Gute Lehrer müssen auf verschiedene Schüler eingehen können. Foto: dpa

Lehrer müssen mit einer größeren Vielfalt der Schüler umgehen lernen, sagt Wolfgang Schöberle, der Leiter des Staatlichen Seminars für Didaktik und Lehrerbildung in Stuttgart im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten.

Stuttgart - Herr Schöberle, was zeichnet einen guten Gymnasiallehrer aus?
Ein Gymnasiallehrer braucht unbedingt ein sicheres und breites Wissen in seinem Fach, denn nur dann kann er komplexe fachliche Inhalte alters- und schülergemäß aufbereiten. Außerdem muss ihm der Umgang mit jungen Menschen Freude bereiten. Die Schüler müssen sich ernst und angenommen fühlen, sie brauchen motivierende Rückmeldungen über ihre Stärken ebenso wie klare Hinweise auf ihre Schwächen. Ein guter Lehrer ist ein Kommunikationsprofi mit pädagogischem und psychologischem Geschick und Fachwissen. Darüber hinaus braucht er ein breites Methodenrepertoire. Er muss einschätzen können, welche Unterrichts- oder Arbeitsform im Hinblick auf das Unterrichtsziel für eine bestimmte Lerngruppe oder für einen einzelnen Schüler am besten geeignet ist.
Muss ein Lehrer am Gymnasium andere Dinge beherrschen als an anderen Schularten?
Das Kommunikationsgeschick, das Methodenrepertoire und die Fähigkeit, Beziehungen zu gestalten, sind in jedem Lehrberuf wichtig. Aber natürlich muss man mit Grundschulkindern anders umgehen als mit Jugendlichen. Der entscheidende Unterschied ist meiner Meinung nach das Fachwissen: Es spielt beim Gymnasiallehrer eine größere Rolle, weil er in der Oberstufe relativ komplexe Inhalte vermitteln muss.
Inwieweit haben sich die Anforderungen an Gymnasiallehrer verändert?
Diese grundlegenden Anforderungen an den Lehrerberuf sind unverändert. Was sich verändert hat, ist, dass wir deutlich heterogenere Schülergruppen haben. Bei einer Übergangsquote von über 40 Prozent gibt es inzwischen auch am Gymnasium relativ große Unterschiede im Hinblick auf die Lernvoraussetzungen, das Leistungsvermögen oder den soziokulturellen Hintergrund der Schüler. Darauf müssen sich Lehrer einstellen.
Warum kommen mehr Kinder aufs Gymnasium?
Ich glaube, dass Eltern heute deutlich mehr für ihre Kinder wollen als früher – manchmal vielleicht auch mehr, als für die Kinder gut wäre.
Inwiefern bereitet das Seminar die angehenden Lehrer auf den Beruf vor?
Das Seminar bildet die Brücke von der Wissenschaft zur Schulpraxis. Die Ausbildung an der Universität zielt in erster Linie auf den Aufbau von Fachwissen. Am Seminar steht das Lehren und Lernen in der Schule im Mittelpunkt. Die Referendare lernen, Unterricht zu planen und durchzuführen, Schüler entsprechend ihren Voraussetzungen zu fordern und zu fördern und mit Unterrichts- und Lernstörungen umzugehen. Am Seminar erwerben sie das dafür notwendige fachdidaktische und pädagogisch-psychologische Wissen und lernen, dieses in unterschiedlichen Situationen konkret anzuwenden. Sie sollen sich in der Lehrerrolle erproben und mit unserer Anleitung ihre Erfahrungen analysieren, aus der Erfahrung lernen und so ihre Kompetenzen möglichst selbstständig weiterentwickeln.
In welchen Bereichen stoßen Sie in der Ausbildung an Grenzen?
Auf den Umgang mit Schülern mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und Leistungsvermögen werden die Referendare relativ gut vorbereitet. Individuelle Förderung etwa ist inzwischen zentraler Bestandteil der Ausbildung. Ähnliches gilt auch für den Umgang mit kultureller Heterogenität. Für die Vorbereitung auf den Umgang mit Schülern, die besonders sprachlich oder sonderpädagogisch gefördert werden müssen, bleibt allerdings zu wenig Zeit. Was Inklusion betrifft, können wir die Referendare auch im Rahmen von freiwilligen Zusatzangeboten für die besonderen Anforderungen letztlich nur sensibilisieren und Grundkenntnisse vermitteln.
