Kultusminister Andreas Stoch spricht mit Redakteurin Maria Wetzel Foto: Jan Reich

Andreas Stoch war am Freitag Gast beim Stadtschreibtisch der Stuttgarter Nachrichten im Buchhaus Wittwer. Er hält Ganztags- und Gemeinschaftsschulen für wichtige Elemente der individuellen Förderung von Schülern.

Stuttgart - Was ist er denn? Was hat er denn? Was kann er denn? Was red’t er denn? – als Kultusminister steht Andreas Stoch unter permanenter öffentlicher Beobachtung. Dass seine Kinder die Waldorfschule besuchen, fordert beim Stadtschreibtisch unserer Zeitung am Freitag daher die Frage geradezu heraus: Warum, Herr Minister, nicht eine staatliche Schule? Misstraut der Herr Minister womöglich seinem eigenen System?

Diesen Eindruck will Stoch auf keinen Fall aufkommen lassen. Schmunzelnd setzt er zu einem Ausflug ins Privatleben an und offenbart: „Ich habe meine Frau als Goethes Gretchen in der Kerkerszene kennengelernt, beim Klassenspiel ihrer Waldorfschule.“ Als das Paar später in Heidenheim nach einem Kindergarten für die eigenen vier Kinder gesucht habe, sei die Wahl des Waldorfkindergartens und später der Schule naheliegend gewesen. Allerdings habe ihn schon damals die Idee begeistert, dass nach Rudolf Steiners Lehren eben nicht schon nach der vierten Klasse nach Leistungsstärke differenziert werde.

Und da ist Andreas Stoch, 44-jähriger Jurist, der 2013 Gabriele Warminski-Leitheußer beerbte, wieder mittendrin in seinem beruflichen Leben und seinen politischen Themen. „Man versucht immer wieder, private Schulen als Reichen-Schulen zu etikettieren und gegen staatliche Schulen auszuspielen, statt sie als Motoren der pädagogischen Weiterentwicklung zu sehen“, rät er den Zuhörern, die ins Buchhaus Wittwer am Schlossplatz gekommen sind.

Ideologisch geht es dem SPD-Politiker bei vielen Entscheidungen seines Ministeriums insbesondere um die Chancengleichheit der Schulkinder. „Leider gibt es in Baden-Württemberg immer noch eine große Abhängigkeit zwischen dem Bildungserfolg und dem sozialen Status eines Schülers“, bekennt er. „Schauen Sie in den Wirtschaftsteil der Zeitungen: Dort führen Unternehmen Klage, dass es zu wenig Auszubildende gibt und immer mehr Schüler ohne Arbeitsreife. Das ist das Ergebnis der vergangenen Bildungspolitik“, teilt er in Richtung Opposition aus. Dagegen helfe nur mehr individuelle Förderung und integrative Bildung.

Bei Kindern stellt sich immer die Frage, wie, nicht wo sie ihr Ziel erreichen. Auch Maria Wetzel, Redakteurin der Stuttgarter Nachrichten im Ressort Landesnachrichten, möchte vom Kultusminister wissen, wie er bei der individuellen Förderung zum Erfolg kommen wolle. „Mit der Gemeinschaftsschule und mit dem Ganztagsbetrieb“, lautet Stochs klare Ansage. Beide Schulformen bieten, so Stoch, mehr Zeit für individuelle Förderung, mehr Möglichkeiten, Defizite auszugleichen.

Einfach sei das nicht, gesteht er: „Wir arbeiten nicht unter einer Käseglocke, sondern eher wie bei einer Operation am offenen Herzen.“ Kritiker und Skeptiker, werde es immer geben, auch bei den Lehrern, „denn wir muten ihnen gerade sehr viel zu“. Hilfreich sei, deren „Diagnosefähigkeiten“ zu verbessern, damit sie Defizite erkennen und Schüler gezielt und individuell fördern könnten, doch das brauche Zeit.

Fähigkeiten, die auch an Gymnasien und Realschulen gebraucht werden. Dort steigt der Anteil überforderter Schüler. „Da müssen wir nachlegen“, versichert der Minister, dem die jüngste Abfrage an den Schulen ganz recht kam: „Die gibt meiner Forderung nach mehr Förderstunden Rückenwind.“ Die Grundschulempfehlung wieder verbindlich zu machen, davon hält er freilich nichts: „Jetzt üben wir mal ein bisschen Deutsch“, sagt er. „Das Wort verbindlich war schon immer ein Widerspruch, denn die Kinder konnten ja trotzdem zum Test angemeldet werden.“ – „Das Hin und Her zwischen Schulen ist nichts“, insistiert Sigrid Sautter-Haizmann, Lehrerin im Ruhestand, „ein Kind braucht eine Heimat.“

Die Zurückgestuften, das Thema Inklusion, die Diskussion um mehr Fachstunden und Förderung wird den Minister spätestens von Montag an wieder beschäftigen. Auch die Zukunft der musischen Fächer, die er an der Waldorfschule so schätzt. Die Musiklehrerin Brigit Kolb kritisiert deren zunehmende Verlagerung in den Freiwilligkeitsbereich. Mit dem Ganztagsunterricht, so Stoch, „können wir alle Kinder in musische Fächer einbinden“. Die Eltern müssten aber die Wahl behalten zwischen Ganztags- und Halbtagsschule, sonst gebe es Proteste und den Vorwurf der Freiheitsberaubung.