Asma und Mehdi Ben Hadj Mohamed mit ihrem vier Jahre alten Sohn Ahmed und den Drillingen Nour, Manar und Taha. Foto: Rüdiger Ott

Leben auf 40 Quadratmetern: Für manche kein Problem, für die Familie Ben Hadj Mohamed aus Echterdingen schon: Im Februar 2017 bekam sie Drillinge. Die Eltern erzählen, warum die Geburt eine Sensation und zugleich ein Geschenk war.

Filder - Auf einmal war da dieses C. Was löst dieser Buchstabe aus? Verwirrung? Glück? Angst? Für Mehdi Ben Hadj Mohamed alles auf einmal, wird er hinterher sagen. Es ist der dritte Frauenarzttermin, seine Frau Asma soll wieder untersucht werden, reine Routine. Irgendwann im Herbst muss das gewesen sein, das Ultraschallbild flimmert über den Bildschirm. Die Ärztin schießt ein weiteres Bild, dann noch eines, und immer wieder zeichnet sie neben die Buchstaben A und B dieses schlichte C. Mehdi Ben Hadj Mohamed sieht das, kann es kaum glauben. A, das ist das eine Kind, B das zweite. Sie würden Zwillinge bekommen, denkt das Ehepaar. Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt. Die Ärztin streckt die Hand aus, gratuliert. Es werden Drillinge sein.

Ein halbes Jahr später sitzt Asma Ben Hadj Mohamed auf der Kante ihres Ehebettes und verdreht zu einem milden Lächeln die Augen. „Der Plan war, noch ein Kind zu bekommen, vielleicht ein Mädchen“, sagt sie. Im Gitterbett neben ihr schlafen, fein säuberlich aufgereiht wie Puppen in einem Regal, Nour, Manar und Taha, zugedeckt mit einer blauen, einer rosanen und einer grasgrünen Frotteedecke. Ihr rechter Arm liegt auf der Kante, ihre Finger zupfen am Grasgrün. „Aber Drillinge?“, sagt sie, hebt die Hände und macht dabei ein Gesicht, das so ungläubig dreinblickt wie sonst wohl nur nach einem Lottogewinn.

Vaterglück zwischen Windelwechsel und Arbeit

Sie ist glücklich, ganz offensichtlich, aber eben auch ganz offensichtlich gerädert. Dreifaches Mutterglück, gepresst in eine Schwangerschaft, dazu ein weiteres Kind, Ahmed, vier Jahre, bedeutet drei Stunden Schlaf am Tag, wenn es hochkommt – in einer Echterdinger Kellerwohnung, die aus vielen Betten und keinem Sofa in einem Zimmer, einer Küche und einem Bad besteht, aber dazu später mehr.

“Ich kann gar nicht ausdrücken, wie müde ich bin.“

Biologie ist mitunter in Zellen gegossene Mathematik. 1895 hat der deutsche Arzt Dionys Hellin nach der Durchsicht von sächsischen Pfarrbüchern errechnet, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Zwillingsgeburt bei eins zu 85 liegt. Für Drillinge gilt demnach eins zu 85 im Quadrat. Nur alle 7000 Fälle gibt es drei Geschwister auf einmal. Durch künstliche Befruchtung kann man seinem theoretischen Mehrlingsglück zwar ganz praktisch auf die Sprünge helfen. In der heutigen hochsterilen Medizin werden Drillinge aber in den allermeisten Fällen per Kaiserschnitt in die Welt befördert, und das zumeist auch recht früh, um Komplikationen zu vermeiden.

Das tunesische Ehepaar entschied sich für eine klassische Geburt. Die drei Kleinen blieben bis zur 35. Woche im Bauch ihrer Mutter. 40 Wochen sind normal, und damit waren sie nicht einmal Frühchen, als sie am 16. Februar in der Filderklinik das Licht der Welt erblickten. Das war eine Sensation, die Presse in ganz Deutschland berichtete.

Zwei Monate liegt Asma Ben Hadj Mohamed im ersten Stock der Filderklinik, direkt über der Geburtsstation. Um schnell reagieren zu können, falls etwas schief laufen würde. Eingeliefert wird sie kurz vor Weihnachten. Am 16. Februar schreibt sie Geschichte mit der zweiten natürlichen Drillingsgeburt in Deutschland der vergangenen fünf Jahrzehnte.

Kurz nach der Entbindung in der Filderklinik in Filderstadt Foto: dpa

Morgens um 6.30 Uhr öffnet sich ihr Muttermund auf sechs Zentimeter. Weil der Kreißsaal belegt ist, wartet sie erst auf dem Flur, dann in einem Untersuchungszimmer. Die Ärzte sind vorbereitet, sie haben in den Wochen davor einen Plan erstellt, immerhin handelt es sich um eine mittelgroße Unternehmung. Je nach Lesart eilen zwischen 18 und 27 Helfer herbei, darunter sieben Frühkindmediziner, eine Hebamme, fünf Frauenärzte, fünf OP-Ärzte für den Notfall und eine Reihe von Schwestern, die auch mal nur eine Blutprobe vorbeibringen, um bei der Geburt dabei zu sein. Einige unterbrechen ihren Urlaub und fahren in die Klinik.

