Nachwuchs-Sprinter Raphael Müller startet bei der Leichtathletik-DM Foto: Bm

Sechs Leichtathleten aus Stuttgart starten an diesem Wochenende bei den deutschen Meisterschaften. Titelchancen haben die Talente vom VfB und den Kickers noch nicht. Aber gute Perspektiven.

Stuttgart - Wer in den Jahrbüchern stöbert, findet sie schnell: die Erfolge der Stuttgarter Leichtathleten. EM-Silber von Karin Frisch über 80-m-Hürden (1966), Olympia-Bronze von Helmar Müller mit der 4x400-m-Staffel (1968), EM-Gold von Karl Honz über 400 m (1974) und DM-Gold von Wolfgang Schmidt mit dem Diskus (1990 und 1991). Das sind nur einige Erfolge, alle aufzuzählen würde länger dauern als ein Zehn-Kilometer-Lauf. „Es waren die Blütezeiten“, meint Jürgen Scholz, Präsident des Württembergischen Leichtathletik-Verbands (WLV), und Manfred Arnold, Abteilungsleiter des SV Stuttgarter Kickers, sagt: „Heute ist die Leichtathletik in der Stadt nicht mehr so präsent.“ Vor allem die großen Erfolge blieben zuletzt aus.

Bei den deutschen Meisterschaften in Nürnberg hat nur ein Stuttgarter echte Titelchancen: Gregor Traber. Der VfB-Athlet dominiert die 110 Meter Hürden in dieser Saison in Deutschland, die Norm für die Weltmeisteschaft in Peking im August hat er schon geknackt. Für die anderen Stuttgarter Athleten geht es von Freitag bis Sonntag um Finalplätze, um Erfahrung und um persönliche Bestleistungen. Nur sechs Sportler aus den Reihen der Kickers und des VfB fahren nach Nürnberg. Stuttgarts Leichtathleten kämpfen um den Anschluss. Das Problem: Spitzen-Athleten an den Neckar oder unter den Fernsehturm zu locken oder zu halten ist nicht einfach. „In Stuttgart gibt es eine enorme Vielfalt an Möglichkeiten. Es besteht ein ungeheurer Konkurrenzkampf um junge Sportler“, erklärt Jürgen Scholz. Vor allem aber können es sich beide Leichtathletik-Abteilungen nicht leisten, mit mittleren bis hohen vierstelligen Beträgen erfolgreiche Athleten zu unterstützen.

Es ist aber nicht nur die finanzielle Förderung, die passen muss. „Junge Leute brauchen auch eine soziale Absicherung“, sagt Dieter Göggel, Leichtathletik-Abteilungsleiter des VfB Stuttgart. Ausbildung, Beruf, Studium müssen mit dem Sport vereinbar sein. Auch in diesem Bereich haben es finanzstärkere Vereine einfacher, passende Lösungen zu finden.

Als es noch die LG VfB/Kickers gegeben hat (von 1989 bis 2001), bewegten sich auch die Stuttgarter in anderen Dimensionen. Eine sechsstellige Summe im Jahr soll den Leichtathleten einst zur Verfügung gestanden haben. Es waren andere Zeiten. Irgendwann sahen die Beteiligten bessere Perspektiven in einer getrennten Zukunft. Deshalb sind die Blauen wieder blau, die Roten wieder rot. Heute sind beide Sparten auf die Unterstützung des Hauptvereins angewiesen. Was Vor- und Nachteile hat. „In Vereinen mit einer dominanten Fußballabteilung gibt es bessere finanzielle Möglichkeiten, und die Strahlkraft ist groß“, sagt Jürgen Scholz. Die VfB-Leichtathleten beziehen vom Hauptverein angeblich eine höhere fünfstellige Summe. „Die Kickers finanzieren sich quasi selbst“, sagt Manfred Arnold. Die Schwierigkeit ist, dass die Sponsoren meist auf die Fußballer fixiert sind und es strenge Regeln für deren Auswahl gibt.

Die Stuttgarter Vereine müssen bei der Sportlerakquise deshalb mit anderen Dingen punkten als mit Geld. Mit Wohlfühlfaktoren etwa. „Bei den Kickers geht es richtig familiär zu“, betonen die Schwestern Bianca und Isabella Marten. Das gefällt ihnen. „Zudem versuchen wir, gute Trainer und gute Bedingungen zu bieten“, sagt VfB-Abteilungsleiter Göggel. Insgesamt sind die Voraussetzungen in der Stadt gut, meint Jürgen Scholz: „Durch den Olympia-Stützpunkt in der Molly-Schauffele-Halle und die Festwiese gibt es richtig gute und zentrale Trainingsbedingungen.“ So etwas komme nicht oft vor. Der WLV-Präsident ist überzeugt, dass es aufwärtsgeht: „Die Stuttgarter Leichtathletik ist ein schlafender Riese, aber er kommt langsam in Fahrt.“

Gregor Traber gehört schon jetzt zur nationalen Spitze, auch von Weitspringer Max Kottmann versprechen sich die Experten viel. Hinzu kommen die vielen talentierten Kinder und Jugendlichen in den Vereinen. Beim VfB trainieren zurzeit 60, bei den Kickers 100 Nachwuchsathleten. „So eine gute Ausgangslage hatten wir noch nie “, sagt Göggel. „Die Anfänge sind gemacht“, meint Scholz, „jetzt liegt es an den Vereinen, die Chance zu erkennen und zu nutzen.“ Für die deutsche Meisterschaft in Nürnberg 2015 reicht es noch nicht ganz. „Die Nachwuchsathleten sind noch zu jung“, sagt Scholz. Aber er rechnet mit ihnen. Spätestens 2018.