Salonière der Stuttgarter Lesekultur: die Chefin des Schriftstellerhauses Astrid Braun Foto: Horst Rudel

Am 16. Mai startet eine neue Ausgabe der Veranstaltungsreihe „Literatur im Salon“. Unter dem Titel „Heimat trifft Heimat“ öffnen Stuttgarter Privatleute ihre Wohnungen für Autoren und Publikum.

Stuttgart - Die Idee, Schriftsteller zu sich nach Hause einzuladen, um im kleineren Kreis die Kunst des Gesprächs zu pflegen, ist nicht neu. Im 18. Und 19. Jahrhundert vergesellschafteten sich Bürgertum und Adel auf diese Weise, Rahel Varnhagen und Henriette Herz vergnügten sich in ihren Salons mit der intellektuellen Elite von Humboldt bis Heine. Letzterer mag in diesen Kreisen zu den schönen Zeilen inspiriert worden sein: „Sie saßen und tranken am Teetisch,/Und sprachen von Liebe viel./Die Herren waren ästhetisch,/Die Damen von zartem Gefühl.“ Seit einigen Jahren schießt wieder neues Leben in die Ableger jener vergangenen, kultivierten Form bürgerlicher Geselligkeit, auch in Stuttgart.

Vor drei Jahren erkundete das kleine Lesefestival „Literatur im Salon“ schon einmal einen repräsentativen Ausschnitt der deutschen Gegenwartsliteratur aus der Perspektive von Stuttgarter Privatwohnungen, die sich einem interessierten Publikum und einem interessanten Autor öffneten. In diesem Jahr geht die Veranstaltungsreihe in die zweite Runde, diesmal unter dem thematischen Oberbegriff „Heimat trifft Heimat“. Vom 20. Mai bis zum 10. Oktober erstreckt sich ein Parcours von acht Lesungen durch die Wohnzimmer der Stadt, und die eingeladenen Autoren und Autorinnen sind so vielfältig wie Facetten des Begriffs Heimat, den ihre Werke und Lebensgeschichten umspannen.

Utopien des Zusammenlebens

Den Auftakt macht am 20. Mai der in Ulm geborene Karl-Heinz Ott mit seinem Roman „Die Auferstehung, eine Art konversatorisches jüngstes Gericht, bei dem vier Geschwister am Totenbett des Vaters ihre jeweiligen Lebensformen zerpflücken. Auf die Suche nach der verlorenen Heimat der Eltern und der eigenen Identität machen sich in ihren Romanen Jagoda Marinic (3. Juni), Shida Bayzar (6.juni) und Pierre Jarawan (23. September), von Kroatien über Teheran in den Libanon spannt sich der Bogen ihrer Herkunftsrecherchen. Dagegen findet Walle Sayer (16. September) die Heimat in dem, was in die Streichholzschachtel passte“, wie der Titel seines jüngsten Gedichtbands lautet.

Zu sich kommt man nur im Kleinen, im genau beobachteten Detail, was sich lyrisch verstehen lässt, aber auch kriminalistisch, womit man schon mitten im Heimatkrimi ist, einem Genre, in dem die Autorin Uta-Maria Heim zuhause ist (1. Juli). Regina Scheer spielt in „Machandel“ die Geschichte der DDR, Erwartung und Ernüchterung, mit dem Personal eines fiktiven Dorfes in Mecklenburg-Vorpommern nach (2. September), während Bov Bjerg in „Auerhaus“ von einer anderen Utopie des Zusammenlebens erzählt und das Lebensgefühl Jugendlicher in einem Wohnprojekt in der schwäbischen Provinz feiert, bis zum bitteren Ende.

Autoren zum Anfassen

Auerhaus ist die Verballhornung des Songtitels „Our house“, der wiederum gut zur Eigenart der Salon-Lesungen passt. Worin der Reiz liegt, dass Leute ihr Haus für die Frist eines Literaturabends für andere öffnen, erklärt die Chefin, oder wie man in diesem Fall vielleicht auch sagen könnte: Salonière des Schriftstellerhauses, Astrid Braun, die diese dem intimen Ambiente ihrer Wirkungsstätte gemäße Idee in die Stadt getragen hat. „Die Form der Präsentation unterscheidet sich grundlegend von sonstigen Lesungen“, sagt Braun. „Man bekommt hier gleichsam den Autor zum Anfassen, die Gespräche verlaufen anders, weil man im kleinen Kreis auch ungeschützter Fragen stellen kann.“

Bei der ersten Auflage haben sich viele auch aus eher literaturfernen Kreisen beteiligt, denen durch diese Schiene erst ein Zugang eröffnet wurde. Bei den Besuchern spielt sicher auch eine gewisse Neugier eine Rolle: wie wohnen die Leute, wie sind sie eingerichtet, während manche Gastgeber neben der Lust an Büchern das Bedürfnis motiviert, andere zu empfangen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. „Das Ganze hat eine starke soziale Komponente“, sagt Astrid Braun.

Plausch, Plüsch und Aufklärung

Im Horizont des massenhaften Heimatverlusts all derer, die gegenwärtig in Deutschland Zuflucht suchen, gewinnt das leitende Thema seine gesellschaftliche und politische Brisanz. „Wir wissen alle, wie emotional die Flüchtlingsdiskussion geführt wird, umso wichtiger ist es, miteinander ins Gespräch zu kommen, über das was wir unter Heimat verstehen“, sagt Astrid Braun. „In der direkten Begegnung von Mensch zu Mensch lassen sich Vorurteile leichter abbauen“. Bei aller Freude an gehobenem Plausch und Plüsch waren Salons immer zugleich Orte der Aufklärung und der Debatte.

2013 sind viele Veranstaltungen bereits nach kurzer Zeit ausverkauft gewesen, was auch an der begrenzten Aufnahmekapazität der heimischen Wohnzimmer liegt, je nach Umgebung finden im Schnitt etwa 23 bis 24 Besucher Platz. Für die diesjährige Runde hat der Vorverkauf am 2. Mai begonnen. Allen, die keinen Zutritt finden, bleibt ein Trost: Ein Teil der Veranstaltungen wird mitgeschnitten und lässt sich als Podcast auf der Seite des Schriftstellerhauses nachhören. Dann eben in den eigenen vier Wänden.