Lichtreklame im Stuttgarter Leonhardsviertel Foto: Frank Simoneit

Prostitution, Spekulation und Vermüllung: Das Leonhardsviertel immer mehr zum Problemquartier.

Stuttgart - Straßenprostitution, Spekulation und Vermüllung machen das Stuttgarter Leonhardsviertel immer mehr zum Problemquartier. Im benachbarten Bohnenviertel klagen Geschäftsleute über mangelnde Kundschaft. Die SPD im Gemeinderat will Abhilfe schaffen, so das Versprechen nach einem Rundgang.

"Wir wollen Fensterscheiben von innen verkleben, damit die Kinder nicht sehen, was draußen vor sich geht", kündigt Schulleiterin Helga Gostovic-Schnarhelt den SPD-Stadträten an, die sich ein Bild machen wollen. Draußen, das ist das Leonhardsviertel, in dem die Jakobsschule seit dem Jahr 1885 residiert. Mit den Vorgängen, die den Grundschülern während der Unterrichtszeit verborgen bleiben sollen, ist der Freierverkehr gemeint, der bereits am Vormittag in der Nachbarschaft einsetzt. Mit Kleber und Folie lässt sich Straßenprostitution nicht vollständig ausblenden, das weiß auch die Pädagogin. Spätestens auf dem Heimweg durch den Rotlichtbezirk begegnen die Kinder Frauen und Freiern.

Wann die Frauen wo stehen dürfen

"Seit Jahrhunderten gibt es Prostitution, Handwerk, normales Gewerbe und Wohnen im Viertel", sagt Veronika Kienzle, die an diesem Nachmittag die Fremdenführerin für die Genossen gibt. "Doch seit fünf Jahren gerät die gewachsene Struktur aus dem Lot", beklagt die grüne Bezirksvorsteherin. Immer mehr Frauen böten sich am Straßenrand an, in immer mehr Häusern entstünden Terminwohnungen.

Das Geschäft mit dem Sex scheint lukrativ. Als Indikator taugt der Mietzins, den Bordellbetreiber für ein Acht-Quadratmeter-Zimmer fordern. Er ist bis auf 150 Euro hochgeschnellt - pro Tag. "Das treibt die Frauen in die Verschuldung, was sie noch mehr zum Anschaffen zwingt", beschreibt Kienzle den Teufelskreis, der die Straßenprostitution weiter fördert.

"Es geht nicht ums Verbieten von Prostitution, sondern um klare Regeln", so SPD-Fraktionschefin Roswitha Blind. Doch gerade daran scheint es zu fehlen. "Es braucht Vorgaben, wann die Frauen wo stehen dürfen", sagt Heinrich Huth, der als Wirt der Jakob-Stube weiß, wovon er spricht. Kenner der Szene schildern, dass Recht und Gesetz nicht immer konsequent durchgesetzt würden. "Der eine Polizist erkundigt sich nach den Geschäften, der andere verpasst der Frau ein Bußgeld", heißt es.

Begleiterscheinungen des Rotlicht-Booms

Die Begleiterscheinungen des Rotlicht-Booms sind im Leonhardsviertel unübersehbar. Nicht nur, dass privat zu reinigende Gehwege häufig mit Müll verunreinigt sind. In der Jakobstraße 2 lässt ein Hausbesitzer seine Immobilie seit längerem verfallen. Durch zerborstene Fenster sind Tauben eingezogen. "Das ist ein barockes Kulturdenkmal, zwischen 1750 und 1800 erbaut", empört sich die Bezirksvorsteherin. Nur wenig Gutes kann Veronika Kienzle im Rotlichtviertel präsentieren. Etwa das Eckgebäude Leonhard- und Weberstraße, das ein Privatinvestor jüngst komplett für normale Wohnnutzung saniert hat. Oder zwischen einschlägigen Bars die Weberstraße 2, in dem ironischerweise der Verschönerungsverein residiert. "Das Haus gehört einer 85-jährigen Dame, die jedes Angebot aus dem Milieu ausschlägt", weiß Kienzle.

Mehr bezahlbare Wohnungen für Familien könnte die Prostitution zurückdrängen, glaubt der örtliche Bezirksbeirat. Den Platz dafür sieht das Gremium seit langem anstelle des Züblin-Parkhauses mit seinen 600 Stellplätzen. Seit Jahren fordert es den Abriss. Nach harten Verhandlungen zwischen Stadt und Betreiber steht jetzt jedoch fest, dass das Parkhaus noch bis 2023 erhalten bleibt. Ende des Jahres soll dagegen bereits die Tankstelle hinter der Parkgarage verschwinden. "Da soll ein Interims-Spielplatz hinkommen", so Kienzle. Die CDU-Gemeinderatsfraktion könnte sich alternativ auch eine vorübergehende Wohnnutzung durch Studenten oder Künstler, etwa mit einer Containerlösung, vorstellen.

Raser ausbremsen und Kunden locken

Nebenan, in den Fußgängerzonen des Bohnenviertels, kämpfen Bewohner und Geschäftsleute mit anderen Problemen. "Durch die Gassen rasen immer wieder Autofahrer", klagt Monika Lange-Tetzlaff. Zudem liege das Viertel abseits kaufkräftiger Passantenströme. Zusammen mit Mitstreitern hat die Inhaberin eines Antiquariats große Blumenkübel angeschafft, die nun die Gassen schmücken. "Die sollen Raser ausbremsen und mehr Kunden locken", sagt die Geschäftsfrau.

Doch die Aktion rief auch das Ordnungsamt auf den Plan. "Wir müssen die Kübel teuer genehmigen lassen", klagt sie den SPD-Besuchern. "Wir sind sensibilisiert", versichert Stadtrat Hans H. Pfeifer, der in Personalunion auch City-Manager ist. Allerdings könnten Verbesserungen in beiden Vierteln nur schrittweise passieren, warnt er vor zu großen Erwartungen.

Als ein Instrument, die Situation im Bohnen- und Leonhardsviertel zu verbessern, favorisiert die SPD-Gemeinderatsfraktion neue Eigentümer-Standortgemeinschaften, die neudeutsch unter dem Begriff "Urban Improvement District" (UID) beschrieben sind. In den von Kommunen und Städten definierten UID-Gebieten können Grundeigentümer mit eigenen Mitteln und in eigener Verantwortung Maßnahmen angehen, die die Quartierssituation verbessern. Die SPD will diese Möglichkeit prüfen.