Der Gewerkschaft IG Metall und den Betriebsräten ist Leiharbeit schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Foto: dapd

Die Krise kündigt sich an: Beim Daimler-Werk in Untertürkheim sind bereits 42 Prozent der Verträge von Leiharbeitern ausgelaufen. Studien beschreiben Leiharbeit und Werkverträge als Integrationshemmnis.

Stuttgart - Es klingt, als spräche er von seinem Tod. Der 30-jährige türkische Leih-Ingenieur schildert die Zeit nach seinem Arbeitseinsatz bei einem baden-württembergischen Autozulieferer: „Ich möchte, dass meine Abteilung mich als einen in Erinnerung behält, der Einsatz gezeigt hat“, sagt Umut P., „als einen, der sich immer eingebracht hat.“ Dafür gibt Umut alles. Gebracht hat ihm das bisher wenig.

Umut ist bei einem Ingenieurdienstleister beschäftigt. Über einen Werkvertrag hat der Zulieferer ihn ins Haus bestellt. Seine Einsätze dauern immer sechs Monate. Viermal wurde Umuts Einsatz bereits verlängert. Doch für 2013 rechnet sich der Ingenieur keine großen Chancen aus. „Ich habe ein schlechtes Gefühl“, sagt er. „Ein sehr schlechtes.“ Die Zulieferer spüren, dass die Krise langsam die Autohersteller erreicht. 2013 dürften überdurchschnittlich viele ausländische Beschäftigte ihren Job bei den Verleihfirmen verlieren.

„In wirtschaftlich schwierigen Zeiten setzen die Arbeitgeber zunächst die Leiharbeiter und die Mitarbeiter mit Werkverträgen vor die Tür, bevor sie die Stammbelegschaft antasten“, sagt Sandra Siebenhüter. Die promovierte Wirtschaftssoziologin hat für die Otto-Brenner-Stiftung die Auswirkung von Leiharbeit auf Menschen mit Migrationshintergrund untersucht. „Die Auswirkungen sind natürlich für alle Leiharbeiter gleich schlimm“, sagt sie. „Jedoch befinden sich unter den Leiharbeitern insbesondere im Hilfskräftebereich überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund.“ In amtlichen Statistiken wird nur zwischen Beschäftigten mit und ohne deutschen Pass unterschieden. Doch auch viele, die einen deutschen Pass besitzen, haben einen Migrationshintergrund. Also stützt sich Siebenhüter auf die Aussage eines Arbeitgeberverbands der Leiharbeitsbranche: Dieser rechnet bei den Hilfskräften mit einem Ausländeranteil von 60 Prozent.

Wenn die Stimmung in der Wirtschaft schlechter wird, hilft auch die Warteliste nicht

Taylan F. arbeitet als Hilfskraft in der Produktion eines großen Konzerns. „Wenn ich mich unter meinen Kollegen umschaue, sehe ich eigentlich ausschließlich Gesichter, die ausländisch wirken“, sagt Taylan. „Ich denke, dass mindestens 80 Prozent von denen ausländische Wurzeln haben.“ Genauso wie Umut will Taylan weder seinen richtigen Namen noch seine Arbeitgeber in der Zeitung lesen. Zu groß ist seine Hoffnung, eines Tages doch noch zur Stammbelegschaft zu gehören. „Ich stehe bereits auf der Warteliste“, sagt Taylan.

Doch wenn die Stimmung in der Wirtschaft schlechter wird, hilft auch die Warteliste nicht. Das bekommen einige Hilfskräfte schon jetzt zu spüren. So hat etwa der Stuttgarter Autohersteller Daimler allein im Werk Untertürkheim seit Juli 300 von 720 Leiharbeitsverträgen nicht verlängert, heißt es aus Betriebsratskreisen. Das sind 42 Prozent. Im Sindelfinger Werk wackeln die Jobs von weiteren Hunderten Leiharbeitern. Daimler will sich „zur Zahl der Zeitarbeitskräfte auf Werkebene nicht äußern“, so eine Sprecherin. Auch Leiharbeiter Özdemir L. hat seine Arbeit beim Autohersteller verloren. Obwohl er bei seiner Verleihfirma einen unbefristeten Vertrag unterschrieben hat, steht er nun ohne Arbeit da. „Das Wort ‚unbefristet‘ ist heute nicht mehr als eine Wischiwaschi-Formulierung“, sagt er. „Meine Verleihfirma musste mich rauswerfen, weil sie keinen anderen Auftrag für mich hatte.“