Um 11.30 Uhr hat sich der Muttermund vollständig geöffnet, um 12.50 Uhr lugt der Kopf von Nour hervor. Das Mädchen wiegt 2440 Gramm und wird mit der Zange geholt. Um 13.29 Uhr ist Mahar an der Reihe. Das Mädchen, 2090 Gramm schwer, kommt ebenfalls mit dem Kopf voraus und mithilfe der Zange auf die Welt. Dann folgt Taha, ein Junge, und mit 1715 Gramm das leichteste der Geschwister. Er liegt quer und wird um 13.38 Uhr am Fuß aus dem Bauch der Mutter gezogen.

So eine Drillings-Geburt erleben Ärzte nur einmal

Inzwischen hat sich der Staub, den die Geschichte aufgewirbelt hat, gelegt. Er passt in eine Aktentasche, schwarzes Leder, mehrere Einschubfächer, im fordersten stecken zwei Kulis und ein Bleistift, fein säuberlich aufgereiht, wie Nour, Manar und Taha. Mehdi Ben Hadj Mohamed holt die Tasche aus dem Kleiderschrank, der in der Ecke kauert, setzt sich auf den Teppich – es gibt ja kein Sofa – und lehnt mit dem Rücken am Fußende des Ehebetts. Auf einem Teller neben ihm liegen Knabber-Brezeln und in bunte Alufolie gewickelte Schokoeier, dazu Sprudel, für den Gast, der die Fragen stellt und auf dem Bett des kleinen Ahmed sitzt, der nach einem halben Jahr in Kindergarten ein ungewöhnliches Deutsch mit arabisch-französischem Einschlag spricht, aber fließend.

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Mehdi Ben Hadj Mohamed zieht ein Amtsblatt hervor, Arztbelege, Briefe vom Amt. „Wichtig ist, dass es den Kindern gut geht, dass es meiner Frau gut geht. Ich verlange keine Hilfe, ich bezahle alles selbst.“ Er hat einen Job, verdient 1600 netto, dazu Eltern- und Kindergeld. Seit einem halben Jahr sucht er nach einer größeren Wohnung. Dass er keine findet oder ihn niemand haben will, wurmt ihn. Sieben Stufen in das Untergeschoss, an den Stromzählern rechts, rechter Hand die Waschküche, linker Hand die Keller, und gerade aus die Wohnungstür. 40 Quadratmeter für sechs Menschen, Fenster ab Kopfhöhe aufwärts, das geht schon, wenn es muss. Es ist eine schöne Wohnung, keine Frage, mit neuem Laminat und gefliestem Bad. Es sollte aber auch anders gehen.

Die Familie sucht seit Monaten nach einer größeren Wohnung

„Die Familie ist das Wichtigste für mich“, sagt er. „Mir würde ein kleines Zimmer reichen. Aber die Kinder müssen spielen können, sie brauchen Platz.“ In seiner Verzweiflung wendet er sich ans Radio. Die Antwort per SMS: Die Sache würde an die Zuständigen weitergeleitet, gefolgt von Tipps, wie er VIP-Tickets bekommen odereine Backstage-Führung ergattern könnte. Als Beweis zeigt er sein Handy mit dem Chat-Verlauf. „Was soll ich damit machen?“, fragt er und zuckt die Schultern.

Vor anderthalb Jahren ist die Familie, damals noch zu dritt, nach Deutschland gezogen. Sie sind keine Flüchtlinge. Er war zuvor zwölf Jahre in Italien. In Mailand hat er in einem Hotel gearbeitet, als Restaurantmanager. Er spricht Arabisch, Französisch, Englisch, Italienisch und inzwischen auch ein wenig Deutsch. Sie war Architektin in Tunesien, entwarf Häuser und würde gerne wieder in ihrem Beruf Fuß fassen.

Dann wurde sie schwanger, und das Bild, das sich die kleine Familie bis dahin von ihrer Zukunft machte, existierte fortan nicht mehr, wurde überschrieben durch eine neue Version mit einem A, einem B und einem C.

Jedes seiner Kinder ist für ihn ein Geschenk Gottes

Eines der Kleinen gluckst vor sich hin, beginnt erst zu wimmern, dann leise zu krächzen. Es tut sich was unter der blauen Frotteedecke, die sich hebt und senkt durch das kleine Bündel Muskeln, das von unten drückt. „Das ist Taha“, sagt Mehdi Ben Hadj Mohamed, mit dem Rücken immer noch ans Bettende gelehnt. Er lächelt, Stolz zeichnet sich in die Fältchen seiner Augen.

„Jedes Kind hat seine Musik“, sagt er und beginnt, mit seinen Fingern die Klaviatur eben jener Musik zu spielen, die nur er vernimmt. Seine Frau hebt sich von der Kante des Ehebetts, beugt sich über das Gitterbett und zieht den Kleinen auf ihren Arm. Da ist es wieder, diese müde Lächeln. „Ich habe zwar nicht daran gedacht, dass wir vier haben würden. Aber jedes ist ein Geschenk Gottes.“