Die Sopranistin Lenneke Ruiten Foto: Sigmund

Salzburg und Mailand, John Eliot Gardiner und Christian Thielemann: Die Karriere von Lenneke Ruiten startete so schnell und so plötzlich, dass sie sich immer noch selbst ganz überrumpelt fühlt – und den „Boden unter den Füßen“ schätzt, der ihr an der Oper Stuttgart geboten wird.

Stuttgart - Sie ist gar nicht blond. Sie ist auch nicht rothaarig. Sie hat braune Haare. Noch am Vorabend hat Lenneke Ruiten in der Oper „Ariadne auf Naxos“ in zwei Akten zwei Seiten und zwei Farben der kapriziösen Zerbinetta gezeigt. Tags darauf ist alles Künstliche, alles Exaltierte von der jungen Niederländerin gewichen, und beim Cappuccino in der Stuttgarter Opernkantine sieht sie, obwohl sie sich abends gewiss verausgabt und schon wieder alle Sachen für die Heimfahrt nach Amsterdam gepackt hat, aus wie das blühende Leben. Und es wird rasch klar, dass die Sopranistin ganz anders ist als Richard Strauss’ Bühnenfigur, die ihr eigenes Wesen nicht begreift und die immer nur sich selber spielt.

Lenneke Ruiten hat braune Haare, und sie denkt viel nach. „Meine Stimme ist eigentlich ein hoher Koloratursopran, aber da ich nicht die typische Koloratur-Leichtigkeit habe, sondern eher lyrisch klinge, ist es schwierig, mich einzuschätzen“: So beschreibt sich die 37-Jährige selbst und fügt an, dass sie es „einfach langweilig“ finde, nur lyrisches Sopranrepertoire zu singen. Warum sie erst mit 29 Jahren – „und für einen Sopran ist das ja nicht wirklich jung“ – einen Agenten traf, der ihr „richtige Konzerte und größere Rollen“ anbot und ihr, als sie 30 war, den ersten Schritt auf die internationale Bühne ermöglichte, versteht sie noch immer ebenso wenig wie die Tatsache, dass sie „nach so vielen Jahren am Bodenlevel“ seit knapp zwei Jahren „plötzlich da oben“ steht und Anfragen von vielen großen Häusern und Dirigenten bekommt.

Dabei reicht das Spektrum von Christian Thielemann („sehr schwierig, aber so musikalisch, und aus der ‚Frau ohne Schatten‘ macht er fast Kammermusik“) bis Marc Minkowski („Er ist klug, denn er weiß, dass er viel mehr Erfolg hat, wenn die Sänger gut singen“), von großem romantischem Orchesterapparat bis zu historisch informierten Ensembles, von der Mailänder Scala bis zu den Salzburger Festspielen, wo sie 2014 im neuen „Don Giovanni“ die Donna Anna gesungen hat.

Im Bereich der Alten Musik war Lenneke Ruiten zuerst, „da habe ich“, sagt sie, „viel gelernt“ – auch mit Blick auf John Eliot Gardiner, der auf wundersamen Wegen ihre erste, noch selbst finanzierte CD mit Mozart-Arien in die Hände bekam und daraufhin die junge Sängerin sofort verpflichtete. Mittlerweile fühle sie sich allerdings bei dem sehr geraden, vibratoarmen Singen, das die Stimme zuallererst als Klangfarbe versteht, nicht mehr zu Hause, „und ich glaube auch nicht mehr daran“. Viel wichtiger sei es schließlich, „dass Dirigenten atmen – dann lebt die Musik“. Für Stuttgarter ist es interessant, dass Lenneke Ruiten sowohl mit Helmuth Rilling als auch mit dessen Nachfolger Hans-Christoph Rademann schon zusammengearbeitet hat. „Er war sehr generös“, sagt sie über den Gründer der Internationalen Bachakademie, „sehr unterstützend und sehr liebevoll.“ Rademann sei viel strenger und bestimmter, dabei „sehr ehrlich, und bei ihm hat alles eine Idee“.

Das ist etwas, das die Sängerin mag: „Wenn jemand genau weiß, was er will, dann mache ich gerne mit – auch wenn es natürlich schön ist, wenn Dirigenten mich zwischendurch mal fragen, was ich selbst denn will.“

Dass dies geschieht – zuletzt bei Christoph Eschenbach, den Lenneke Ruiten ebenfalls sehr schätzt – , hat ebenfalls mit ihrem neuem Star-Image zu tun. Und es birgt Risiken: „Alle Hauptpartien, die ich jetzt singe, sind für mich neu.“ Entsprechend selten macht die Sopranistin Urlaub, und damit der gerade zweijährige Sohn Felix nicht zu kurz kommt, nimmt sie diesen mit, wenn sie neue Opern einstudiert oder an Opernhäusern mehrere Vorstellungen in Folge singt. Ihr Mann ist dann auch dabei: ein Pianist, wie es auch jener andere war, der die erst 15-jährige Waldorfschülerin einst vom Malen zur Musik, zum Flöten-Studium (und zum Abbruch der Schulausbildung) brachte.

Mit 22, nachdem sie parallel auch Gesang studiert hatte, wandte sich Lenneke Ruiten dann von der Flöte ab und dem Singen zu, gewann beim renommierten Wettbewerb in ’s-Hertogenbosch gleich mehrere Preise, ging nach München zur Bayerischen Theaterakademie, studierte bei Edith Wiens und bei Helmuth Deutsch, wo sie sich intensiv mit dem Lied beschäftigte, zu dem sie „immer wieder zurück will“.

Der Rest ist eine Geschichte vom Glück einer Tüchtigen. „Ich bin Perfektionistin“, sagt Lenneke Ruiten über Lenneke Ruiten. Und betont, wie gut es ihr tue, in dieser Saison als Ensemblemitglied der Oper Stuttgart (und in der nächsten Spielzeit als Gast) „mit beiden Füßen auf dem Boden“ stehen zu können. „An großen Häusern“, sagt sie, „gibt es viel Stress und Kritik, da tut es gut, hier Entspannung und Spaß zu haben, und ich kann in Stuttgart so vieles gelassen ausprobieren.“

Mit dieser Experimentierfreude wird Lenneke Ruiten gewiss auch ab 22. März an die Partie der La Folia in Calixto Bietos Inszenierung von Jean-Philippe Rameaus Barockoper „Platée“ herangehen. Oder – als Sophie – ab 12. April an Stefan Herheims „Rosenkavalier“. Und womöglich wird sie am 27. Mai, begleitet von ihrem Gatten Thom Janssen, im 5. Liedkonzert der Oper bei Liedern von Boccherini, Schumann, Berg und Korngold ebenfalls das Publikum bezaubern. Und beweisen, dass es stimmt, wenn sie behauptet: „Künstler dürfen nicht nur in einer Schublade bleiben.“