Der Gewerkschaft IG Metall und den Betriebsräten ist Leiharbeit schon seit Jahren ein Dorn im Auge

Sandra Siebenhüter warnt in ihrer Studie vor Leiharbeit als Integrationshemmnis. Sie sieht die Gefahr einer Abwärtsspirale: Ausgehend von der fehlenden wirtschaftlichen Sicherheit könnten die Migranten in Leiharbeit demnach immer mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Aus Angst vor Regelverstößen bis hin zum Verlust des Aufenthaltsstatus hätten die meisten dieser Beschäftigten auch nicht den Mut, sich an Arbeitnehmervertreter zu wenden.

Der Gewerkschaft IG Metall und den Betriebsräten ist Leiharbeit schon seit Jahren ein Dorn im Auge. „Leiharbeit hat sich zu einer Beschäftigungsform entwickelt, in der Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt keine feste Stelle finden, ausgenutzt werden“, sagt Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück. „Darum müssen diejenigen, die in der Wirtschaft Macht haben, dafür sorgen, dass Leiharbeit in einen gerechten und anständigen Rahmen gelenkt wird.“ Im aktuellen Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie wird der Einsatz von Leiharbeitern erstmals eingeschränkt. Gibt es in einem Betrieb keine Betriebsvereinbarung zur Leiharbeit, dann wird künftig schon nach 18 Monaten überprüft, ob der Leiharbeiter übernommen wird. Nach 24 Monaten Beschäftigung ist Übernahme Pflicht. Bei Porsche gelten noch strengere Regeln: Dort muss Leiharbeitern in der Produktion bereits nach fünf Monaten eine befristete Stelle angeboten werden. Dementsprechend gering ist der Anteil der Leiharbeiter in der Produktion im Zuffenhausener Stammwerk. Von 4000 Beschäftigten in der Produktion sind laut Hück lediglich 40 Leiharbeiter. Noch weitgehend ungeregelt und demnach missbrauchsanfällig ist aber die Beschäftigung über Werkverträge.

Der Werkvertragsingenieur Umut P. hat einen Traum. Er will sich eines Tages ein „normales Auto“ kaufen. „Und ein Häuschen. Ich würde gern eine kleine Familie gründen“, sagt er. Umut will sich in der deutschen Mittelschicht etablieren. „Meine Eltern haben beide in der Produktion gearbeitet, meine Mutter ist Analphabetin.“ Umut rührt in einer Kaffeetasse, seine Hände sind gepflegt. Alles an ihm ist akkurat. Das karierte Hemd ist faltenfrei, das Jackett sitzt exakt, bei seiner Frisur steht kein Haar ab. „Ich will meinen Kindern einmal vorleben, wie schön es ist, einen Job zu haben, den man mit sauberer Kleidung antritt und von dem man abends mit ebenso sauberer Kleidung zurückkommt.“ Jedoch: „An Familie ist als Leih-Ingenieur nicht zu denken.“ Umut weiß nicht, wovon er im kommenden Jahr leben wird. „Manchmal erfahre ich erst am Freitag, wo ich am Montag arbeiten werde“, sagt er. Umut ist der Erste aus seiner Familie, der einen Hochschulabschuss gemacht hat. Note: 2,1. Seine Diplomarbeit hat er bei einem Zulieferer geschrieben. Note: 1,0. Doch fest übernommen hat ihn der Zulieferer nicht. Schließlicht hat Umut bei einem Dienstleister angefangen. Obwohl er dort um die 20 Prozent weniger verdient als die Stammbelegschaft beim Zulieferer.

Umut stellt fest, dass der Ausländeranteil bei seinem Dienstleister sehr hoch ist. „In meiner Abteilung beim Zulieferer hingegen bin ich der einzige Schwarzkopf“, sagt er. Gründe kennt er nicht. Er weiß auch nicht, warum Wirtschaft und Politik nach mehr Ingenieuren aus dem Ausland rufen, während er auf einen festen Job wartet. Fachkräftemangel ist für ihn ein abstrakter Begriff, der nichts mit seiner Realität zu tun hat. „Will die Wirtschaft mehr Ingenieure ins Land holen, damit wir weniger kosten?“, fragt er.