Leonard Cohen Foto: dpa

Er war der Mann, auf den sich alle einigen können. Bon Jovi und John Cale, Johnny Cash und Nick Cave, die Pixies und Elton John haben schon Lieder des Rockpoeten Leonard Cohen gesungen. Nun ist er im Alter von 82 Jahren gestorben.

Das Hotel Binoth hat auch schon mal bessere Tage gesehen. Die einst weiße Fassade ist ergraut, durch Milchglasscheiben glimmt trübes Licht nach draußen. Nebenan machen Eisverkäufer das Geschäft ihres Lebens, und in der Ferne leuchtet dunkelgrün ein Kaufhaus. Es ist Zeit zum Abschiednehmen: „Good night, my darling, I hope you’re satisfied!“, gute Nacht, mein Liebling, ich hoffe, du bist zufrieden, knurrt der Mann mit dem unerhörten Bassbariton. Wie so oft an diesem Abend zieht er seinen Hut, breitet seine Arme aus und scheint jedem einzelnen der 5000 Fans auf dem Lörracher Marktplatz tief in die Augen zu schauen, wenn er mit „I Tried To Leave You“ zum Schluss kommt.

Als sich der Blues tiefer und tiefer in die Nacht gräbt, gesteht Leonard Cohen, ein Mann zu sein, der immer wieder zurückkommt. Und obwohl es verdammt schwer ist, eine Liebe über viele Jahre nicht erkalten zu lassen, verspricht er, sich weiterhin alle Mühe zu geben: „Here’s a man and he’s still working for your smile“, singt er und genießt grinsend den Applaus: Nach all den Jahren bin ich immer noch der Mann, der alles dafür gibt, dir ein Lächeln abzugewinnen.

Als der damals 73-jährige Leonard Cohen vor neun Jahren beim Stimmen-Festival in Lörrach auftritt, erlebt das Publikum ein einzigartiges Konzertereignis. Zuvor hatte er 15 Jahre nicht mehr auf der Bühne gestanden, und in Lörrach fand damals sein einziges Deutschlandkonzert statt. Danach ist er zwar mit überraschender Regelmäßigkeit wieder auf Tour gegangen, sang auch in Stuttgart, veröffentlichte im Januar 2012 mit „Old Ideas“, unmittelbar vor seinem 80. Geburtstag mit „Popular Problems“ und kurz vor seinem Tod mit "You Want It Darker" neue Alben. Doch es ist vor allem dieser Abend in Lörrach, der unvergesslich bleibt.

Das Abschiednehmen liegt dem kanadischen Songpoeten tatsächlich nicht. Auch nicht an diesem lauen Abend in Lörrach. Drei Stunden dauert der Auftritt des Einzelgängers, der kurz zuvor in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen wurde. Ob „Suzanne“, „Hallelujah“, „So Long Marianne“ oder „I’m Your Man“ – kaum einen der Klassiker, die Cohen seit Ende der 1960er Jahre geschrieben hat, lässt er aus. Nur „Lover Lover Lover“ fehlt, die einzige Nummer, die es tatsächlich mal vor 24 Jahren in die deutschen Top Ten schaffte.

Noch immer betören diese „Songs of Love and Hate“, die Lieder vom Lieben und Hassen, mit einer durchdringenden Poesie, die Schwermut und Verlangen, Spiritualität und Bitterkeit miteinander verbindet – auch wenn die Erotik in Cohens Songs allmählich von der altersweisen Erhabenheit des Vortrags überlagert wird.

Was Cohens Lieder zu Klassikern macht, ist ihre musikalische Offenheit. Mal verwandelt sich Cohens Band in eine 80s-Popcombo („Ain’t No Cure For Love“), mal in eine Wiener Schrammelkapelle („Take This Waltz“), mal wird groovend mit dem Soul („Boogie Street“), mal rockig mit dem Country („Closing Time“) geflirtet. Das seltsam entschleunigte „Bird On The Wire“ wird mit Blueslicks verziert. „Who By The Fire“ wird zum Flamenco entfaltet.

Obwohl Cohen damals nicht ganz freiwillig auf die Bühnen zurückkehrte (er wurde von seiner Managerin um sein Geld geprellt), genießt er den Auftritt, kokettiert charmant mit seinem Alter und versetzt seine Lieder mit Selbstironie. Wenn er etwa in „Tower of Song“ den selbstmitleidigen Alleinunterhalter mimt („Well my friends are gone and my hair is grey / I ache in the places where I used to play“) und den Applaus nach seinem Einfinger-Synthesizer-Solo mit dem sarkastischen „Thank you, music lovers!“ kommentiert. Und während er seine Sängerinnen am Ende der Nummer dazu nötigt, in einer Endlosschleife „Du dam-dam-dam-dam, du dam-dam“ zu singen, behauptet er, dass er endlich den Sinn des Lebens kennt. Nach einigem Zögern verrät Cohen, der als Zen-Buddhist auf den Namen Jikan (der Stille) hört, die Antwort auf das große Mysterium der Existenz laute: „Du dam-dam-dam-dam, du dam-dam.“

Und während nebenan die Eisverkäufer das Geschäft ihres Lebens machen und in der Ferne dunkelgrün das Kaufhaus leuchtet, scheint das Hotel Binoth plötzlich große Ähnlichkeit mit Chelsea Hotel zu haben.