Das Mainzer „theaterblauerstern“ spielte in dem Stück von Urs Widmer das Stück Top Dogs, in dem es um die Austauschbarkeit von Topmanagern geht. Foto: Petra Mostbacher-Dix

Beim Lit.Fest haben sich Timo Brunke, Sabine Palm und das theaterblauerstern am Wochenende Worte zugespielt. Aber auch unbekannte Autoren kamen bei diesem Literaturfest im Grünen zu Wort, wo es einmal weniger um Konkurrenz ging, sondern um Vernetzung und die Feier der Literatur.

S-West - Eigentlich geht das mit Mascha schon viel zu lange für etwas, das man nicht darf.“ Kurz hält Sabine Palm inne, bevor sie weiter vorliest. Sie liest über Leana, die wegen ihrer Frisur mancher für einen Mann hält. Sie ist „Koch“ – Köchinnen kochen alltäglich für die Familie – in Tomsk und liebt eine Frau. Ein Unding in Sibirien, wo Lesben oder Homosexuelle nicht zu existieren haben.

„Wir sind hier nicht in Moskau“, hat Palm ihren entstehenden Roman genannt. Auszüge daraus hat sie zur Eröffnung des Lit.Fest Stuttgart 2016 auf der „Bühne über Stuttgart“ an der Doggenburgstraße vorgelesen. „Moskau ist Ort des Bösen und der Sehnsucht, weil man dort scheinbar freier leben kann“, sagt Palm. Aber auch dort gebe es Übergriffe auf Schwule und Lesben. „Das Gesetz gegen homosexuelle Propaganda hat alles noch verschärft. „Mein Roman ist aber keine Dokumentation. Zunächst geht es darum, eine gute Geschichte zu erzählen“, erklärte Palm im Gespräch mit Thomas Bissinger.

Prosa, Lyrik, Party

Der war 2015 selbst Lesender beim ersten Lit.Fest. Nun beim zweiten war er Organisator, gemeinsam mit Matthias Becher und Felix Baumann, ebenfalls Schreibende und Literaturliebhaber. Baumann ist zudem Ideengeber und Macher der „Bühne über Stuttgart“. Der gleichnamige Verein veranstaltet neben dem Lit.Fest andere Open Air Events auf dem Weinberg. „Es gibt viele Literaturwettbewerbe“, sagt Baumann. „Ich wollte ein Festival, bei dem es nicht um Konkurrenz, sondern um die Vernetzung und das Feiern von Literatur geht.“ Bissinger ergänzt, wie sehr ihm diese Atmosphäre und der Ort gefalle. „Es geht um Austausch. Die Autoren lernen sich kennen, treffen sich hier zum Essen, bevor sie am nächsten Tag lesen.“

Mit nächstem Tag meint Baumann den Sonntag. An dem lasen die acht Autoren, die Baumann, Becher und Bissinger aus den mehr als 100 Bewerbungen ausgewählt hatten. „Bei vier Autoren waren wir uns gleich einig, bei den anderen gab es Diskussionen“, sagt Becher und betont. „Das heißt keinesfalls, dass die anderen Texte schlecht sind. Wir wollten eine Mischung aus witzigen und ernsten Texten, aus Prosa, Lyrik und anderen Formen.“ Und Bissinger betont: „Jeder musste seine eigene Auswahl von einer neuen Perspektive überdenken.“

Oskar passt ins Ohr

Das Besondere am Lit.Fest ist, dass sich jeder mit seinem Text bewerben kann – auch Debütanten. Zum Auftakt kamen allerdings Etablierte zu Wort. Im Wechsel mit der Band albireo echoes, die Songs wie „Mad World“ oder „Are You Lonesome Tonight“ ungewöhnlich mit Stimme und Keyboard interpretierten, spielte neben Susanne Palm auch der experimentelle Wortkünstler, Lyriker und Slam-Poet Timo Brunke in der ihm eigenen lautmalerischen Art mit Sprache. „Oskar passt ins Ohr ... Asterisk Astra Topix Pathos Hokuspokus ...“. Seine Hommage an seinen Lieblingspoeten Oskar Pastior war ein Erlebnis für Ohren und Augen wie ebenso seine Ballade über die Kite-Surferin Isa, deren Kite jede Hängepartie ihrer Glieder kennt. „Luv Lee Luv Lee – ja – Aqua – Alpha – ja – kein Ton!“

Wunderbar ironisch sezierten hernach die Schauspieler des Mainzer theaterblauerstern im Stück „Top Dogs“ des Schweizer Autoren Urs Widmer die Welt von Topmanagern. Allesamt gekündigt, austauschbar, entfremdet von Beruf und Privatleben, ließen sie sich in der „New Challenge Company“, einem „Outplacementcenter“, auf höchst fragwürdige Spiele ein – um möglichst schnell einen neuen Job zu bekommen. Die Parabel über „wölfischen Kapitalismus“, in dem die Globalisierung ihre Kinder frisst, wurde unter anderem einst beim Theatertreffen Berlin preisgekrönt. Dazu Becher: „Wir wollten die ganze Bandbreite von Literatur zeigen.“