Ob groß oder klein, schick oder altmodisch: Die Küche ist das Herzstück des Heims, in dem nicht nur gekocht wird. Foto: dpa-Zentralbild

Wer in der Küche nur kocht und backt weiß nicht, um die Möglichkeiten des Raum – und verpasst was. Die meisten Menschen setzen sich dort auch gern zusammen, um zu reden, zu spielen, zu lachen. Es geht um das Miteinander, um Geborgenheit, ums entspannte Dasein.

Stuttgart - Kinder toben durch den Raum, Hunde liegen schläfrig in der Ecke, die Mutter steht am Herd und rührt im Topf, die Großmutter sitzt am Tisch und strickt, der Vater putzt derweil seine Stiefel. Einst spielte sich in der Küche das gesamte häusliche Leben ab. Schließlich war sie nicht nur in Bauernhäusern der einzige beheizte Raum. Doch in den 50er Jahren, der Nachkriegszeit, als vieles zerstört und Wohnraum knapp geworden war, schrumpften die Architekten die Wohnküche auf eine wenige Quadratmeter große Einpersonenküche. Sie wurde an den Rand verdrängt, lag möglichst fernab vom Wohnzimmer. Doch all das konnte nicht verhindern, dass die Küche bis heute ein sozialer Ort, ein Ort des Zusammenseins und der Kommunikation geblieben ist.

Was die Deutschen in ihrer Küche so alles machen, hat Anfang der 90er Jahre der renommierte Soziologe Alphons Silbermann (1909–2000) bei einer Umfrage ermittelt. Sein Ergebnis: 97 Prozent der Befragten bereiten dort Mahlzeiten zu, 83 Prozent reden, 79 Prozent essen, 75 Prozent hören Radio, 67 Prozent lesen, 59 Prozent reparieren etwas, 52 Prozent erledigen Schreibarbeiten, 51 Prozent flicken und bügeln. Außerdem werden in der Küche viele Hobbys gepflegt, Schuhe geputzt, Schulaufgaben gemacht. Es wird gespielt, telefoniert, ferngesehen, gearbeitet und vieles mehr.

Heute wird es kaum anders sein. Außer dass noch das Simsen und Surfen hinzugekommen sind. Nicht nur in langen Partynächten, in denen sich ab einem bestimmten Zeitpunkt alle Gäste in der Küche drängen, gilt somit: Die Küche ist und bleibt der Dreh- und Angelpunkt, das Herzstück des Heims. Und der Kommunikationsort schlechthin. Oder wie es Silbermann zusammenfasste: „In der Küche werden nicht nur die Weihnachtsgänse tranchiert, sondern auch Beziehungen.“

Nicht umsonst gibt es Wörter wie Küchenlatein und Küchenpsychologie

Nicht umsonst sind Wörter wie Küchenlatein und Küchenpsychologie entstanden. Ersteres im Mittelalter, als den Mönchen im Kloster unterschiedliche Arbeiten zugeteilt wurden, je nach Bildungsgrad. Wer kultiviert und gelehrt war, beschäftigte sich mit dem Studium der Bücher. Die Ungebildeten verrichteten die niederen Dienste, etwa Arbeiten im Klostergarten oder in der Klosterküche. Sie sprachen schlechtes Latein, das so genannte Küchenlatein. Heutzutage wird die Spottbezeichnung weiter gefasst und als Synonym für Kauderwelsch oder unverständliche Fachsprachen verwendet.

Ähnlich verhält es sich bei der Küchenpsychologie. Man analysiert und interpretiert munter vor sich hin, etwa bei nächtelangen Diskussionsrunden in der Küche, ohne wirklich Ahnung zu haben, schon gar nicht von Psychologie. Bei der Küchenpsychologie handelt es sich somit um eine wenig bis gar nicht sachkundige, um eine volkstümliche Art von Psychologie. Der Journalist und „Stern“-Gründer Henri Nannen (1913–1996) wiederum prägte den Begriff Küchenzuruf. Was er damit meinte? Dass journalistische Texte so geschrieben sein sollten, dass der Leser die Kernaussage für einen anderen, der zum Beispiel gerade in der Küche zugange ist, in einem knackigen Satz zusammenfassen kann.

Wie kommt es aber, dass die meisten Menschen so gern in der Küche hocken und dort den verschiedensten Tätigkeiten nachgehen? Vielleicht wird man schon als Kind darauf geeicht. Der Mutter oder dem Vater beim Kochen zuzuschauen, ab und zu auch was zu naschen, sich etwas aus dem Alltag zu erzählen, gemeinsam zu lachen, das ist gemütlich. Es geht also um das Miteinander. Um Geborgenheit. Vielleicht geht die Liebe zur Küche aber viel weiter zurück und ist tief im Menschen verankert. Anders gesagt: Am Anfang war das Feuer, das sich Wärmen, das Kochen, Essen und Zusammensein. So erklärt es zumindest der Anthropologe Wulf Schievenhövel. Er vermutet, dass wir seit mehr als 300 000 Jahren vom Feuer geprägt sind. In allen Kulturen galt die Feuerstelle, der offene Herd als Mittelpunkt des Lebens.

Die Küche ist ein Ort der Kommunikation

Dass die Küche dies inzwischen auch wieder räumlich sein kann, dass ihr in vielen neu gebauten Wohnungen mehr Platz eingeräumt wird, ist nicht zuletzt Otl Aicher (1922–1991) zu verdanken. Der Mitbegründer der Ulmer Hochschule für Gestaltung und Design und Schöpfer der Piktogramme für die Olympischen Spiele 1972, widmete sich Ende der 70er der Frage, wie eine Küche aussehen soll, in der mit Lust gekocht wird.

Aicher holte den Esstisch in die Küche zurück und wollte sie so zu einem Ort „der selbstverständlichen Kommunikation“ machen. Er hasste Schrankwände, hinter denen alles verschwindet: „Schönheit ist verdächtig“, schrieb er. Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich hatte bereits 1965 über „den Wohnfetischismus“ festgehalten: „Blank geputzte Küchen erschaffen Ungemütlichkeit.“ Also: Vorsicht!

Die heute als das neue Wohnzimmer gepriesenen, Zehntausende Euro kostenden Designküchen mit puristischen Arbeitsplatten, Induktionsfeldern, integrierten Dampfgarern und Dunstabzugshauben haben kaum noch Sinnliches an sich. Satt dessen sind sie zu fast schon steril anmutenden Hightech-Zonen mutiert. Das Ganze wird dem Kunden als „living kitchen“ verkauft, als Raum, der lebt, der sich wandelt – wie der Mensch selbst. Ob man sich dort auch wohl fühlt, scheint Nebensache. Dabei sollte doch das Dasein über dem Design stehen.