600 Essen werden in der Vesperkirchen-Zeit täglich ausgegeben. Foto: Max Kovalenko

Vom 19. Januar bis 8. März werden in der Vesperkirche wieder die Tische für die Armen gedeckt. Dafür brauchen die Organisatoren rund 250.000 Euro Spenden. Doch bislang fehlt noch rund die Hälfte dieses Betrages.

Vom 19. Januar bis 8. März werden in der Vesperkirche wieder die Tische für die Armen gedeckt. Dafür brauchen die Organisatoren rund 250.000 Euro Spenden. Doch bislang fehlt noch rund die Hälfte dieses Betrages.

Stuttgart - Die alten Stühle könnten beim Draufsetzen zusammen krachen. Deshalb dürfen die Besucher der Vesperkirche im neuen Jahr auf neuen Stühlen Platz nehmen. Möglich ist die Anschaffung durch eine Spende Karlsgymnasiums: Schülerinnen und Schüler haben durch Aktionen 10.000 Euro zu Gunsten der Vesperkirche gesammelt. „Ohne diesen Betrag hätte ich nicht gewusst, woher ich das Geld für die Bestuhlung nehmen soll“, sagt Karin Ott. Sie ist Diakoniepfarrerin und Leiterin der Vesperkirche in der evangelischen Leonhardskirche in der Stadtmitte.

Um dort die Tische vom 19. Januar bis 8. März wieder für die Armen zu decken, sind rund 250.000 Euro an Spenden nötig. „Bislang eingegangen ist die Hälfte“, sagt Ott. Sie ist jedoch zuversichtlich, dass die die fehlende Summe noch zusammenkommt. Auch früher sei ein großer Teil des Geldes erst im Dezember und Januar geflossen.

Die Vesperkirche ist aus Stuttgart nicht mehr weg zu denken. Und dass die 20.Vesperkirche notwendiger denn je ist, verdeutlichen Ott und Diakonie-Dekan Klaus Käpplinger an Hand von Fakten: So lebten Ende Juli dieses Jahr mit insgesamt 39.500 Menschen 5,1 Prozent mehr Stuttgarter von Hartz IV. Das heißt, sie müssen mit dem Regelsatz von 382 Euro im Monat plus Miete über die Runden kommen. Außerdem hätten mit 8500 Männern und Frauen sechs Prozent mehr Stuttgarter als 2012 schlecht bezahlte und nicht abgesicherte Beschäftigungen angenommen.

Wachsende Hilfsbereitschaft

Dass die Armutsquote in Stuttgart laut Statistischem Landesamt bei mittlerweile 20 Prozent liegt, wirke sich auch auf die Zusammensetzung der Besucher der Vesperkirche aus. „Da kommt die Dauerpraktikantin mit Hochschulabschluss. Und neben dem jungen Mann mit Alkoholproblemen sitzt der Langzeitarbeitslose, der früher in leitender Position war, aber nun über 50 ist, und keinen Job mehr findet“, stellt Ott fest. Auch die Zahl der Alleinerziehenden, bei denen es mit dem Wiedereinstieg in den Beruf nicht klappt, steigt ebenso wie die Zahl der Frührentner, die wenig in die Rentenversicherung einbezahlt haben.

Seltener in die Vesperkirche kommen dagegen Prostituierten aus dem Leonhardsviertel. „Deren Arbeitsbedingungen sind so brutal geworden, dass sie keine Auszeit bei uns nehmen können“, stellt Ott fest.

Die Diakoniepfarrerin bemerkt jedoch nicht nur eine sich verfestigende Armut. Sie beobachtet auch eine wachsende Hilfsbereitschaft. 801 Ehrenamtliche, 151 mehr als im Vorjahr, werden vom 19. Januar bis zum 8. März in der Küche Brote schmieren, rund 600 Mittagessen am Tag für 1,20 Euro ausgeben und dort einspringen, wo zupackende Hände gebraucht werden. „Wir haben in diesem Jahr mehr Bewerber als Einsatzmöglichkeiten“, so Ott. In diesem Jahr zum ersten mal dabei ist auch eine Zahnärztin. „Viele Menschen sieht man die Armut an den Zähnen an“, sagt Ott. Behandelt würden die Betroffenen aus hygienischen Gründen zwar nicht in der Leonhardskirche. Aber es wird eine Diagnose gestellt und nach Wegen für eine kostengünstige Behandlung gesucht.

Den Zulauf an Helfern erklärt Ott damit, dass die Dauer des Einsatzes überschaubar ist. Und außerdem ist sie überzeugt, dass die Gemeinschaft der Vesperkirche durch ein gegenseitiges Geben und Nehmen getragen wird. „Die Besucher erleben, dass es Menschen gibt, die Anteil an ihnen nehmen. Und die Helfer bekommen durch die Besucher einen anderen Blick auf ihre eigene Situation und ihre eigenen Probleme“, so Ott.

Beim Kulturprogramm, dass in der kommenden Vesperkirche seinen zehnten Geburtstag hat, ist erstmals auch der Staatsopernchor Stuttgart dabei.