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Dieser Kehrwocheneinsatz ist reif fürs Buch der Rekorde: Nach dem Tornado heißt es aufräumen.

Leutenbach/Welzheim - Dieser Kehrwocheneinsatz ist reif fürs Buch der Rekorde: Stundenlang waren am Donnerstag Einwohner der Gemeinden Leutenbach und Welzheim damit beschäftigt, Trümmer zu beseitigen - Folgen eines Tornados, der am Abend zuvor durch den Rems-Murr-Kreis gezogen ist und 200.000 Euro Schaden verursacht hat.

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Eine besondere Spezies macht Heinrich Krieger aus dem Leutenbacher Ortsteil Nellmersbach am Donnerstagvormittag in seinem Wohnort aus: "Seit dem frühen Morgen sind die Dachhaie bei uns unterwegs", meint Krieger und deutet auf das vorbeifahrende Auto einer Dachdeckerfirma. Harald Härdter, der dem Rentner am Morgen geholfen hat, seinen vom Tornado entwurzelten Fliederbaum zu zerkleinern und abzutransportieren, will die despektierliche Bemerkung seines Nachbarn so nicht stehen lassen: "Viele im Ort sind froh, dass die Dachdecker Präsenz zeigen", belehrt er Krieger.

Tatsächlich lassen sich längst nicht alle Schäden, die das seltene Sturmphänomen am Mittwoch gegen 18.50 Uhr innerhalb von Sekunden auf einem schmalen Streifen durch Nellmersbach angerichtet hatte, mit dem Besen oder der Motorsäge aus der Welt schaffen. Zum Beispiel bei der Familie Marthopoulos in der Hauptstraße. Dort hat der Tornado zwei etwa 15 Meter hohe Fichten in der Mitte geknickt und die Wipfel gegen das Dach des Hauses geschleudert. Es grenzt fast an ein Wunder, dass nur ein paar Ziegel und die Dachrinne beschädigt sind.

"In weniger als fünf Minuten war alles vorbei"

Glück im Unglück hatte auch Ruth Schäfer, die an der Wiesentalstraße wohnt. Vor ihrem Haus hat der Sturm eine 40 Jahre alte Blautanne entwurzelt. Beim Flug auf die Straße segelte der Baum knapp am Haus der betagten Frau vorbei. Dennoch fiel der Fernsehabend für die Hausbesitzerin flach. Sie habe bis in die Nacht hinein gekehrt, um Äste, Laub und Tannennadeln vom Hof zu kriegen.

Den Tornado selbst, diese typische Trichterform einer Windhose, haben weder Krieger noch Schäfer gesehen. Beide berichten davon, dass es schlagartig dunkel geworden sei. Danach habe es Blitz, Donner und Hagel gegeben, und dann sei der Wind gekommen. "In weniger als fünf Minuten war alles vorbei", erinnert sich Ruth Schäfer.

200 Meter breite Windhose

Die geschädigten Hausbesitzer in Nellmersbach und Breitenfürst, einem Ortsteil von Welzheim im Schwäbischen Wald, können sich allerdings darauf verlassen, dass sie die Reparaturen nicht aus der eigenen Tasche bezahlen müssen - sofern sie eine Sturmversicherung abgeschlossen haben. "Diese Versicherung zahlt, wenn der Sturm Windstärke acht übertroffen hat", erklärt Sylvia Knittel von der SV-Versicherung in Stuttgart.

Obwohl der Tornado mit einer wesentlich größeren Gewalt (weit mehr als mit 100 Stundenkilometern) durch Nellmersbach gezogen ist, zittert Burka Brezovac, ob auch sie ihre Sturmschäden ersetzt bekommt. Zusammen mit ihrem Mann betreibt die Frau den Bahnhofskiosk an der S-Bahn-Station Nellmersbach. Seit Mittwochabend sitzt das Paar auf einem großen Stapel zerfledderter und durchnässter Zeitschriften. "Wir haben es nicht geschafft, die Ständer reinzuholen, so schnell ist das Gewitter gekommen", sagt Brezovac. Bis zum Donnerstagmittag hatte sie noch keine Gewissheit, ob sie den Ausfall bezahlt bekommt.

200 Meter breite Windhose

Ungewissheit herrschte am Mittag auch noch bei den Verantwortlichen der S-Bahn. "Schaffen wir es, bis zum Feierabendverkehr wieder beide Gleise befahrbar zu machen?", lautete die bange Frage. Ein umgestürzter Baum hatte am Mittwochabend die Oberleitungen in beide Richtungen abgerissen. Stundenlang ging zwischen Winnenden und Backnang nichts mehr. Bis zum Donnerstagmorgen hatte das Reparaturteam zumindest die Leitung in Richtung Winnenden/Stuttgart geflickt. In Richtung Backnang ging's nur mit dem Bus. Am Nachmittag kam allerdings das Signal: "Alles wieder in Ordnung."

Dass es im nördlichen Teil des Rems-Murr-Kreises am Mittwochabend zu einem schweren Gewitter kommen wird, war der Stuttgarter Dependance des Deutschen Wetterdienstes bereits am Nachmittag klar. "Die Signale von unseren 16 Radarstationen im Land ließen keinen anderen Schluss zu", sagte Wetterchef Uwe Schickedanz am Donnerstag. Das Amt habe deshalb auch um 17.31 Uhr eine Unwetterwarnung für diesen Bereich ausgegeben. Dass der herannahende Gewittermix aus feucht-warmen und schnell aufsteigenden Luftmassen gepaart mit Winden aus verschiedenen Richtungen, den sogenannten Scherwinden, zum Tornado mutiert, sei nicht vorhersehbar gewesen. Schickedanz geht davon aus, dass es sich um eine Windhose handelt, die etwa über 20 Kilometer hinweg mit einer Breite von etwa 200 Metern von West nach Ost über den Rems-Murr-Kreis gezogen ist. Dabei habe das Ende des rasend schnell rotierenden Warmluftschlauchs nur in Nellmersbach und Breitenfürst den Boden berührt und Schäden anrichten können. Glücklicherweise wurde niemand verletzt.