Was wäre nötig, um das zu ändern?
Wenn die Vorbereitung auf den Unterricht in inklusiven Klassen oder eine fächerübergreifende Sprachförderung mehr sein soll als eine überwiegend theoretische Trockenübung, brauchen wir mehr Ausbildungszeit. Mehr Zeit für vertieftes und nachhaltiges Lernen wäre für die komplexen Anforderungen des Umgangs mit Heterogenität insgesamt wichtig. Diese Zeit könnten wir durch die Wiedereinführung des zweijährigen Referendariats gewinnen. Außerdem brauchen wir verpflichtende Fortbildungen in der Berufseingangsphase. Denn mit der Lizenz zu unterrichten, ist man noch kein wirklicher Experte für das Lehren und Lernen. Diese Expertise muss sich auch nach der Ausbildung unter Anleitung weiterentwickeln und mit zunehmender Praxiserfahrung weiter ausgebaut werden. Gäbe es eine Verpflichtung zur Weiterbildung in der Berufseingangsphase, müssten die jungen Kollegen jedoch zeitlich entlastet werden – etwa durch eine Verringerung der Wochenstundenzahl. All das kostet natürlich Geld, aber eine gute Lehrerausbildung sollte uns das wert sein.
Inwieweit hat sich die Lehrerausbildung in den vergangenen Jahren bereits verändert?
Seit 2001 wurde die Praxisorientierung der Gymnasiallehrerausbildung kontinuierlich verbessert. Die wichtigste Veränderung war die Einführung des 13-wöchigen Praxissemesters am Ende des Grundstudiums, das den Lehramtsstudenten auch die Möglichkeit gibt herauszufinden, ob der Lehrerberuf das Richtige für sie ist. Leider wurde gleichzeitig das Referendariat von 24 auf 18 Monate verkürzt. Eine weitere Veränderung kam 2010, als Studieninhalte und Inhalte des Referendariats stärker aufeinander abgestimmt wurden, damit Fachwissen und pädagogisches Wissen aufeinander aufbauend und vernetzt erworben werden können.
Und was kommt noch?
Die größte Veränderung steht uns noch bevor: Mit dem kommenden Wintersemester wird das Lehramtsstudium auf die Bachelor/Master-Struktur umgestellt. Der Berufsfeldbezug im Studium wird weiter verstärkt. Insbesondere sollen die Studierenden schon an der Universität auf den Umgang mit Heterogenität vorbereitet werden – etwa durch Pflichtmodule zum Thema Inklusion.
Wie beurteilen Sie diese Veränderungen?
Durch die Veränderungen der letzten Jahre zieht sich deutlich ein roter Faden: stärkere Berufsfeldorientierung, bessere Verzahnung von Theorie und Praxis sowie eine bessere Abstimmung und Verzahnung zwischen der Ausbildung an der Universität und der Ausbildung am Seminar. Diese Veränderungen sehe ich grundsätzlich positiv.
Und das Negative?
Allerdings mache ich mir Sorgen, weil das Land durch die Umstellung vom Staatsexamen auf Bachelor/Master keinen direkten Einfluss mehr auf die Einhaltung von Qualitätsstandards im Studium hat. Bei den staatlichen Abschlussprüfungen, die künftig wegfallen, konnten die vom Landeslehrerprüfungsamt benannten Prüfungsvorsitzenden auf die Einhaltung vergleichbarer Standards achten. Künftig liegt die Bewertung von Prüfungsleistungen in der alleinigen Verantwortung der Universität. Wir beobachten schon jetzt, dass mit der zunehmenden Zahl von Studierenden das fachliche Niveau gesunken ist. Doch Referendare, die kein fundiertes Fachwissen mitbringen, haben große Schwierigkeiten, das Referendariat erfolgreich abzuschließen.