Die Lernforscherin Tina Seufert will elektronische Medien nicht verteufeln – das richtige didaktische Konzept sei im Unterricht viel wichtiger, sagt sie. Foto: Elvira Eberhardt

Der Einzug des Smartphones in den Unterricht dürfte sich kaum aufhalten lassen, sagt die Wissenschaftlerin Tina Seufert im Interview. Zuvor brauchen Lehrer eine didaktische Zusatzsschulung.

Ulm - Der Einzug des Smartphones in den Unterricht dürfte sich kaum aufhalten lassen, sagt die Wissenschaftlerin Tina Seufert. Die Psychologin ist Leiterin des Instituts für Lehr -und Lernforschung an der Universität Ulm. Das Lehren und Lernen, sagt die Professorin, muss sich durch den Einsatz neuer Medien verändern. Allerdings bedürfe es neuer Strategien für Lernende, um mit der Menge und Flüchtigkeit von Informationen umgehen zu können und Ablenkung zu verhindern. Und zuvor brauchen Lehrer eine didaktische Zusatzsschulung.

Frau Seufert, ist das Smartphone für den Schulbetrieb mehr Chance oder Gefahr?
Wir Wissenschaftler sagen immer: Es schadet und es nutzt. Weil über den Schaden viel gesprochen wird, möchte ich den Nutzen hervorheben. Bei jedem Lernprozess ist wichtig, dass man Aufmerksamkeit lenkt und auch behält. Aber gerade durch Medien lässt sich Aufmerksamkeit lenken, zum Beispiel durch gezielte Einblendungen oder Hervorhebungen.
Das Smartphone im Unterricht schafft dann nicht Schläfrigkeit, sondern beseitigt sie?
Mir ist wichtig, dass man beim Lernen immer einen Rhythmus im Blick behält. Wir denken immer, Lerner sind jung, frisch und haben immer alle Kapazitäten beisammen. Wenn man sich aber selber mal beobachtet: So nach 20, 25 Minuten, egal was man tut, fällt es schwer, Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten. Selbst beim Fernsehen ist das so. Und da ist es gut, einen Aktivitätswechsel zu haben. Klar, das geht auch ohne Medien. Aber mit Medien ist das vielleicht leichter und kreativer zu gestalten.
Ist der Einsatz elektronischer Medien im Unterricht in jedem Kindesalter sinnvoll?
Die Aufmerksamkeitsspanne wird mit steigendem Alter natürlich länger. Bei den Kleinen müsste man deutlich abwechslungsreichere Szenarien bauen. Das ist ja aber auch bisher im Unterricht so. Der Grundschulunterricht ist viel feingliedriger und kurzschrittiger als beispielsweise am Gymnasium. Aber eigentlich machen es einem die Medien auch leichter mit den Kindern. Da kann man spielerische Dinge einbauen. Wichtig ist das richtige didaktische Konzept.
Müssen Lehrer, die Computer einsetzen wollen, erst selbst nochmal in die Schule gehen?
Man muss wissen, wie man elektronische Medien didaktisch integriert. Viele Schulen haben schon i-Pad-Klassen angeschafft, aber die Lehrer wissen nicht, was sie damit anfangen sollen. Es gibt unendlich viele Apps, die da verwendet und promotet und relativ unwissend eingesetzt werden. Lehrer sind ja eigentlich Profis im Gestalten von Unterricht. Aber jetzt tatsächlich die Medien so einzubauen, dass sie den Unterricht stützen und nicht stören, dazu braucht es Hilfestellung.
Der Computer könnte die alles dominierende Position des Lehrers verändern. Ist das auch ein Grund für Widerstände?
Es wäre eine Chance für den Lehrer, seine Rolle ändern zu können. Ich sehe das so als Lernforscherin, dass Lehrer eher Lernbegleiter werden könnten durch so ein Medium. Also nicht so stark Wissensvermittler, denn das übernimmt ganz oft das Medium. Es gibt ein schönes didaktisches Konzept, das heißt Flipped Classroom. Das kann man super mit Medien anwenden. Dabei eignen sich Kinder zu Hause Wissen an – ganz gewohnt über Filme, Bücher oder altmodische, auf Papier gedruckte Texte. Die Wissensvermittlung wird also ausgelagert. Und dann im Unterricht werden die Dinge mit dem Lehrer vertieft und der Unterricht überprüft vor allem, ob das Gelernte auch wirklich verstanden wurde.
Fragt sich, wie Schüler lernen sollen, von der Maschine immer wieder auch abzulassen.
Lernen verändert sich eigentlich nicht wirklich durch die Medien. Auch beim ganz normalen Lernprozess mit Büchern muss der Lerner Selbstständigkeit erwerben. Dazu gehört nicht nur, Texte ordentlich lesen zu können und sie zu verstehen, sondern sich beim Lernen zu überwachen. Wir sprechen da von Metakognition. Dieses Konzept schläft seit Jahrhunderten in den Köpfen der Lehrer. Das ist im Unterricht mit Medien und ohne dasselbe: Wir müssen Schüler befähigen, ihr eigenes Lernen zu reflektieren, zu überwachen und zu sagen, oh, halt, das war zu viel. Es braucht dabei die Lehrer als Assistenten. Aber ehrlich: Das hat nichts mit den Medien zu tun. Auch wenn es beim Smartphone leichter und schneller geht, sich abzulenken.
Gibt es aus Ihrer Sicht eine andere Möglichkeit für Schulen, als Tablet und Smartphone künftig in den Unterricht einzubauen?
Ob das in jedem Unterricht Platz haben muss, weiß ich nicht. Aber es ist wichtig, dass tatsächlich so eine Art Medienkompetenzfach eingeführt wird. Oder, was schöner wäre, dass tatsächlich Medien in den Unterricht so natürlich integriert werden, dass man’s gar nicht explizit als Extrafach braucht. Medienkompetenz ist zwingend nötig. Wir müssen die Lehrer trainieren, damit sie Schüler dazu befähigen können.