthalle kaum einer von ihnen anzutreffen. Wegen der Ferien und des Umzugs durch die Innenstadt haben mehr als die Hälfte der Händler erst gar nicht geöffnet. Die wenigen, die bis 12 Uhr die Stellung halten, sind nicht sehr gesprächig; einer behauptet, er hätte noch gar nichts von einer Marderplage gehört. Nur an einem Stand bestätigt der Verkäufer, das Tier sei auch schon bei ihm gewesen, „aber seit wir hier ein Brett aufgestellt haben, kommt es nicht mehr in den Stand hinein“.

In den nächsten Nächten wird zur Jagd geblasen

„Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob der Marder sich dort tagsüber versteckt oder ob er nur nachts eindringt, um sich satt zu essen“, sagt Hans Eisele. Die Zoologin Ulrike Rademacher beschreibt Marder als scheue Tiere, die Lärm wie in der Markthalle eher meiden. „Wenn der sich dort tagsüber aufhält, scheint er ziemlich relaxt zu sein.“ Marder-Reviere seien sehr groß, aber die Tiere blieben gern in der Nähe jener Stellen, wo sie Futter finden. „Deshalb ist es wahrscheinlich, dass er Schlupflöcher hat und nur abends zum Fressen kommt.“

Einlass gewähren können allein ein loser Dachziegel oder eine Lücke in einer Verkleidung an dem Jugendstilgebäude, das von Architekt Prof. Martin Elsässer vor 99 Jahren für 1,85 Millionen Goldmark (1913/14 entsprach dies einem Gegenwert von 4,87 Euro) erbaut wurde. Auch ein gekipptes Fenster gäbe dem Marder eine günstige Gelegenheit, um ins Eierparadies zu kommen, zumal den Tieren nachgesagt wird, dass sie auch direkt die Wand hochgehen und weite Sprünge von Ästen auf Dächer und umgekehrt machen können.

So oder so – in den nächsten Nächten wird zur Jagd geblasen. Der Städtische Vollzugsdienst hat eine spezielle Marderfalle beschafft, eine Holzkiste von einem Meter Länge sowie 40 Zentimeter hoch und breit. Die Kiste hat Klapptüren, die zufallen, sobald der Marder mittels eines Köders auf ein Wiegebrett gelockt worden ist. Die Falle wird mit einem Jutesack getarnt und aus Tierschutzgründen mindestens zweimal täglich kontrolliert. Der Köder zum Anlocken: Natürlich Eier! Geht der Marder in die Falle, wird er vom Förster ausgewildert.

Die Raubzüge des Steinmarders sind die ersten, die Hans Eisele in der Markthalle erlebt. Für ihn sind sie aber ein Zeichen dafür, „dass die Natur immer mehr und immer öfter in die Stadt kommt“. Die Zoologin Ulrike Rademacher teilt seine Beobachtung: „Je kleiner die Lebensräume für den Steinmarder, desto eher kommt er in die Stadt.“